Meister der Desinformation
Der Syrien-Konflikt hat mehrere Narrative, die allesamt um die mediale Deutungshoheit ringen. Durchgesetzt hat sich letztendlich allerdings jene von Baschar al-Assad. Wäre dem nicht so, hätten er und seine iranischen und russischen Verbündeten Aleppo nicht im Schatten des weltweiten Desinteresses erobern können.
Dass dies so gekommen ist, hat viele Gründe. Einer davon ist, dass jene Linken im Westen, die oft und gerne vorgeben, gegen Krieg und für Frieden zu sein, Partei für Assad und Putin ergriffen haben. Die Rede ist hier vor allem von Kreisen, die sich selbst für "antiimperialistisch", "kritisch" oder "alternativ" halten – und in diesen Stunden die Einnahme Aleppos als "Befreiung" feiern.
Vermeintlich kritisch wie diese Kreise sind, fokussieren sie sich in diesem Moment nicht auf russische Bomben oder auf die Gräueltaten ausländischer Milizen auf Seiten Assads, sondern auf jene Menschen, die in Ost-Aleppo eingesperrt sind und in den letzten Tagen und Stunden Hilferufe und Abschiedsnachrichten verbreitet hatten.
Ihr besonderer Fokus liegt auf Bana Alabed, jenem siebenjährigen Mädchen aus Ost-Aleppo, der mittlerweile über dreihundert Tausend Menschen auf Twitter folgen. Für die "kritische Masse" gibt es Bana nicht. Sie wird lediglich als Propagandainstrument betrachtet, dessen Macher womöglich irgendwo in der Türkei oder in Qatar sitzt.
Ein ausführlicher Beitrag des Recherchenetzwerkes "The Bellingcat" macht deutlich, dass Bana tatsächlich existiert und im Osten Aleppos lebt. Die Autoren erinnern die Kritiker an einige Tatsachen, etwa, dass Banas Profil hauptsächlich von ihrer Mutter, einer studierten Journalistin und Lehrerin, die Englisch spricht, verwaltet wird oder dass sowohl Stromversorgung als auch Zugang zum Internet in der zerstörten Stadt möglich sind. Mittlerweile lässt sich an Banas Existenz nicht zweifeln. Ihre Familie konnte in den letzten Stunden Aleppo sicher verlassen. Journalisten und Aktivisten haben bereits zahlreiche Bilder von Bana und ihren Eltern verbreitet.
Russische Bomben sind gut
Ob das die Kritiker umstimmen wird, ist eine andere Frage. Kein Wunder, denn egal ob sie von links oder von rechts kommen – die meisten von ihnen haben schon längst ihr eigenes Bild vom Konflikt geschaffen, indem sie Assad und Putin jedes Wort abkaufen. Die Kommentare, die man unter den Videos von Interviews der beiden Staatschefs findet, sprechen oftmals Bände.
Deshalb wird Assads Sieg in Aleppo – wie kann es auch anders sein – als Erfolg gegen die US-Aggression im Land betrachtet. Dass hauptsächlich russische Bomben in den letzten Wochen und Monaten in Syrien Krankenhäuser zerstört haben, wird nicht nur zur Nebensache erklärt. Stattdessen werden die Angriffe knallhart gerechtfertigt, indem etwa behauptet wird, "Terroristen" würden sie als "Schutzschilde" missbrauchen.
Als im vergangenen Jahr ein Krankenhaus von "Ärzte ohne Grenzen" im afghanischen Kunduz von US-Kampfjets angegriffen wurde, wurde das Bild des "Terroristen" – zu Recht – nicht bemüht. Selbige Haltung ist auch bezüglich des zerstörerischen Krieges im Jemen, geführt von Saudi-Arabien durch maßgebliche Unterstützung Washingtons, der Fall. Doch sobald die Bomben aus Moskau kommen, legen viele Anti-Imperialisten und angebliche Friedensaktivisten ein anderes Maß an. Sie schweigen oder feiern.
