Schreiben über die Schatten der Vergangenheit
Im libanesischen Bürgerkrieg, der von 1975 bis 1990 wütete, wussten viele oft nicht mehr, warum und wofür sie kämpften. Mit den Wirren dieses Krieges wurde auch die libanesische Schriftstellerin Huda Barakat konfrontiert, die heute im Pariser Exil lebt. Mit ihr hat sich Ibtisam Azem unterhalten.
Vielen Libanesen sitzt die Erinnerung an den langen Bürgerkrieg noch immer im Nacken – so geht es auch der in Paris lebenden libanesischen Schriftstellerin und Journalistin Huda Barakat: Vor 18 Jahren floh die heute 56jährige aus dem Libanon.
Mittellos und ohne Hoffnung auf einen Job kam sie in Paris an, eine für sie fremde Stadt, die sie nur aus einem Grund ausgesucht hatte: Dort lebte ihre Schwester, und so hatte sie wenigstens ein Dach über dem Kopf. In ihre Heimat wollte sie erstmal nicht zurückkehren. Die Schrecken des Krieges hat sie noch heute vor Augen: "Nach 15 Jahren Krieg kam es mir so vor, als ob Unmengen an Schlechtigkeiten meine Seele zersetzen", erzählt Barakat. "Mir wurde klar, dass dieses verrückte Morden keine Regeln kennt und auch mich treffen kann."
Teufelskreis des Krieges
So hatte Barakat nur noch einen Gedanken: Mit ihren Kindern den Wirren des libanesischen Bürgerkrieges zu entkommen. Heute ist Paris zu ihrer zweiten Heimat geworden. Ihre Beziehung zur alten Heimat Beirut beschreibt die Journalistin und Schriftstellerin als "krank". Der Bürgerkrieg habe ihren Glauben an das Gute im Menschen zerstört, ihr Grundvertrauen erschüttert. Als sie erkannte, dass sich die Libanesen untereinander bekämpften, wollte sie nur noch das eigene Stück Menschlichkeit retten, das in ihr noch übrig geblieben war.
Die christliche Libanesin maronitischer Abstammung, die einen Muslim geheiratet hat, passt nicht in das Schema der Kriegsparteien und nicht in die Dynamik des damaligen Konfliktes, eine Dynamik, die schließlich auch auf sie übergegriffen hatte: "Man zweifelt an allem!", sagt Barakat.
"Wenn ich diese Erfahrung nicht selber gemacht hätte, hätte ich nie gedacht, dass mir so etwas passieren wird: Während eines schweren Angriffs schlug eine Granate auch in der Nähe eines Gebäudes ein, in dem ich mich im Treppenhaus mit meinem Sohn befand. Aus Angst sprang ich nach dem Einschlag sofort zu Boden, ohne zu merken, dass ich mein Kind zurückgelassen hatte. Bis heute frage ich mich, wie ich so etwas machen konnte. Bis heute habe ich das noch nicht verarbeitet."
Außenseiter als Protagonisten
Barakats Bücher sind heute in über zehn Sprachen erschienen. Obwohl sie im Libanon eine französischsprachige Schule besucht hat, schreibt sie ihre Romane auf Arabisch. Französisch sei die Sprache für den Broterwerb, so Barakat, also für die journalistische Arbeit, Arabisch dagegen die der Erzählkunst. Kritiker loben ihr Hocharabisch - mit dem libanesischen Einschlag-, was ihre Beschreibungen realistisch mache.
Die Helden ihre Bücher sind allesamt Männer und Außenseiter der Gesellschaft. In Ihrem Buch "Stein des Lachens" ist ihr Protagonist ein Homosexueller, der versucht, im Bürgerkrieg zu überleben und sich nach ethischen Grundsätzen zu verhalten. Doch er scheitert letztendlich an der Realität des Krieges. Der libanesische Bürgerkrieg ist meist der Schauplatz, die Schicksale und Einsichten über den Krieg sind universell – eine "weibliche Perspektive" meinen viele Kritiker.
"Ich glaube nicht, dass es einen essenziellen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Autoren gibt", meint dagegen Barakat. "Allerdings lässt man Schriftstellerinnen mehr Freiheit als ihren männlichen Kollegen. Die Erwartungen an männliche Autoren sind höher als die an weibliche, und von daher stehen die Männer unter stärkerem Leistungsdruck. Wenn niemand etwas von mir erwartet, kann ich mir die Zeit lassen und in größerer Freiheit schreiben."
Die Freiheit aber hat Huda Barakat zu ihrer Kreativität verholfen. In den Libanon reist sie nur noch zu Besuch. Es hat sich viel verändert, sagt sie, an der Grundhaltung vieler Menschen und ihrer Einteilung je nach Religionszugehörigkeit jedoch kaum. Und deshalb kann sie sich auch nicht vorstellen, dort zu leben.
Man sei immer unter seinesgleichen in der Gemeinde, das ganze Leben sei von der Konfessionszugehörigkeit bestimmt, meint Huda Barakat. Man könne nicht einfach keiner Konfession angehören. Auch fragt man sich, wie Menschen zu Mördern werden konnten. Der Bürgerkrieg habe ihr die Augen geöffnet und das abscheuliche Elend der Menschen gezeigt. "Es war, als ob die Leute kein Gedächtnis hatten."
Ibtisam Azem
© DEUTSCHE WELLE 2007
Qantara.de
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