Versöhnung ist das Ziel
Während sich auf der Terrasse des "Three Arches" Hotels in Jerusalem Touristen aus aller Welt angeregt unterhalten, hören Israelis und Palästinenser in einem Konferenzraum einen Vortrag zum Thema Frieden und Versöhnung. Der Israeli Aaron Barnea, 70 Jahre alt, ist einer der Zuhörer. Sein Sohn Noam kam vor zwölf Jahren im Libanon-Krieg ums Leben. Der Schock sitzt bis heute tief.
"Wir waren eigentlich eine normale israelische Familie", sagt Aaron Barnea leise. Doch dann sei die Familienwelt "bis in ihre Fundamente" erschüttert worden, als sein Sohn fünf Tage vor dem Ende seines Militärdienstes ermordet wurde.
Wie ist es möglich, den Tod des eigenen Sohnes zu verkraften? Diese Frage stellte sich Aaron Barnea immer wieder. Er hätte Rache üben oder Vergeltung fordern können. Doch das, sagt er, "hätte meinen Sohn auch nicht wieder zurückgeholt." Deswegen entschied er sich dafür, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen und das Gespräch mit Palästinensern zu suchen, die ähnliches erlebt haben.
Den inneren Frieden finden
Bereits vor dem Tod seines Sohnes hatte Aaron Barnea einen Fernsehbericht über die israelisch-palästinensische Organisation "Parents Circle – Families Forum" (PCFF) gesehen, der Familien angehören, die durch Krieg und Terror nahe Verwandte verloren haben. Der israelische Präsident Ezer Weizman hatte Mitglieder des PCFF damals persönlich empfangen, wofür ihn politische Hardliner wiederum massiv kritisierten.
"Ich habe dem Präsidenten einen Brief geschrieben und ihm meine Unterstützung ausgedrückt", erinnert sich Aaron Barnea. "In meinen schlimmsten Albträumen hätte ich mir nicht vorstellen können, dass ich drei Wochen später selbst Mitglied in diesem Forum werden würde."
Zwölf Jahre sind seitdem vergangen. Und Aaron Barnea ist noch immer aktiv im PCFF. Der 1995 gegründeten Organisation gehören mittlerweile 600 israelische und palästinensische Familien an. Mit regelmäßigen Begegnungen, Workshops und Diskussionen möchten sie zur Versöhnung im Nahostkonflikt beitragen und gleichzeitig inneren Frieden finden.
Der Kreis der Unterstützer ist mittlerweile weit über die Landesgrenzen hinaus gewachsen: Bundeskanzlerin Angela Merkel zählt ebenso dazu wie der kanadische Sänger und Komponist Leonhard Cohen und US-Präsident Barack Obama, der die Versöhnungs- und Friedensarbeit des PCFF bei seiner letzten Nahost-Rede lobend erwähnt hat.
Keine leichte Aufgabe
Zum Treffen in Jerusalem sind rund 50 Personen erschienen – auch Mohammed Abuayash ist unter ihnen – ein Palästinenser, der aus der Kleinstadt Beit Ummar im Westjordanland stammt.
Sein Großvater wurde 1948 von israelischen Soldaten erschossen. Ende der 1980er Jahre wurden zudem zwei seiner besten Freunde von israelischen Scharfschützen getötet. "Sie starben vor meinen Augen", erinnert sich der 33-Jährige. "Wir waren damals erst elf Jahre alt."
Heute fragt sich Mohammed Abuayash: "Was haben uns 60 Jahre Krieg und Auseinandersetzung gebracht?" Seine Antwort fällt nüchtern aus: "Nichts". Beide Seiten hätten verloren, auch an Menschlichkeit.
Mohammed Abuayash ist dem PCFF deswegen schon vor acht Jahren beigetreten und damit dem Beispiel seines Vaters gefolgt, der die Organisation auf palästinensischer Seite mit aufgebaut hat. Vater, Sohn und die ganze Familie haben sich für den Weg der Versöhnung entschieden.
Dass dies auch 15 Jahre nach Gründung des PCFF keine leichte Aufgabe ist, diese Erfahrung macht Mohammed Abuayash bei den Treffen immer wieder. "Ich erinnere mich an einen Mann, der zu einem Treffen kam und sagte: "Weißt du, ich hatte Angst, dich zu treffen. Deswegen habe ich Freunde mitgebracht, wir sind zusammen hier." Begegnungen wie diese seien keine Ausnahme, überall herrschten Angst, Vorurteile und Entfremdung.
"Wir humanisieren die andere Seite"
Mohammed Abuayash führt dies auf eine Politik der Abschottung und vor allem auf den Bau der Mauer zurück, die Palästinenser und Israelis seit 2003 trennt. Die Kleinstadt Beit Ummar, in der er wohnt, liegt in einer so genannten A-Zone im Westjordanland, die Israelis nicht betreten und viele Palästinenser nicht verlassen dürfen. Frieden sei da in weite Ferne gerückt.
"In den letzten Jahren haben die Menschen aufgehört miteinander zu reden", sagt der Maschinenbau-Ingenieur. "Jede Seite bekommt nur noch das Negative der anderen mit und spricht einseitig entweder nur von Terroristen oder von Besatzern."
Diese Einschätzung teilt Aaron Barnea. "Obwohl wir oft nur einige Kilometer entfernt voneinander wohnen, wissen wir kaum noch etwas voneinander." Das Bild des Gegenübers sei geprägt von Stereotypen, wie sie in Medien verbreitet würden, ohne die Komplexität des Konflikts zu zeigen und den Blick auf den Einzelnen zu richten.
"Unser größter Beitrag besteht darin, dass wir Israelis und Palästinenser miteinander in Kontakt bringen. Wir humanisieren die andere Seite, bringen ihre Menschlichkeit in unser Bewusstsein."
Mohammed Abuayash sieht das ähnlich. "Unsere Mission ist es, den Blick gegenüber der anderen Seite zu öffnen, das Humane zu entdecken und Menschen die Möglichkeit zu geben, sich zu treffen, sich kennenzulernen." Nur auf diesem Wege sei nach dem Kampf der vergangenen Jahrzehnte Versöhnung möglich, fügt Aaron Barnea hinzu. Diesem Weg zu folgen sei absolut notwendig, denn: "Ohne Versöhnung wird es keinen Frieden geben."
Thomas Becker
© Deutsche Welle 2011
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de