Facelift für Ammans Traditionsläden
Auf dem schmalen Schaufenster klebt ein auffälliges Logo. Oben und unten sieht man zwei Schriftzüge: "Schneider seit 1957" auf Arabisch und auf Englisch. Sie umrahmen die gezeichnete Büste eines Mannes, er trägt Schnäuzer und eine karierte Schlägerkappe.
Im Laden, ein Sammelsurium aus Stoffen, Garnen, Scheren, Stecknadeln und Skizzen, sitzt an einer Nähmaschine Khaled – der Mann mit der Karokappe. Sein Geschäft liegt in Jabal Al-Nuzha, eines der ärmeren Viertel von Jordaniens Hauptstadt Amman, er arbeitet dort seit Jahrzehnten. Fast genau so lange fiel die Schneiderei nicht weiter auf – ein unscheinbarer Laden wie viele andere in einer Gasse voller grauer Häuserfassaden. Doch dann kam das Logo mit der Mütze und Khaleds winzige Werkstatt wurde zur Attraktion des Viertels.
Eigenes Logo und eigener Schriftzug – für einen "Ein-Mann-Traditionsbetrieb" ist eine attraktive Optik eigentlich unerschwinglich. Hussein Alazaat, 32, und Ali Almasri, 27, Graphikdesigner aus Amman, wollen das ändern. Ihre Strategie besteht darin, alteingesessenen Betrieben und Läden ein neues Gesicht zu verleihen. Mit maßgeschneiderten Schriftzügen und individuellen Signets, die sich an Charakteristika des jeweiligen Inhabers und an den Bedürfnissen seines Betriebs orientieren. Und die den Besitzer nichts kosten.
Aussterbende Handwerkerberufe
Bisher spielte das Erscheinungsbild des Unternehmens für Geschäftsleute wie den Schneider Khaled keine Rolle, sagt Alazaat. "Der Wirtschaftseffekt von Design, sein Einfluss auf Kunden und Käufer, das ist kleinen Betrieben unbekannt."
Wobei es auch einmal anders war. Die 1950er und 1960er waren in der arabischen Wirtschaftswelt die Hochphase der Schrift- und Schildermaler, die Vorläufer der heutigen Graphikdesigner. Doch mit dem Computerzeitalter starben die Handwerksberufe aus, an die Stelle der Kunst rückte der Rechner. "So wuchs ein wildes Chaos aus Schriften und Symbolen", sagt Alazaat. Das Amman von heute leide "unter visueller Verschmutzung."
Seit zwei Jahren geht er mit seinem Kollegen Almasri dagegen an. Auslöser war Khaled, der Schneider in Jabal Al-Nuzha. Alazaat ist in dem Viertel aufgewachsen, seine Eltern leben dort nach wie vor. "Hemden ändern und Hosen kürzen, das kostet in der Gegend kaum etwas und Khaled verdiente gerade so viel, dass er die Miete für seinen Laden zahlen konnte", sagt Alazaat. "Irgendwann fragten wir uns: Wie können wir ihm mit unserem Design-Wissen und unseren Erfahrungen mit dem Kreieren einer Marke helfen?"
Das Spiel mit der Kalligraphie
Ihre Antwort: Khaleds Geschäft muss sichtbarer werden, das Schaufenster braucht ein Logo. Die beiden Designer entwarfen eine Art Wappen im Retro-Look. Im Fokus steht jedoch das Markenzeichen des Inhabers, seine Mütze. Auch der Schrifttyp ist maßgeschneidert, die Buchstaben bestehen aus einem Muster, das an Stoffe erinnert. "Das Spiel mit Kalligraphie, das Wiederbeleben arabischer Schriftkunst ist das zentrale Element unserer Arbeit", sagt Almasri.
Die neue Optik des Schneidergeschäfts wirkte schnell, erzählt Alazaat, die ganze Nachbarschaft sprach plötzlich über Khaleds Laden. "Für ihn bedeutete die neue Aufmerksamkeit aber nicht nur mehr Umsatz, sondern vor allem Anerkennung. Durch unser Projekt fühlte er sich und seine Arbeit wieder wertgeschätzt." Für das kreative Duo war es ein Beweis, dass Design nicht nur einen unternehmerischen, sondern auch einen sozialen Zweck erfüllt. Vom Erfolg der Schneider-Aktion beflügelt, gründeten die beiden 2012 'Wajha', eine unabhängige Design-Initiative für kleine Geschäfte, 'Wajha' ist das arabische Wort für 'Fassade'. "Sie ist das Erste an einem Geschäft auf das der Kunde trifft", erklärt Alazaat. "Die Fassade eines Ladens ist das Kommunikationsmittel, durch das der Inhaber mit den Passanten in Verbindung tritt."
