Eigeninitiative gefragt
Worin bestand die Herausforderung, die Documenta nach Kabul zu bringen?
Aman Mojadidi: Die schwierigste Sache für mich als Kurator der Documenta in Kabul war, dass ich mich nicht wirklich als Kurator betrachte. Eigentlich bin ich mehr Künstler. Das war tatsächlich eine Herausforderung. Die zeitliche Planung der Documenta in Kabul war ebenfalls kompliziert.
In den letzten drei Jahren wurden von internationaler Seite große Anstrengungen in Afghanistan unternommen, Kunst und kulturelle Aktivitäten als Teil einer Reihe von Propaganda- und Informationskampagnen zu unterstützen und finanziell zu fördern. Das gilt für die USA, Großbritannien, Frankreich und andere Staaten. Dieses Vorgehen bedeutete eine große finanzielle Investition in diese Aktivitäten, um das Bild zu kreieren, Afghanistan sei nun in einer viel besseren Verfassung als zuvor, was schließlich zum wahrscheinlichen militärischen Abzug dieser Länder führen soll. Von jetzt an bis 2014 werden die Mittel gekürzt, was auch schon begonnen hat. Die Schwierigkeit bestand also darin, sicherzustellen, dass die Documenta nicht auch eine der Initiativen sein würde, die diesen Kürzungen zum Opfer fällt.
Wie haben Sie dieses Problem gelöst, das Sie gerade angesprochen haben?
Mojadidi: Anfangs gab es einen Ansatz der eigentlich gar kein wirklicher Ansatz war. Dieser bestand darin, zu sagen: "Wir haben kein konkretes Konzept" und, dass "wir einfach in das Land gehen und hier Aktionen auf die Beine stellen werden". Auf die eine Art war das eine interessante Herangehensweise, weil es keine vorgefassten Ideen oder Modelle implizierte.
Gleichzeitig sind in Afghanistan aber bestimmte Formen des Konflikts oder auch von Entwicklungsprojekten so tief verwurzelt, dass, wenn man sich nicht auf ein Konzept festlegen will, sich diese Konturlosigkeit einer Form anpassen wird, die schon besteht. Und genau das wurde zum Problem. Wir haben daran sehr lange Zeit gearbeitet.
Viele Afghanen haben Vorbehalte gegen Spendenmittel und NGOs. Können Sie nach zwei Jahren der Vorbereitung sagen, dass die Documenta in Kabul dieser Falle entgangen ist?
Mojadidi: Es bleibt schwierig. Ein Beispiel ist die Art und Weise wie die Seminare gestaltet wurden. Statt einen eher pädagogischen Ansatz zu verfolgen, versuchte die Documenta diese sehr interaktiv zu gestalten. Einige Künstler nutzten die Seminare um gemeinschaftliche Kunstprojekte umzusetzen, statt nur eine Art Frontalunterricht zu geben, nach dem Motto: "Du musst das lernen, was ich weiß".
Welche afghanischen Künstler sind Teil der Documenta?
Mojadidi: Da wären zunächst ich selbst, dann Khadem Ali, der vor allem zu zeitgenössischen Miniaturen arbeitet, und Jeanno Gaussi, ein in Berlin lebender afghanischer Künstler, der sich mit Multimedia-Projekten beschäftigt. Dann gibt es noch Zalmai, einen Fotojournalisten, der etwas mehr Künstlerisches für die Documenta gemacht hat. Wir haben zudem Zolaykha Sherzad, eine Designerin, die auf der Grundlage von Textilien arbeitet und Masood Kamandy, dessen Werk sich um digitale Photographie dreht und der ein Programm entwickelt hat, das mehrere Photos zur gleichen Zeit aufnimmt und diese dann auf ein einziges Bild herunter brechen kann, sodass sie am Ende eine Art abstraktes Gemälde ergeben.
Es gibt noch drei Künstler, die aus den Seminaren in Kabul ausgewählt wurden. Das sind Qasem Foushanji, Mohsen Taasha und Zainab Haidary, von denen jeder in verschiedenen Bereichen arbeitet: Mohsen mit zeitgenössischen Miniaturen, Zainab mit abstrakter Malerei und Qasem mit kombinierten Medieninstallationen. Sie wurden für einen dreiwöchigen Aufenthalt in Kassel ausgesucht und werden ihre Werke auch in Kabul ausstellen.
Außerdem gibt es noch Rahraw Omarzad, der einige Zeit lang ein Zentrum für zeitgenössische Kunst in Kabul geleitet hat und Miriam Ghani, eine afghanisch-amerikanische Künstlerin, die einen Film sowie Videoarbeiten zeigt. Und da ist noch Barmak Akram, ein Filmemacher, der für diesen Anlass an Medieninstallationen gearbeitet hat.
An der Documenta nehmen nicht nur Afghanen teil, sondern auch afghanische Künstler mit einer doppelten oder multikulturellen Identität. Wie würden Sie afghanische Kunst definieren?
Mojadidi: Die zeitgenössische Kunstszene in Afghanistan ist seit langem verkümmert. Sie hat in den letzten Jahren eine Wiederbelebung gesehen. Doch ich würde nicht so weit gehen, sie als "afghanische Kunst" zu bezeichnen, weil ich denke, dass für die Kunst, wie sie in Kabul und Kassel ausgestellt wird – wie für andere Künstler auch – gilt, dass sie nicht an Nationalitäten gebunden ist. Wenn man sich die Kunst des Mittleren Ostens derzeit anschaut, ist es in gewisser Weise ähnlich.
Heutzutage hat alles mit Geopolitik zu tun. In einem europäischen Kontext bezeichnet man Werke auch nicht als "französische Kunst", aber man würde stattdessen in einem bestimmten Zusammenhang sagen, dass ein bestimmtes Werk von einem französischen Künstler stammt. Auf der anderen Seite stimmt es natürlich, dass die politischen und ethnischen Aspekte im afghanischen Kontext immer noch sehr aufgeladen sind.
Was wird die Documenta für die afghanische Kunstszene verändern? Ist ein Langzeiteffekt zu spüren?
Mojadidi: Finanzielle Unterstützung wird offenbar immer eine Rolle spielen. Aber ich mag die Idee, dass die Documenta nach der Ausstellung nicht mehr so stark finanziell involviert sein wird. In Afghanistan hat sich nämlich eine Abhängigkeit von Fördergeldern herausgebildet, die die eigene Antriebskraft der Menschen blockiert. Oft warten die Leute einfach darauf, dass frisches Geld kommt, bevor sie tatsächlich damit beginnen, etwas selbst in Angriff zu nehmen.
Für mich ist Nachhaltigkeit ein fragwürdiges Wort. Es suggeriert, dass Lösungen immer von außerhalb kommen würden, was ein völlig falsches Konzept wäre. Vielleicht könnte die Formung von Künstlerkollektiven, die von den afghanischen Künstlern selbst kommen, mit Ausstellungen aus eigener Initiative heraus, ein Weg sein, einen nachhaltigeren Ansatz zu finden.
Interview: Martin Gerner
Übersetzung aus dem Englischen: Annett Hellwig
Aman Mojadidi, der 1971 in Jacksonville, Florida, geboren wurde, lebt heute in Kabul, Dubai und Paris. Er ist seit 2001 Teil der Kabuler Kunstszene und hat mit wichtigen Impulsen zu ihrer Entwicklung beigetragen.
© Qantara.de 2012
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de