Der steinige Weg zur neuen Verfassung
Nach zähen Verhandlungen hat man sich in Afghanistan nun auf eine Verfassung geeinigt, in der die Gleichstellung der Frau festgeschrieben sowie die die islamische Tradition des Landes berücksichtigt ist. Said Musa Samimy beleuchtet die Hintergründe
Der von einer Expertenkommission ausgearbeitete Text der neuen afghanischen Verfassung lag schon länger vor. Er umfasste 160 Artikel und war - mehr noch als die jetzt die verabschiedete Version- in seinen Grundrissen widersprüchlich oder bewusst vage formuliert. Für manche Beobachter schien sogar die politische Grundsatzfrage, ob das Land am Hindukusch künftig demokratisch oder theokratisch regiert werden soll, nicht eindeutig geregelt. Und Zweifel bleiben auch jetzt noch: Trotz ausdrücklicher Erwähnung der Demokratie in der Präambel wird auch im verabschiedeten Entwurf darauf hingewiesen, dass kein Gesetz gegen die Vorschriften des Islam zur Geltung kommen kann.
Auf dem Weg zu einer Präsidialen Regierungsform
Der Entwurf der Verfassung war zudem eindeutig am US-amerikanischen Staatsmodel orientiert - allerdings ohne die in der US-Verfassung verankerten föderalen Strukturen. Dies immerhin ist etwas abgeschwächt worden. Der Entwurf war aber auch unmissverständlich auf die Person von Präsident Hamed Karzai zugeschnitten. Danach verfügte der Präsident über weitreichende Machtbefugnisse, und dies praktisch ohne jedes ernstzunehmende Gegengewicht.
Die über 500 Delegierten aus allen Volksstämmen, politischen Parteien und Regionen mussten zäh verhandeln, um letztlich eine für alle Seiten tragbare Lösung zu finden. Die Hindernisse waren zum Teil durch politische Ambitionen einzelner Delegierter bedingt, größtenteils resultierten sie jedoch aus dem grundsätzlichen Charakter des Vielvölkerstaates am Hindukusch.
Im Land leben mehr als 30 verschiedene Volksgruppen
Afghanistan umfasst von Paschtunen über Tadschiken bis zu den Hasarah mehr als 30 verschiedene Ethnien. Sie leben miteinander im Rahmen eines historisch gewachsenen, aber stets labilen Gleichgewichts. Die Taliban zum Beispiel stammen aus dem paschtunischen Milieu. Die nicht-paschunischen Volkstämme wiederum sind aus dem langwierigen Krieg mit einem starken Bewusstsein hervorgegangen. Sie sind politisch gut organisiert und verfügen - insbesondere seit dem Sturz der Taliban - über eine eigene militärische Hausmacht.
Sie akzeptieren nicht mehr die Vorherrschaft der Paschtunen, die seit der Gründung des dynastischen Staates Afghanistan 1747 fast immer die Könige in Kabul gestellt hatten. Sie wollen in einem wie auch immer strukturierten afghanischen Staat auch an der zentralen Regierung angemessen beteilt werden.
Die Interessenvertreter der Paschtunen - unter anderem der als pro-westlich geltende Präsident Hamid Karsai - dagegen waren bestrebt, die Machtfrage in ihrem eigenen Sinne zu regeln. Damit war ein Zusammenprallen der Position vorprogrammiert.
Ringen um die Paragraphen
Präsident Karsai übte entsprechenden Druck aus, indem er erklärte, wenn die neue Verfassung dem Präsidenten die angestrebte starke Rolle verweigere, werde er bei den anstehenden Wahlen nicht als Kandidat zur Verfügung stehen. Sein mächtiger Wirtschaftsminister Ghani Ahmadzai unterstützte dies, indem er eine Finanzspritze von jeweils einer Million Dollar für jede Provinz versprach. Natürlich verlangte er dafür auch einen Preis: Die Delegierten sollten im Gegenzug dem vorgelegten Entwurf der Verfassung zustimmen.
Die Delegierten gaben sich jedoch couragiert - und Karsais Kontrahenten konnten in einigen Punkten Änderungen durchsetzen. So wurden gegenüber dem ursprünglichen Entwurf die Befugnisse des Parlaments gestärkt, bis hin zu einem Vetorecht gegenüber dem Präsidenten in besonderen wichtigen Fragen.
Die neue Verfassung für Afghanistan sieht nun zwar wie angestrebt ein Präsidialsystem vor, aber eines mit zwei Kammern: Sie heißen Wolosi Dschirga - Abgeordnetenhaus - und Maschrano Dschirga - Haus der Ältesten, vergleichbar einem Senat.
Politische Manöver hinter den Kulissen
Bei der Verabschiedung der Verfassung hat sich das alte Rezept, das schon im Dezember 2001 auf dem Petersberg zur Anwendung gekommen war, abermals bewährt: Druck von Seiten der internationalen Gemeinschaft und umfassende Überzeugungsarbeit hinter den Kulissen. Federführend hierbei waren auch diesmal der UN-Beauftragte Lakhdar Brahimi und der US-Botschafter in Afghanistan, Zalmai Khalilsad. Khalilsad, ein US-Bürger afghanischer Abstammung, gilt auch als Architekt der Petersbergher Vereinbarung von 2001.
In der neuen Verfassung ist die Gleichberechtigung der Frauen zwar ebenso verankert wie die Einhaltung der Menschenrechte. Dennoch bleibt für die Zukunft viel Konfliktstoff. Zwar ist die Scharia, also der islamische Rechtskodex, in der neuen Verfassung nicht explizit verankert. Aber der verabschiedete Verfassungstext kann durchaus so ausgelegt werden, dass die Afghanen ihre Freiheiten nur im Rahmen islamischer Gebote und Verbote genießen dürfen.
Die neue Verfassung ist die bereits sechste des Landes seit den 20er Jahren. Die fünf vorherigen waren alle in der Praxis gescheitert, weil die nötigen Voraussetzungen für einen stabilen Staat fehlten - insbesondere verlässliche zivile Institutionen. Nun muss sich zeigen, ob die neue Verfassung mehr Bestand haben wird.
Said Musa Samimy © DEUTSCHE WELLE / DW-WORLD.DE