Ehrgeiziges Mini-Emirat
Seine Gesten sind würdevoll, sein Gesichtsausdruck gelassen: Mit keiner Regung verrät Scheich Tamim bin Hamad al-Thani, was er gerade denkt. Der Emir von Qatar weiß genau, was sich für einen arabischen Monarchen ziemt. Zehn Jahre lang wurde er auf seine Rolle als Staatschef vorbereitet, unter anderem in der britischen Militärakademie in Sandhurst. Vor einem Jahr hat er das Amt von seinem Vater geerbt. Jetzt ist der 34-jährige Tamim der jüngste Staatschef der arabischen Welt – und einer der einflussreichsten.
Das hat der Monarch vor allem den riesigen Mengen an Öl und Gas zu verdanken, die dem kleinen Golfstaat einen unvorstellbaren Reichtum beschert haben. Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von mehr als 100.000 US-Dollar lag Qatar 2013 weltweit an der Spitze. Das Emirat hat sich in den vergangenen Jahren in vielen Großkonzernen eingekauft – auch in Deutschland.
Qatar besitzt unter anderem Anteile am Volkswagen-Konzern (15,6 Prozent der Stammaktien) und am Bauriesen Hochtief (zehn Prozent). Zudem investiert das Emirat in Siemens und in die Deutsche Bank. Nach eigenen Angaben ist der Golfstaat mit 18 Milliarden US-Dollar (13,9 Millarden Euro) der größte arabische Investor in Deutschland.
Kapital für große Konzerne
Die Qataris investieren ihr Kapital in internationalen Konzernen, um es dort über Kurssteigerungen und Dividendenzahlungen weiter zu vermehren. Denn die Rohstoffvorkommen am Golf sind endlich, und das Emirat will seine Wirtschaft auf eine breitere Basis stellen. Michael Stephens von der Denkfabrik Royal United Services Institute Qatar (RUSI) erklärt die Strategie: "Die Qataris versuchen, andere Akteure von sich abhängig zu machen, um ihre eigene wirtschaftliche Zukunft abzusichern. Wenn Öl und Gas zu Ende gehen und Qatar kein Geld mehr hat, um den hohen Lebensstandard zu gewährleisten, könnte es große soziale Probleme geben. Deshalb investieren die Qataris in vielen verschiedenen Ländern, um zuhause Stabilität zu gewinnen."
Von den gut zwei Millionen Einwohnern besitzen nicht einmal 300.000 die qatarische Staatsbürgerschaft. Wie in anderen arabischen Golfstaaten leben und arbeiten Tausende Einwanderer, von denen viele aus Indien, Pakistan und Bangladesch stammen, unter unwürdigen Bedingungen. In jüngster Zeit ist Qatar vor allem wegen der schlechten Behandlung von Arbeitern auf den Baustellen für die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in die Schlagzeilen geraten. Dabei sind die Arbeiter und Fachkräfte aus dem Ausland unentbehrlich für den Bauboom in Qatar.
Ehrgeiziges Emirat
Tamims Vater, Hamad bin Chalifa al-Thani, hat die Wirtschaftsleistung seines Landes innerhalb seiner Amtszeit (1995 bis 2013) versiebenfacht. Doch der wirtschaftliche Einfluss hat dem ehemaligen Emir nicht gereicht. Auch außenpolitisch hat er sich engagiert, zunächst als Vermittler bei innerarabischen Konflikten. 2008 vereinbarten die libanesischen Konfliktparteien mit Hilfe Katars einen Kompromiss, der den Weg zu Neuwahlen ebnete. Ein Jahr später unterzeichneten die sudanesische Regierung und die Rebellen aus Darfur ein Abkommen in Doha.
Mit seiner ehrgeizigen Außenpolitik hat sich der ehemalige Emir aber auch zahlreiche Feinde gemacht – unter anderem, weil Qatar im Zuge des Arabischen Frühlings die Muslimbruderschaft unterstützte. Nach der ersten freien Wahl von Mohammed Mursi zum neuen Staatsoberhaupt von Ägypten überwies Qatars Führung Milliardenkredite nach Kairo.
Auch der staatseigene Fernsehsender "Al Jazeera" bezog eindeutig Stellung für die islamistische Bewegung, obwohl sie sich mit zunehmender Machtfülle als undemokratisch entpuppte. Qatar erntete für seine Politik lautstarke Kritik.
Als Scheich Hamad im Juni 2013 überraschend die Herrschaft an seinen Sohn abgab, hofften viele, dass der junge Emir eine Kurskorrektur vornehmen würde. Das sei ihm bislang kaum gelungen, meint Nahost-Experte Stephens: "Qatar hat sich international so stark eingemischt, dass es für Tamim sehr schwer ist, sich davon zu lösen und aus dem Schatten seines Vaters herauszutreten."
Unmut im Golfkooperationsrat
Selbst im Golfkooperationsrat (GCC), dem Klub der Golfmonarchien, in dem neben Qatar noch Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Kuwait, Bahrain und Oman vertreten sind, gab es kürzlich Streit. Im Frühjahr hatten drei der sechs GCC-Mitglieder ihre Botschafter aus Qatar zurückgezogen, weil das Emirat an seiner Unterstützung für die Muslimbrüder festhielt.
Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate sehen in der islamistischen Bewegung eine Bedrohung ihrer Herrschaft. Mittlerweile scheint sich Qatar dem Druck der Golfmonarchien allerdings zu beugen: Mehrere Führer der Muslimbruderschaft, die sich in Doha niedergelassen hatten, wurden am vergangenen Wochenende des Landes verwiesen.
Wie die anderen Golfstaaten unterstützt Qatar die von den USA ins Leben gerufene Allianz gegen die Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS), die in den vergangenen Monaten große Teile des Irak und Syriens unter ihre Kontrolle gebracht hat. "Es ist sehr wichtig, dass Qatar Teil der Allianz ist", sagt Khaled Hroub, Professor für Nah- und Mitteloststudien an der Northwestern University Qatar. "Das zeigt, dass die Region sich geschlossen gegen den Islamischen Staat stellt. Weil Qatar dabei ist, wird der Unterschied zwischen den Islamisten, die Qatar unterstützt, und dem Islamischen Staat sehr deutlich."
Kurswechsel in Qatar?
Der Emir hat im Gespräch mit Bundespräsident Joachim Gauck am letzten Mittwoch (17.09.2014) Berichten widersprochen, denen zufolge radikale islamische Gruppen auch mit Geld aus dem Golfemirat gefördert werden. Reiche Qataris sollen die Gotteskrieger in den umkämpften Gebieten finanziell unterstützt haben. Künftig sollen solche Finanzquellen für Islamisten "ausgetrocknet" werden – darauf hat sich die Allianz gegen den "IS" verständigt.
"Auch Qatar profitiert davon, Teil dieser Allianz zu sein", sagt Hroub. "Denn damit steht das Emirat auf gleicher Stufe mit großen Staaten der Region, wie Saudi-Arabien, Irak und Ägypten – und das in einer Zeit, in der andere Golfstaaten alles daran setzen, Qatar zu isolieren und seinen regionalen Einfluss herunterzuspielen." Die 29 beteiligten Staaten wollen künftig die gemäßigten syrischen Oppositionskräfte stärker unterstützen. Für Qatar könnte das einen Kurswechsel bedeuten – und eine Gelegenheit für Scheich Tamim, ein eigenes außenpolitisches Profil zu entwickeln.
Anne Allmeling
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