Hinweisschilder allerorten
Für den Friseur Abu Ahmad war das ein Problem. Sein Geschäft hat keine Schaufensterfront, es liegt versteckt an einem der zig schmalen Treppendurchgänge, die Ammans Altstadt mit den angrenzenden Vierteln verbinden. Alazaat und Almasri lösten das Problem, indem sie den Durchgang selbst als Fassade nutzten. Sie sprühten Graffitis auf die Stufen und Wände, Hinweisschilder mit "Friseur xx Meter von hier" in sechs Sprachen, außerdem Symbole wie Schere, Kamm, Rasierapparat an Mauern in der Umgebung. Ein Pfad, der aus verschiedenen Richtungen zum Geschäft führt.
Abu Ahmad, ein 50-jähriger Palästinenser, der den Herrensalon seit zehn Jahren betreibt, schwärmt von der neuen Optik seines Geschäfts. Und von ihrem Effekt: "Seitdem es die Bilder und Schilder gibt, kommen viel mehr Kunden zu mir, neuerdings auch Touristen."
Ein Mitspracherecht beim Design hatte der Friseur jedoch nicht. Wie sooft bei den 'Wajha'-Projekten. Nicht einmal ein Blick auf den endgültigen Entwurf sei den Geschäftsleuten erlaubt, sagt Almasri. "Wir sind die Experten für Design. Wir entwerfen ein Konzept, das wir für passend halten. Und genau so setzen wir es um." Bisher ging die Strategie auf. Was an einem einfachen Prinzip liegt: Die Ladenbesitzer erhalten ein Design, bei dem sie selbst die zentrale Rolle spielen.
Es gelingt, weil Alazaat und Almasri versuchen, den Charakter des Inhabers zu ergründen "Wir stellen Fragen zu seiner Familie und seinen Hobbies stellen, zu seinen Wünschen und Träumen." Der Besitzer eines Buchladens nannte als seine große Leidenschaft das Angeln. Die Designer entwarfen ein Geschäftslogo, das einen Mann zeigt, der angelt. Nach Fischen. Oder nach frischem Lesestoff.
War es beim Schneider nur die Fensterfront, kreierten Alazaat und Almasri für den Buchhändler eine komplette "corporate identity"– allerdings zu einem Niedrigpreis. Der Clou ist ein einziger Stempel, von Visitenkarten über Briefbögen bis zu Lesezeichen druckt der Händler nun alles selbst.
Kostenlose kreative Dienste
Ihre individuell abgestimmten Ideen und kreativen Dienste bieten Alazaat und Almasri den kleinen Geschäften kostenlos an. Die Materialkosten sind gering und an den Projekten arbeiten die beiden neben ihren normalen Jobs in einer Graphikdesign-Agentur. Allerdings profitieren die jungen Designer auch von ihrem Projekt. Zum einen, weil es sie in der Stadt bekannt macht und in der Werbeszene. Zum anderen, weil es wie eine Weiterbildung wirkt, da sie mit anderen Kreativen zusammenarbeiten.
Etwa mit dem ältesten Schildermaler Ammans. Was die Designer am Computer entwarfen, setzte er mit Pinsel und Ölfarbe in Form eines klassischen Geschäftsschildes aus Metall um. "Wir zeigten ihm unsere Entwürfe auf dem Smartphone und erklärten unser Konzept", erzählt Almasri. "Es war ein Zusammenstoß der Kulturen und manchmal anstrengend. Gleichzeitig haben wir viel gelernt, was uns nun im Arbeitsalltag weiter hilft."
Unterdessen wächst die 'Wajha'-Initiative weiter, als nächstes Projekt steht eine Bäckerei auf dem Plan, dann ein Lebensmittel-Laden, eine Zimmerei, eine Schmiede-Werkstatt – allesamt Betriebe, die nicht gut laufen und von Inhabern geführt werden, die Alazaat und Almasri über die Familie oder Freunde kennen. "Designer zu sein, ist nicht nur ein Beruf", sagt Alazaat. "Ein Designer ist auch für das Umfeld verantwortlich, in dem er lebt." Die Welt verändern wird 'Wajha' nicht können. Aber die Fassade von Amman.
Daniela Schröder
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de