Der unbekannte Ehrengast
Beiruts Kulturszene ist jung, und sie wächst. Dutzende Galerien haben im letzten Jahr eröffnet im wieder aufgebauten Saifi Village, gleich neben der Innenstadt. In neuen Cafés und Jazzbars in den Ostbeiruter Sanierungsvierteln legen DJs den neuesten Beat aus Europa auf, und junge Musiker rappen im libanesischen Dialekt.
"Frankfurter Buchmesse? Nie davon gehört!"
In einem alten Bahnhof veranstalten Musiker eine Techno Party. Hier verteilt Ronja Einladungen zu einer Gedichtlesung in einem privaten Kulturzentrum. "Frankfurter Buchmesse? Nie davon gehört", sagt sie. Sie ist in Schweden aufgewachsen und liest deshalb nur mit Mühe Arabisch. Die arabische Presse verfolgt sie nicht.
Das nächste Mal treffe ich sie auf der Gedichtlesung. Sie rappt über Terrorismus, "die blinden Religiösen und die agnostisch Blinden." Einige Dichter sind Teenager und reimen über Herzschmerz, andere rezitieren aus ihren schon veröffentlichten Werken.
Rawan und Sara sind oft auf solchen Veranstaltungen. Von der Buchmesse haben sie noch nichts gehört. Sara sagt, sowas interessiere sie nicht. "Ich arbeite und arbeite und verdiene gerade mal $250. Ich kann sowieso nicht nach Europa."
Simon Khuan liest Gedichte, die er in einem Buch veröffentlicht hat. "Mamlaka As-Sarasir" (Das Königreich der Kakerlaken) ist vor drei Jahren herausgekommen. Der 31-Jährige weiß, dass in Frankfurt jährlich eine große Buchmesse stattfindet, aber dass die arabische Welt dort dieses Jahr Ehrengast ist, hat er noch nicht gehört. "Wir leben hier nicht in einer Luxusperiode", sagt er. "Deshalb sind die Menschen generell nicht an Kultur interessiert."
Er hofft, dass solch eine Veranstaltung nicht zur politischen Bühne wird. "Es sollte um des intellektuellen Aspekts Willen stattfinden. Wir können unsere Probleme dort nicht lösen. Man kann ein Loch im Tisch nicht mit einer Tischdecke verstecken", sagt er. "Wenn die arabische Welt eine Botschaft hat, frage ich mich, was könnte das denn für eine Botschaft sein?"
In einem Bistro sitzt der Philosophie-Professor Bashar Haidar mit einer Kollegin und trinkt einen Cocktail. Er hat schon viel gehört von der Frankfurter Buchmesse, aber noch nichts vom diesjährigen Ehrengast. "Das hört sich fantastisch an", sagt er, als ihm das Konzept erklärt wird. "Da sollten wir hin fliegen."
Gemischte Gefühle
Die libanesischen Autoren, die zur Messe eingeladen sind, sind weniger enthusiastisch. "Seit Anfang 2004 ist alles, was ich lese nur Kritik daran. Ich habe noch nichts Positives gelesen", meint Emily Nasrallah. Drei ihrer Romane und ein Kinderbuch sind ins Deutsche übersetzt, der Roman "Septembervögel" in der vierten Auflage. "Es gab diesen späten Start, was auch die Übersetzungen von Büchern verzögert hat. Aber das sollten die Regierungen erklären."
Sie erwarte nichts, sagt sie und setzt hinzu: "Aber ich hoffe, sie haben Erfolg, denn wir haben viel zu bieten." Vielleicht könne dies der arabischen Literatur einen Schub geben. "Ich bin auch sehr glücklich, dass es in Deutschland ist, weil ich aus meiner Erfahrung das Gefühl habe, dass man uns dort sehr respektiert. Aber es ist nicht nur Deutschland. Es ist auch die Frankfurter Buchmesse. Wenn Journalisten mich fragen, ob ich nicht glaube, das Buch sei tot, sage ich ihnen immer, sie sollten mal nach Frankfurt fahren und selbst sehen." Nasrallah hat am Programm der Buchmesse 1996 teilgenommen.
Verlorenes Image
Iman Humaidan's zweiter Roman "Wilde Maulbeeren" wurde pünktlich zur Buchmesse ins Deutsche übersetzt. Sie freut sich auf Frankfurt. "Ich höre von allen um mich herum, dass es ein Skandal wird, weil wir nichts zu bieten hätten. Selbstverständlich haben wir das! Das Problem ist, dass wir auf das, was wir haben, nicht stolz sind."
Image ist ein anderes Problem. "Sie waren verloren, weil sie ihr Image verloren haben. Die großen Ideologien sind tot. Übrig geblieben sind der Fundamentalismus und die alten Regime. Leute wie wir sind marginalisiert. Meine erste Reaktion war zu fragen: Wie können wir in den Raum zwischen diesen beiden Polen eindringen?"
Iman Humaidan findet, die Buchmesse sollte anders sein als die Veranstaltungen, "bei denen der Westen denkt, Dialog mit der arabischen Welt sei Dialog mit Fundamentalisten. Ich habe dieselben Problem mit Fundamentalisten wie Ihr."
Zu folkloristisch
Manche Kritik ihrer Kollegen mag stimmen, meint sie. Viele halten die Kulturveranstaltungen im Rahmenprogramm für zu folkloristisch. Im Libanon hat die Einladung des Tanztheaters "Caracalla" zu einigem Kopfschütteln geführt.
Humaidan wollte ihre Lesung auf der Messe zusammen mit der Theatertruppe "Studio 11" aufführen. Das wäre Amateurtheater gewesen, aber weit von jeder Folklore. Doch dafür gab es kein Geld. Sie lächelt. "Die Libanesen lieben nun mal ihr 'Caracalla' so sehr," sagt sie, und fügt hinzu: "Aber der Minister hat sich sehr eingesetzt."
Viele im Libanon sind beeindruckt, dass das Kulturministerium es ohne ein nennenswertes Budget geschafft hat, genug Spenden zu sammeln, um nun 80 Leute nach Frankfurt zu schicken.
"Der eigentliche Skandal ist, dass die reichen Länder nicht genug bezahlt haben", sagt Humaidan, und meint damit die Golfstaaten.
Hannah Wettig
© Qantara.de 2004