Kein arabischer Frühling in der Bildung

An den Aufständen in der arabischen Welt haben sich vor allem junge Menschen beteiligt. Mit gutem Grund. Sie haben kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Dabei sind viele besser ausgebildet als ihre Eltern. Von Loay Mudhoon

Von Loay Mudhoon

Den einen Arm in die Höhe gereckt und die Finger zur Faust geballt, in der anderen Hand das Diplom: Diese Bilder von protestierenden Hochschulabsolventen in Tunis und Kairo gingen um die Welt. Denn trotz ihrer hohen Qualifikation finden viele arabische Jung-Akademiker keinen Job. Dabei sind sie deutlich besser ausgebildet als ihre Eltern, haben jede Chance auf Bildung genutzt.

Die Arbeitslosigkeit der jungen Generation hat aber nicht nur Auswirkungen auf ihre persönliche finanzielle Situation. In den konservativen arabischen Gesellschaften ist eine Partnerschaft oder Familiengründung ohne festes Einkommen kaum möglich. Kein Wunder also, dass sich die Wut bei den jungen Akademikern in Protesten Luft gemacht hat. Verantwortlich für ihre Misere machen sie die Bildungs- und Wirtschaftspolitik der arabischen Regierungen in Nordafrika und Nahost.

Wirtschaftswachstum ohne Arbeitsplätze

Dabei haben die meisten arabischen Staaten in den letzten Jahren große Summen im Bildungsbereich investiert, und die Zahl der Universitätsabsolventen stieg rasant. Zudem verzeichneten arabische Volkswirtschaften hohe Wachstumsraten in den vergangenen zehn Jahren. Doch den Regierungen gelang es nicht, ihre Industrie und Investitionspolitik so auszurichten, dass qualifizierte Arbeitsplätze für einheimische Hochschulabsolventen entstehen konnten, wie das Beispiel Tunesien zeigt.

Schülerinnen in Tripolis; Foto: © DW Essam Zuber
Drohende Wissenskluft: Trotz Investitionen im Bildungsbereich schneiden viele arabische Staaten im internationalen Vergleich schlecht ab

​​Die tunesische Wirtschaft ist in den letzten Jahren überdurchschnittlich gewachsen, blieb jedoch zu stark abhängig vom Textilien-Export nach Europa und vom Tourismus. Allerdings konnten und können gut qualifizierte Jung-Akademiker weder in der Textil- noch in Tourismusbranche entsprechende Jobs finden. Neben der eindimensionalen, meist staatlich gelenkten Wirtschaftspolitik erschweren Korruption, Misswirtschaft und die überbordende Bürokratie die Schaffung von qualifizierten Arbeitplätzen durch private Investoren und Dienstleister.

Fehlgeleitete Bildungskonzepte

Auch wenn die Regierungen in den vergangenen Jahren viel Geld in das arabische Hochschulwesen und die Schulen investierten, können sie noch lange keine Erfolge aufweisen. Bildungsexpertin Sabah Safi warnt deshalb schon seit Jahren vor einer "wachsenden Wissenskluft", die die arabische Welt zu lähmen droht. Als Beleg für die mangelnde Qualität arabischer Universitäten führt Safi, die seit 25 Jahren an der König-Abdulaziz-Universität in Jeddah arbeitet, die Zahl der angemeldeten Patente an.

"Die Zahl der Patente, die aus der arabischen Welt angemeldet werden, ist im internationalen Vergleich erschreckend niedrig", sagt sie. Während Südkorea alleine in den vergangenen Jahren mehr als 16.000 Patente angemeldet habe, seien alle arabischen Länder im gleichen Zeitraum zusammen auf weniger als 1000 Patentanmeldungen gekommen.

Veraltete Lernmethoden und fehlende Berufsorientierung

Die Ursachen für diesen Notstand liegen laut Safi in erster Linie in einem veralteten und überholten Schulsystem. Immer noch wird das aktive Denken in den staatlichen Schulen durch eine Kultur des Auswendiglernens blockiert, die von schlecht qualifizierten und bezahlten Lehrerinnen und Lehrern ausgeht. Diese überholte Lernmethodik führt dazu, dass "arabischen Universitätsabsolventen grundlegenden Kompetenzen fehlen und sie somit auf Dauer im internationalen Wettbewerb nicht bestehen können", erklärte Safi kürzlich im saudischen Staatsfernsehen.

Sonja Hegasy; Foto: Oliver Möst
Es fehlt an Demokratie und Transparenz an Schulen und Universitäten: "Mitbestimmung wird hier mit allen Mitteln blockiert", sagt Sonja Hegasy

​​Trotz großer Erfolge bei der Alphabetisierung haben arabische Staaten es versäumt, das Schulwesen und die Berufsorientierung so zu reformieren, dass sie mit einer marktgerechten Beschäftigungspolitik harmonieren. Und auch deshalb existiert in vielen arabischen Ländern ein Überangebot an Naturwissenschaftlern, vor allem an Ärzten und Ingenieuren, während es an qualifizierten Journalisten, Soziologen und Politologen überall mangelt.

Kein arabischer Frühling an Schulen und Universitäten

Eine Bildungspolitik mit gravierenden Folgen, denn ausgerechnet jetzt, in Zeiten historischen Wandels, benötigen die arabischen Staaten besonders die Geisteswissenschaftler, um zivile staatliche Strukturen wie Parteien, Medien und Gewerkschaften aufzubauen. Um die arabische Welt aus ihrer passiven Konsumentenrolle zu befreien, ist es nach Ansicht internationaler Experten von zentraler Bedeutung, mehr Demokratie, Transparenz und Mitbestimmung von Schülern und Studenten zuzulassen.

Aber genau an dieser Stelle hinken Schulen und Universitäten am Golf und Nordafrika dem arabischen Frühling hinterher, meint Sonja Hegasy, Vizedirektorin des Zentrums Moderner Orient in Berlin. "Es ist ein großes Problem, dass die Mitbestimmung von Studenten und Schülern trotz der Umbrüche in der arabischen Welt vom alten Establishment mit allen Mitteln blockiert wird", betont sie und nennt auch gleich ein prominentes Beispiel: "Selbst die Deutsche Universität in Kairo droht ihren Studenten, die sich organisieren wollen, mit Sanktionen."

Loay Mudhoon

© Deutsche Welle 2012

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de