Nicht alles ist Aufbruch

Auf dem Leipziger Festivals für Dokumentarfilm gaben 17 Filme von Marokko bis Saudi-Arabien Einblick in Produktion und neue Trends.

Von Martin Gerner

Für die These des "Kampfes der Kulturen" konnte sich in Leipzig keiner der Filmemacher aus dem Orient erwärmen. Das ist vielleicht die gute Botschaft, die von Leipzig ausging.

Die geladenen Regisseure verweigerten sich einem insbesondere durch die Medien geprägten Diskurs. Für die meisten Regisseure aus den arabischen Ländern steht vielmehr ein neuer Individualismus im Vordergrund, der nicht selten konträr zu den gesellschaftlichen Verhältnissen verläuft.

"Als Filmemacherin verstehe ich mich nicht als verlängerter Arm der Politik oder der täglichen Fernseh-Nachrichten", so die Libanesin Eliane Raheb, Mitbegründerin eines Filmfestivals und einer unabhängigen Film-Kooperative in Beirut. "Meine Filme entstehen, wenn sich Fragen und Wut bei mir anstauen, und ich beanspruche nicht, mit meinen Bildern allgemeingültige Antworten zu liefern".

Rahebs Fim "Suicide" (Intihar) begibt sich auf Umwegen auf die Suche nach arabischen Freiwilligen, die mit der trügerischen Hoffnung auf einen Sieg in den Irak gehen.

Andere Filme wie "Beirut Diaries: Truth, Lies and Video" der Regisseurin Mai Masri wählen die filmische Variante eines visuellen Tagebuchs. Dieses Genre spiegelt einen aktuellen Trend wider.

Masris Film skizziert Aufstieg und Niedergang der außerparlamentarischen Opposition im Libanon als Folge der Ermordung des ehemaligen Premierministers Rafik Hariri im Februar 2005. "Damals gab es viel Hoffnung. Mittlerweile sind die Machtstrukturen wieder ähnlich zementiert wie zuvor", meint Eliane Raheb.

Die eigene Person im Mittelpunkt

"Baghdad Days" der Irakerin Hiba Bassem beschreibt die Mühsal, wieder heimisch zu werden in der Nachbarschaft von Terror-Opfern und im Klima von Verdächtigungen. Demokratische Wahlen und die neue irakische Verfassung bilden hier lediglich das Dekor eines persönlichen Leidensweges.

Mitunter sucht man vergeblich eine konkrete filmische Ästhetik bei den neuen arabischen Filmen. Inszeniert wird immer wieder die eigene Person und Befindlichkeit, Ausdruck auch der neuen Medienwelt mit ihren Handycams und digitalen Schnittplätzen.

"Unser Ziel war es, eine möglichst große Bandbreite von Handschriften zu zeigen", so Matthias Heeder, Kurator der arabischen Filmreihe. "Wenn genug Geld da wäre, fiele es den Filmemachern in den arabischen Ländern auch leichter, technisch mitzuhalten."

Frauen als Filmmacherinnen

Zu den Co-Produktionen gehört Azza el Hassans "Kings and Extras. Digging for a Palestinan Image", der mit Hilfe von ARTE und der BBC entstanden ist. Sichtbar hier: Die junge Regisseurin lässt die Generation ihrer Väter hinter sich, ja sie spielt zum Teil mit deren Erbe, und dies nicht ohne Ironie.

Der Film zeigt die Suche nach dem 1982 im Krieg gegen Israel verloren gegangenen palästinensischen Filmarchiv. Schnell wird klar, dass sich die Suche auf einige der damaligen Protagonisten des Archivs konzentriert, statt auf wieder gefundenes Filmmaterial. Der Intensität des Films tut das keinen Abbruch, "aber der spielerische Umgang mit dem Sujet hat die ältere Generation eher verstört", verrät die Autorin.

Frauen als Filmmacherinnen sind im Nahen Osten längst keine Ausnahme mehr. Anders in Saudi-Arabien: Haifaa Al Mansour wurde in Leipzig als "einzige Filmemacherin aus dem Golfstaat" vorgestellt.

Ihr Film "Women without Shadows" zeigt Gespräche mit Frauen aus einem Land, in dem es keine Kinos gibt. "Vor drei Jahren wurde ich als Filmemacherin nicht wahrgenommen, mittlerweile bringt man mir Respekt entgegen", erzählt die Autodidaktin über Zeichen der Veränderung in ihrem Land.

"Filmschulen gibt es in Saudi-Arabien nicht. Kino ist ein Konzept aus dem Westen, und wir borgen es uns gerade aus", so Haifaa Al Mansour. Sie kann sich bei ihrer Arbeit auf einflussreiche Fürsprecher aus dem saudischen Königshaus stützen. Reform aus der Mitte der Gesellschaft oder Reform von oben, lautet hier die Frage.

Knappe Mittel

Gemein sind den arabischen Filmemachern die Knappheit der Mittel: Öffentliche Förderung gibt es nicht. Dabei ist die Unterstützung durch westliche Gelder gar nicht immer angestrebt:

"Co-Produzenten aus Europa schauen nicht selten, dass exotische Kamele und Geschichten unterdrückter Frauen im Bild sind. Oft versuchen Europäer, ihre eigenen Stereotype in die Filme einfließen zu lassen", meint Saeed Taji Farouky, ägyptischer Filmemacher und Journalist mit Wohnort London.

Grenzüberschreitende Ansätze, wie der renommierte Dokumentarfilm "Route 181" des israelischen Regisseurs Eyal Sivan und seines palästinensischen Pendants Michel Khleifi, sind für Eliane Raheb in Zeiten wie diesen keine wirkliche Perspektive:

"Kooperationen mit israelischen Filmemachern machen für mich zurzeit keinen Sinn. Sie sollten eher versuchen, in ihrer eigenen Gesellschaft für Veränderungen zu sorgen."

Längst noch nicht alles ist also Aufbruch. Im Irak werden derzeit mehr ausländische als einheimische Dokumentarfilme produziert.

Und der syrische Filmemacher Meyar Roumi gibt zu bedenken: "'Der arabische Film' existiert für mich genauso wenig wie 'der europäische Film'. Sicher ist, dass der Libanon ganz vorne liegt. In meiner Heimat Syrien dagegen überspringen wir gerade eine ganze Etappe: Wir mutieren von einem Land ohne Filmgeschichte direkt zu einem Land der DVD-Kultur."

Martin Gerner

© Qantara.de 2006

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Webseite des Leipziger Dokumentarfilmfestivals