Jazzpremiere in Gaza
Ein ungewöhnliches Konzert an einem ungewöhnlichen Ort. Nach Jahren der kulturellen Isolation war die Neugier beim Publikum groß. Und perfekter hätte die Kulisse kaum sein können: Bei Vollmond unter freiem Himmel ertönten an einem warmen Sommerabend die ersten Klänge des German Women Jazz Orchestra. Es war wohl eines der ersten Jazz-Konzerte seit langer Zeit im abgeriegelten Gazastreifen.
Die zwölf Musikerinnen rekrutieren sich aus ehemaligen und aktuellen Mitgliedern des Bundesjazzorchesters. Gegründet wurde das German Women Jazz Orchestra von der Deutschen Welle und dem Deutschen Musikrat anlässlich des arabischen Frauen Football Cup 2010 in Bahrain.
Unter Leitung von Saxophonistin und Komponistin Angelika Niescier waren die jazzenden Damen spürbar mit Spaß dabei, und das Publikum zeigte sich begeistert. "Es ist ein ganz besonderer Moment, den will ich auf keinen Fall mehr missen", erzählt die junge Araberin Ghada Ziyada. "Toll, dass die Musiker an Gaza gedacht haben und hierher gekommen sind. Für uns bedeutet das Konzert ein paar Stunden Abstand von allem."
Schwierige Einreise in den Gazastreifen
Lange war nicht klar, ob die deutschen Musikerinnen überhaupt in den Gazastreifen einreisen dürften. Denn nur wer wie Diplomaten oder Journalisten eine der speziellen Genehmigungen der israelischen Behörden erhält, darf den hochgesicherten israelischen Checkpoint Erez passieren. Für die meisten Palästinenser ist der Übergang unüberwindbar.
"Ich kann es kaum fassen, dass wir in Gaza sind." Angelika Niescier, Frontfrau des German Women Jazz Orchestra, blickt fast erstaunt um sich, als die zwölf Musikerinnen letztlich auf der palästinensischen Seite ankommen. "Ich bin wirklich froh, hier in Gaza zu sein. Das erste Jazzkonzert in Gaza - Wahnsinn", sagt Niescier begeistert.
Auch Jörg Schumacher, Leiter des Goethe-Instituts in Ramallah und Mitorganisator der Konzerttour, ist sichtlich erleichtert. "Wir haben wirklich über sechs Wochen daran gearbeitet und das Ganze über verschiedenen Stellen koordiniert", erzählt er. "Und wir mussten natürlich immer einen Plan B in der Tasche haben, falls es nicht klappen sollte."
Am nur wenige hundert Meter entfernten zweiten Checkpoint, dort wo Hamas-Sicherheitsleute die Einreise in das Küstengebiet kontrollieren, gibt man sich wohlwollend gegenüber den Gästen aus Deutschland. Das normalerweise recht gründliche Durchsuchen des Gepäcks auf Alkohol und sonstige unerwünschte Dinge fällt heute weitaus kürzer aus, und die Musikgruppe weckt auch hier Interesse. Wo und wann denn das Konzert sei, will einer der Hamas-Beamten wissen und wünscht noch einen schönen Aufenthalt in Gaza.
Eine Oase für die Facebook-Generation
Am Veranstaltungsort im Café Gallery in Gaza-Stadt hat sich die Nachricht von der Ankunft der deutschen Jazzmusikerinnen schnell herumgesprochen. In wenigen Stunden muss das Open Air Café noch schnell in eine kleine Konzertarena umgebaut werden. Die Gallery gilt als alternativer Treffpunkt für junge Leute und ist für viele zu einer kleinen Oase im schwierigen Alltag geworden. Die sogenannte Facebook-Generation hat hier ihr Quartier aufgeschlagen.
Jamal Abu Al Qumsan, Inhaber des Cafés, hat trotz des Stresses bei den Vorbereitungen ein zufriedenes Lächeln auf dem Gesicht: "Ganz ehrlich, ich hätte nicht gedacht, dass das klappt", sagt er. "Wir freuen uns wirklich sehr, dass wir jetzt in den Genuss eines Jazzkonzerts kommen. Und ich bin froh, dass wir einen kleinen Teil dazu beitragen."
