Der Libanon in syrischer Geiselhaft

Nach dem Anschlag auf den libanesischen Geheimdienstchef stehen in Beirut die Zeichen auf Sturm. Die Angst vor einem erneuten Bürgerkrieg geht um. Von Karim El-Gawhary

Von Karim El-Gawhary

Es war eine Autobombe, deren politische Druckwelle den ganzen Libanon und dessen Nachbarn zum Beben bringt. Als am Freitag der Sprengstoff hochging und den libanesischen Geheimdienstchef Wissam al-Hassan in Stücke riss, war schnell klar, dass die Folgen dieses Anschlages das Potential haben, die ohnehin instabile Lage in der Region vollends außer Kontrolle geraten zu lassen.

Es wäre nicht das erste Mal, dass ein solches Attentat im Libanon unaufgeklärt bleibt. Aber hier steckt der Zündstoff nicht in den bisher unbekannten Fakten rund um den Anschlag, sondern in der Wahrnehmung. Es gibt kein Bekennerschreiben, es gibt bisher auch noch keinerlei Beweise dafür, wer dahintersteckt. Doch bei der Motivsuche deuten viele Finger in Richtung des syrischen Regimes.

Eine Botschaft aus Syrien?

Der Geheimdienstchef Al-Hassan hatte im Sommer eine Untersuchung geleitet, die zur Verhaftung des prosyrischen Informationsministers Michel Samaha geführt hatte, dem vorgeworfen wird, im Auftrag des Regimes in Damaskus Sprengstoff in den Libanon geschmuggelt zu haben. Der Anschlag könnte eine Racheaktion sein, glauben viele. Aber das ist nur an der Oberfläche gekratzt.

Beiruter Feuerwehrleute versuchen verzweifelt der zahlreichen Autobrände Herr zu werden; Foto: dapd
Seit dem Bombenanschlag am vergangenen Freitag kam es in der libanesischen Hauptstadt Beirut zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit mehreren Toten und Dutzenden Verletzten. Beiruter Feuerwehrleute versuchen verzweifelt, den zahlreichen Autobränden Herr zu werden.

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Möglich ist auch, dass das Attentat eine Botschaft aus Damaskus ist, die da lautet: "Das syrische Regime kann den Libanon jederzeit über Nacht anzünden, wenn es sich zu sehr in die Ecke gedrängt fühlt." Eine Art Warnung: Wenn das syrische Regime stürzt, dann stürzt der Libanon mit.

Das dritte Motiv für Baschar al-Assad wäre ein klassischer taktischer Zug. Seit Monaten herrscht zwischen dem Regime und den Aufständischen in Syrien eine Pattsituation. Das Regime kann die Zeit nicht mehr zurückdrehen und die Aufständischen schaffen es nicht, die Autokraten in Damaskus zu stürzen. Assad könnte in einer Eskalation einen Ausweg sehen. Indem er mehr und diesmal im Libanon zündelt, gäbe er dem Syrienkonflikt mehr regionale und internationale Dringlichkeit, das ganze schnell und nicht ohne, sondern mit dem Regime zu lösen. Wie gesagt, das ist der Versuch, durch die Suche nach Motiven zum Täter zu kommen. Beweise gibt es nicht, genauso wenig wie das syrische Regime ein Alibi hat.

Wiederaufflammen des Bürgerkriegs?

Für den Libanon selbst könnte das Ganze verheerende Folgen haben. Je blutiger der Konflikt im benachbarten Syrien wird, desto mehr hängt über dem Libanon das Damoklesschwert eines Bürgerkrieges. Denn die politischen und konfessionellen Konstellationen sind in beiden Ländern ähnlich.

Sprengstoffanschlag auf dem Sassine-Platz im Beiruter Christen-Viertel Aschrafijeh; Foto: Reuters
Bei der Trauerfeier für den bei dem Anschlag getöteten Chef des Polizei-Geheimdienstes Wissam al-Hassan kam es zu Krawallen. Demonstranten forderten die Schließung der Syrischen Botschaft, den Rücktritt der Regierung und die Entwaffnung der Hisbollah, welche das syrische Regime stützt.

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Das syrische Regime und das im Libanon demokratisch gewählte, von der Hisbollah dominierte Regierungsbündnis ziehen ebenso an einem Strang wie die syrischen Aufständischen und die libanesische Opposition. Herrscht in Syrien seit Monaten ein militärisches Patt zwischen beiden Seiten, ist der Libanon seit Jahren durch ein politisches Patt zwischen beiden Strömungen paralysiert.

Angereichert wird diese in beiden Ländern polarisierende Lage auch noch durch regionale und internationale Sponsoren. Genießt das Regime in Damaskus und die Hisbollah im Libanon die Unterstützung des Iran, befinden sich die syrischen Aufständischen und die libanesische Opposition in der politischen Umlaufbahn Saudi Arabiens und der USA. Diese Verstrickung macht den Konflikt dringlicher, aber auch viel schwieriger zu lösen und führt dazu, dass sich der Libanon in syrischer Geiselhaft befindet.

Dem sind als einziges beruhigendes Gegengewicht die Erfahrungen und die Erinnerungen eines guten Teils der Libanesen an den 15 Jahre andauernden eigenen blutigen Bürgerkrieg entgegenzusetzen. Eine Erfahrung, die viele nicht wiederholen wollen und die derzeit einzige Hoffnung, dass sich die Libanesen diesmal nicht in den Strudel hineinreißen lassen.

Karim El-Gawhary

© Qantara.de 2012

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de