Ein schlafender Tiger

Spätestens mit den Protesten nach den letzten Präsidentschaftswahlen hat sich das Bild vom Iran in der Weltöffentlichkeit gewandelt. Wie facettenreich und widersprüchlich das Land aber tatsächlich ist, schildert Andrea Claudia Hoffmann in ihrem Buch.

Eine Rezension von Claudia Mende

​​Seit der Islamischen Revolution vor 30 Jahren schaut die Weltöffentlichkeit mit einer Mischung aus Faszination und Schrecken auf den Iran. Der Atomkonflikt und die anti-israelischen Ausfälle von Präsident Ahmadinedschad prägen derzeit das Bild Irans im Westen.

Mittelalterlich und rückständig lauten die üblichen Vokabeln, mit denen der Gottesstaat oft beschrieben wird. Nach der Niederschlagung der Proteste gegen die Wahlmanipulationen scheinen die Hoffnungen auf schnellen Wandel enttäuscht.

Facettenreichtum Irans

Das Buch "Der Iran. Die verschleierte Hochkultur" ist vor den Protesten im Iran erschienen. Autorin Andrea Claudia Hoffmann ist Focus-Auslandsredakteurin, sie war in den letzten zehn Jahren häufig als Journalistin im Iran und spricht fließend Farsi. Der Klappentext verheißt einen Blick hinter die üblichen Klischees.

Der Leser wird nicht enttäuscht und lernt tatsächlich auch unerwartete Seiten des Landes kennen. Das Buch ist ein guter Einstieg für alle, die sich nicht mit oberflächlichen Medienbildern über den Iran zufrieden geben wollen.

Hoffmann beschreibt zunächst anschaulich die Geschichte des persischen Vielvölker-Mixes aus ethnischen Persern, Arabern, Kurden, aserbaidschanischen Azaris und einer Vielzahl kleinerer Minderheiten.

Sie erläutert die Spannung von vor-islamischem Erbe und Schiitentum sowie die jahrhundertealte kulturelle Rivalität zwischen Persern und Arabern, bis hin zu einem kuriosen Streit um die Bezeichnung "Persischer Golf" für das Gewässer an der Straße von Hormuz.

Spannungsreiches Verhältnis zum Westen

Mohammad Mossadegh; Foto: Farshad Bayan/DW
Irans demokratischer Hoffnungsträger, Ministerpräsident Mohammad Mossadegh, wurde 1953 durch eine CIA-Putsch gestürzt und verbannt.

​​Das Land war schon einmal auf dem Weg in eine Demokratie westlicher Prägung. Unter Premierminister Mossadegh war die schiitische Geistlichkeit weitgehend entmachtet, eine Trennung von Staat und Religion in Reichweite.

Dann verstaatlichte Mossadegh die persischen Ölfelder und kam so den Interessen der Amerikaner in die Quere. Die CIA organisierte 1953 seinen Sturz und brachte den korrupten Schah Reza Pahlavi zurück auf den Thron – einen willfährigen Partner des Westens.

Der Putsch gegen Mossadegh löste im Iran ein massives Misstrauen gegenüber dem Westen aus, das bis heute anhält. Der Schah schließlich versuchte eine brutale Modernisierung des Landes von oben, die bekanntlich in der islamischen Revolution von 1979 mündete.

Hoffmann lässt keinen Zweifel am diktatorischen Charakter der islamischen Republik, so wie Ayatollah Khomeini sie begründet hat. Mit der "welayat-e faqih" als Herrschaftsprinzip des schiitischen Klerus, hat Khomeini die Alleinherrschaft und Despotie des Geistlichen an der Spitze des Staates religiös legitimiert.

Überraschenderweise gelang es ausgerechnet der schiitischen Geistlichkeit, sich als einzige gesellschaftliche Gruppe diesem autoritären System teilweise zu entziehen, so dass heute die schärfsten Kritiker aus ihren Reihen stammen.