Alles andere als alltäglich
Denn mal eben ein Jazzkonzert zu veranstalten, ist in Gaza alles andere als alltäglich. Durch die israelische Abriegelungspolitik ist der Gazastreifen völlig abgeschnitten von der Außenwelt. Der Austausch mit Künstlern und Musikern im Ausland ist nur virtuell übers Internet möglich. Und die interne Situation, bestimmt von einer autoritären Regierung, macht es nicht einfacher: Musikkonzerte finden nur noch selten statt, seit die Hamas an der Macht ist.
Jamal Abu Al Qumsan drückt es so aus: "Die lokale Autorität interessiert sich gleich null für Musik und dann noch eine Frauenband und auch noch Jazz!" Es sei nicht einfach, fügt er mit einem Augenzwinkern hinzu, aber es gebe kleine Nischen von Freiheit. "Sagen wir es mal so: Solange wir bestimmte Einschränkungen, Regeln und soziale Werte respektieren, geht es irgendwie."
Stromausfälle und ein herzliches Willkommen
Abu Al Qumsans Sorge gilt heute einem ganz anderen Problem: Beim Soundcheck kurz vor dem Konzert fällt immer wieder der Strom aus. Ständige Stromausfälle gehören hier zum Alltag, ganz Gaza hängt deshalb an Generatoren. "Die werden das schon schaffen", beruhigt Jamal Abu Al Qumsan sich selbst und die Musikerinnen.
"Na ja, das gehört eben dazu", meint Stefanie Narr vom Jazz Orchestra gelassen, die mit ihrer elektrischen Gitarre auf Strom angewiesen ist. Sie sei einfach hin und weg von der Warmherzigkeit, mit der sie hier empfangen worden sei, so die junge Frau mit dem blonden Lockenkopf. "Am meisten haben mich die Menschen beeindruckt. Die sind so offen und ich habe das Gefühl, die freuen sich wirklich, dass wir hier sind", sagt sie. "Das ist so ganz anders als das Bild, das man aus den Nachrichten kennt."
Für Bandleaderin Angelika Niescier ist der direkte Austausch mit der lokalen Bevölkerung und den Musikern vor Ort daher auch eines der Hauptanliegen: "Es ist einfach ganz klar, dass der kulturelle Austausch hier nicht so ganz frei fließen kann. Ich habe so viele Eindrücke, die muss ich erstmal verarbeiten."
Entspanntes Happening
Kurz nach acht Uhr abends stimmen die zwölf Musikerinnen unter Beifall das erste Stück an. Mit modernem Jazz mit wenig Swing- oder Blueselementen kann hier vielleicht nicht jeder etwas anfangen. Aber das Ganze hat sowieso eher etwas von einem Happening. Das Publikum ist bunt gemischt; es ist die liberale Schicht, die hier bei Saft und Kaffee den Klängen lauscht. Nebenbei wird viel gelacht und geredet. "Hauptsache dabei sein" lautet die Devise.
Und eigentlich zählt vor allem eines: dass die Musikerinnen überhaupt nach Gaza gekommen sind. "Es ist so selten, in Gaza eine so entspannte Atmosphäre zu genießen. Hoffentlich ist dies nicht das letzte Mal", meint ein junger Mann. Ein paar Tische weiter sitzt Khaled Harara. Der 25-jährige ist in seiner Freizeit Rapmusiker, nur auftreten kann er schon lange nicht mehr, da die Hamas-Regierung solche Konzerte nicht mehr erlaubt. "Ich finde es total klasse. Ein Konzert dieser Art ist mehr, als man sich hier in Gaza erträumen kann", schwärmt er. "Ich sehe sowas sonst nur im Internet, höre Jazz auf Youtube – aber so professionelle und ernsthafte Musik in Gaza? Das ist wirklich einmalig."
Dass am Ende sogar noch zwei palästinensische Rapper für einen Song auf die Bühne kommen, ist ein Extra-Bonus. Und der Strom fiel letztlich während des einstündigen Konzerts nur zweimal aus. Das Publikum, allzu bestens vertraut mit der Situation, klatschte fröhlich Beifall – vor allem, als die Musikerinnen scheinbar unbeeindruckt einfach weiterspielten.
Tania Kraemer
© Deutsche Welle 2011
Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de