Assads "War on Terror"
De facto hat die westliche Linke damit die Rhetorik jener angenommen, die sie stets kritisiert. Der "War on Terror" ergibt plötzlich Sinn, sobald er von Assad, Putin und ihren Propagandastellen konstruiert wird. Hauptsache, es passt ins eigene Weltbild. Verdrängt wird in diesem Kontext etwa auch die Tatsache, dass die CIA nach den Anschlägen vom 11. September eine intensive Zusammenarbeit mit dem syrischen Geheimdienstapparat pflegte – vor allem in Hinsicht auf brutale Folter von "Terrorverdächtigen".
In Syrien sieht der "gute" Krieg gegen den Terror dann in etwa wie folgt aus: Alle Syrer, die gegen Assad sind, werden zu "Terroristen", "Werkzeugen des US-Imperialismus" oder "Marionetten" Saudi-Arabiens bzw. der Türkei deklariert. Sie haben praktisch keinen eigenen Willen, kein Leid erlebt und werden vollständig entmenschlicht. Assad selbst hingegen wird als legitimer Präsident eines souveränen Staates betrachtet, als "stiller, nachdenklicher Mann", wie Jürgen Todenhöfer ihn nannte.
Zeitgleich werden seine ausländischen Gehilfen, ohne die er schon längst gefallen wäre, ausgeblendet oder relativiert. Dies betrifft nicht nur die maßgebliche Unterstützung Irans oder Russlands, sondern auch die zahlreichen Söldner und Milizen aus dem Libanon, dem Irak, Pakistan oder Afghanistan.
Diese Deutungen haben sich mittlerweile auch bei den südamerikanischen Linken durchgesetzt. So bezeichnete etwa Evo Morales, der Präsident Boliviens, Assad mehrmals als "antiimperialistischen Präsidenten", den die USA stürzen wollen.
Besonders deutlich wurde die Haltung südamerikanischer Staaten, die einen linken Befreiungskampf erfahren haben, bei der jüngsten UN-Abstimmung zum Schutz von Zivilisten in Syrien. Sowohl Kuba als auch Bolivien, Nicaragua und Venezuela gehörten zu jenen dreizehn Staaten, die dagegen stimmten und sich auf die Seite Moskaus, Teherans und des Assad-Regimes schlugen.
Ideologische Verblendung
Ignoriert werden in jenem Diskurs auch die Stimmen von syrischen Linken. Das beste Beispiel hierfür ist der syrische Intellektuelle Yassin al-Haj Saleh. Dieser wurde einst wegen seiner Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei sechzehn Jahre lang vom Assad-Regime inhaftiert.
Doch selbst Saleh, der aufgrund seiner Überzeugung vom Regime gefoltert wurde und in Interviews weiterhin die Verbrechen von Assads Machtapparat anprangert, ist für viele westliche Linke ein weiterer Wahrheitsverdreher. Saleh selbst dürfte deren Reaktion wenig überraschen, so bezeichnete er die Linke im Westen immer wieder ideologisch verblendeten Akteur, der die syrische Revolution nicht wahrhaben wolle.
Dabei beruht der Konflikt im Endeffekt auf Ungleichheit, die von einer kleinen, brutalen Machtelite ausgeht, die seit Jahrzehnten die Mehrheit des Landes unterdrückt.
Doch nun kann sich der Diktator die Hände reiben. Sein Regime hat mit all seinen Propagandalügen gewonnen. Baschar al-Assad hat es geschafft, dass sich sowohl Linke als auch Rechte hinter ihm stellen. Dass sich die österreichische FPÖ, die italienische Forza Nuova, die britische BNP sowie andere rechtsextreme Gruppierungen und Parteien seit Jahren sehr aktiv für Assad einsetzen, ist kein Geheimnis mehr. An dem rechtsextremen Kongress "Verteidiger Europas", der Ende Oktober in Linz stattfand, nahm unter anderem auch Maram Susli alias Partisan Girl, eine führende Assad-Propagandistin teil, die hauptsächlich in den Sozialen Medien aktiv ist.
Umso mehr gilt gegenwärtig festzuhalten: Wer sich weiterhin darüber aufregt, dass man den Diktator "Diktator" nennt, in jedem bärtigen Syrer einen "Terroristen" sieht oder sich darüber wundert, dass sich Menschen unter derartig dystopischen Zuständen radikalisieren, ist schuldiger als er sich bewusst ist.
Emran Feroz
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