Politik, Leidenschaft und Religiosität

David Broza ist einer der populärsten Musiker Israels, dessen CDs zu den meistverkauften im Land gehören. Auf seinem neuesten Album "East Jerusalem/ West Jerusalem" vereint er Musiker aus Israel, Palästina und Amerika. Mit ihm sprach Richard Marcus.

Von Richard Marcus

Es gibt Differenzen, die so groß sind und so tief liegen, dass es geradezu unmöglich scheint, sie zu überbrücken. In den Augen vieler gehört die Kluft zwischen Israel und den Palästinensern sicherlich dazu. Die Verletzungen und das gegenseitige Misstrauen sind so gewaltig und sitzen so tief, dass die Chancen verschwindend gering sind, eine gemeinsame Basis zu finden. Doch trotz all dieser vordergründigen Unvereinbarkeiten, trotz der jüngsten Gewalteskalation in Gaza gibt es auf beiden Seiten Gruppen und Individuen, die sich bemühen, sich gemeinsam aus dem Teufelskreis zu befreien, der droht, ihre Völker weiter zu entzweien.

Während des Schreckens, den der Gazastreifen zuletzt erfuhr, gründete sich auf Facebook eine neue Gruppe, die sich "Jews and Arabs Refuse to Be Enemies" nennt (Juden und Araber lehnen es ab, Feinde zu sein). Diese Plattform widmet sich einer alternativen Vision des Verhältnisses zwischen Muslimen und Juden und transportiert ein anderes Bild, das üblicherweise in den Medien vermittelt wird. Diese Facebook-Seite zeigt u.a. Menschen, die zusammenstehen und Frieden – unabhängig von ihrer Ethnizität und ihrem Glauben.

Solche Initiativen aber, die vielleicht am ehesten Hoffnung machen auf eine Annäherung, manifestieren sich auf kulturellem Gebiet – und zwar in Israel selbst. Organisationen wie "Heartbeat: Amplifying Youth Voices" oder der "Jerusalem Youth Chorus" bringen die Jugend Israels und Palästinas zusammen, um gemeinsam Musik zu machen.

Zwei vereinte musikalische Welten

Cover des Albums "East Jerusalem/West Jerusalem" von David Broza
"Not only is it an amazing album of music, it is also a wonderful reminder of how music and culture can lay the foundation for bridge-building," writes Richard Marcus of David Broza's album "East Jerusalem/West Jerusalem"

David Broza kämpft und arbeitet seit fast 30 Jahren für die gleichen Ziele. Als professioneller Musiker ist er einer der populärsten Künstler Israels und auch einer, der zahllose Alben verkauft hat. Als Privatmensch ist er seit langem als engagierter Friedensaktivist bekannt. Auch wenn er schon häufig mit palästinensischen Musikern kooperierte und auf Tournee gegangen ist, so stellt sein jüngstes Album, "East Jerusalem/ West Jerusalem" doch einen weiteren Meilenstein in seinem musikalischen Schaffen dar: Nicht nur, weil er das Album in einem Studio in Ostjerusalem aufgenommen hat, das einem Palästinenser gehört, sondern auch weil sich auf der CD Songs finden, in denen es darum geht, zwei musikalische Welten miteinander zu verbinden.

Acht Tage lang arbeiteten der Produzent Steven Earle mit den Musikern Mira Awad, Wyclef Jean, Muhammad Mughrabi (auch bekannt unter dem Namen G-Town) und anderen zusammen an dem Album. Weil er weiß, dass Bilder manchmal lauter sein können als Musik es vermag, filmte Broza zudem die gesamte Aufnahmesession und interviewte die Beteiligten. Nachdem die Dokumentation beim letztjährigen Woodstock Film Festival in New York seine Premiere feierte, sammelt Broza nun auf der Crowdfunding-Seite "Indiego" Geld, um eine DVD-Version des Films herstellen und vertreiben zu können.

"East Jerusalem/West Jerusalem" ist nicht nur ein beeindruckendes Musikalbum, sondern auch eine wundervolle Erinnerung daran, wie Musik und Kultur die Grundlage legen können, um gemeinsam Brücken zu errichten.

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Herr Broza; was gab für Sie den Ausschlag, das Projekt "East Jerusalem/West Jerusalem" ins Leben zu rufen?

David Broza: Ich arbeite schon seit 15 Jahren in einem Studio in Ostjerusalem und habe es nie geschafft, israelische Musiker dazu zu überreden, mit mir dort zu arbeiten oder mich dort auch nur zu besuchen und gemeinsam etwas Zeit zu verbringen. Deshalb war ich entschlossen, das richtige Projekt zu finden, mit dem mir das dann doch einmal gelingen sollte. Als ich begann, über dieses Album nachzudenken, hoffte ich auch, palästinensische Musiker überreden zu können, mitzumachen, um so einen ganz besonderen "Ost-West-Sound" kreieren zu können. Ich verfolgte also gleich eine ganze Reihe von Absichten – und dieses war einfach genau das richtige Projekt dafür.