Ein jüdisches Altenheim in Teheran

Besonders interessant ist das Kapitel über religiöse Minderheiten. Im israelfeindlichen Iran dürfen Juden Synagogen errichten und dort ungestört nicht nur ihre Gottesdienste abhalten. Mit 35.000 Mitgliedern ist die jüdische Gemeinde Irans sogar die größte im muslimischen Kulturkreis.

Hochzeitszeremonie der jüdischen Gemeinde in Teheran; Foto: AP
Mit 35.000 Mitgliedern ist die jüdische Gemeinde Irans sogar die größte im muslimischen Kulturkreis.

​​Zudem sind die Gotteshäuser voll, die Gemeinden aktiver als zur Zeit des Schahs. Allein elf Synagogen gibt es in Teheran, daneben eine jüdische Bibliothek, ein Altenheim, einen Friedhof und zwei jüdische Restaurants. "Das jüdische Leben in der Hauptstadt der Mullah-Republik floriert", resümiert die Autorin.

Ausführlich schildert sie die paradoxe Situation der iranischen Frauen zwischen mittelalterlichen Gesetzgebung und gesellschaftlicher Emanzipation, die sie ironischerweise auch der Islamischen Revolution verdanken.

Den stereotypen Bildern von der unterdrückten Frau im schwarzen Tschador setzt die Autorin ihre genauen Beobachtungen über die Lebensrealität im Iran entgegen und kommt zu einem differenzierten Ergebnis.

Emanzipierte Frauen

Die Mullahs selbst haben ungewollt mit ihrer Alphabetisierungskampagne und dem kostenlosen Zugang zur Bildung die Position der Frauen gestärkt. Hier liegt auch der größte Unterschied zwischen dem Iran und seinen arabischen Nachbarländern: Es gibt fast keine Analphabeten mehr im Land.

Junge Frauen im Iran; Foto: DW
Heute sind nahezu 100 Prozent der Frauen unter 30 Jahren alphabetisiert, an den Universitäten stellen Männer mittlerweile eine Minderheit dar.

​​Weil Schulen und Universitäten nur noch nach Geschlechtern getrennt unterrichten, entfällt für Eltern der Vorwand, ihre Töchter von den Klassenzimmern fernzuhalten.

Heute sind nahezu 100 Prozent der Frauen unter 30 Jahren alphabetisiert, an den Universitäten stellen Männer mittlerweile eine Minderheit dar, rund zwei Drittel der Studenten sind weiblich. Hoffmann beschreibt, wie Anwältinnen ihre Klientinnen beraten, damit sie die harschen islamischen Gesetze erfolgreich umgehen können.

Zum Beispiel mit einer Liste von Sonderrechten, die zukünftige Ehemänner vor der Hochzeit unterschreiben müssen, damit ihren Frauen das Recht bleibt, einen Reisepass zu besitzen, außer Landes zu reisen und sich scheiden zu lassen.

Der Iran wird sich verändern

Hinter dem frommen Schein steht so für die Autorin eine ganz andere gesellschaftliche Wirklichkeit. Es ist die Stärke des Buches, dass es diese Wirklichkeit mit vielen konkreten Beispielen sichtbar werden lässt.

Die iranische Jugend ist bestens ausgebildet und gut informiert. Junge Menschen beherrschen Fremdsprachen und surfen im Internet. In Chat-Foren und Blogs machen sie sich von der Informationspolitik des Regimes unabhängig.

Für Hoffmann ist Irans Jugend "ein schlafender Tiger, der die Zukunft des Gottesstaats demnächst in die eigene Hand nehmen wird". Die Erben der Revolution werden das Land schon bald verändern, das hat sie bereits vor den Protesten gegen die Wahlmanipulation prophezeit.

Claudia Mende

© Qantara.de 2009

Andrea Claudia Hoffmann: "Der Iran. Die verschleierte Hochkultur", Verlag Diederichs, 2009

Qantara.de

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