Sie haben bereits zuvor mit palästinensischen Musikern Aufnahmen gemacht und sind auch mit ihnen aufgetreten. Inwiefern unterscheidet sich dieses Projekt von früheren?

Broza: Meine vorherigen Projekte waren musikalisch ganz anders konzipiert. Mein erstes Studioalbum mit palästinensischen Musikern etwa bestand aus einem Soundtrack. Mein zweites war ein spanisches, das den Titel Parking completo trug. Dafür hatte ich einen großartigen spanischen Produzenten gewinnen können, Javier Limon. Das war also etwas völlig anderes.

Sie sind seit Langem ein wichtiger Akteur innerhalb der israelischen Friedensbewegung. Welche Rolle kann Ihrer Meinung nach die Kultur – und insbesondere die Musik – spielen, wenn es darum geht, Gegensätze zwischen den beiden Völkern in der Region zu überwinden, die für Außenstehende schier unüberwindbar scheinen?

Broza: Ich glaube, der Anteil, der der Musik und anderen Künsten an sozialen Bewegungen und auch an der Friedensbewegung zukommt, ist kaum überzubewerten. Immer, wenn sich ein Künstler einer Sache verschreibt, vergrößert dies die Bedeutung und die Reichweite seines Anliegens. Trotzdem dürfen sich die Künstler nicht zu sehr vereinnahmen lassen; letztlich geht es um eine persönliche Sache. Die Probleme im Nahen Osten lassen sich gewiss nicht allein mit Kunst und gutem Wille lösen. Was wir benötigen ist eine gemeinsame Anstrengung des Geistes, des Herzens und der Seele. Mit anderen Worten: Politik, Leidenschaft und Religiosität. Es sind dies die drei Elemente, die uns den Weg weisen und die Energie in die richtigen Kanäle leiten.

Die Songs auf "East Jerusalem/West Jerusalem" sind eine Mischung aus Originalen und Covers. Welche Botschaft wollen Sie den Menschen vermitteln, wenn sie die Originalstücke des Albums anhören?

Broza: Das Album ist eine wunderschöne Mischung ursprünglicher und gecoverter Songs – nicht mehr und nicht weniger. Die Geschichte hinter der Entstehung dieses Albums wird hoffentlich auch andere dazu anregen, ähnliche Projekte zu unternehmen.

Die Coverstücke, von denen Sie sprachen, stammen tatsächlich von vielen verschiedenen Künstlern: Elvis Costello ("Everyday I Write The Book"), Roger Waters ("Mother"), Yusef Islam/Cat Stevens ("Where Do The Children Play"), Nick Lowe ("What's So Funny About Peace Love and Understanding") und auch Steve Earle ("Jerusalem"). Gibt es irgendein gemeinsames Thema, das Sie bei der Auswahl dieser Stücke im Sinn hatten?

Broza: Bei den Coversongs handelt es sich um Stücke, die ich seit Jahren in mein Herz geschlossen habe und schon immer selbst einmal singen und aufnehmen wollte. Außerdem habe ich mich bewusst für solche Künstler entschieden, die Israel zum Teil boykottieren. Und ich glaube, dass ich, indem ich ihre Songs interpretiere, dieses Embargo herausfordern und zeigen kann, dass die Musik am Ende triumphiert und dass sie sich der Politik nicht geschlagen geben muss.

Sie haben eine sehr interessante Mischung aus Musikern für Ihr Projekt zusammengestellt: Wyclef Jean, Mira Awad, G-Town (Muhammad Mughrabi) und Shaanan Street. Während die beiden ersten Interpreten schon internationales Renommee haben, dürften die beiden anderen den Menschen außerhalb Israels und der West Bank sowie Gaza-Streifen bisher kaum bekannt sein. Wie kam es zu der Kooperation mit ihnen?

Broza: Alle Künstler, mit denen ich für dieses Album zusammengearbeitet habe, sind Freunde von mir. Mit Wyclef Jean hatte ich bereits vor einigen Jahren im Studio zu tun, als wir gemeinsam an einem anderen Projekt experimentierten. Seitdem habe ich immer gehofft, dass er einmal in das Studio nach Ostjerusalems kommen würde, wozu es dann aber letztlich nicht kam. Doch habe ich die Hoffnung bislang noch nicht aufgegeben. G-Town ist eine echt coole Hip-Hop-Formation, mit der ich schon seit einiger Zeit jamme. Als ich beschloss, auch den Song "Peace Is Nothing But A Word" zu machen, drängte es sich geradezu auf, sie zu bitten, auf dem Album mit dabei zu sein. Als die arabische Übersetzung stand, wusste ich, dass ich auch einen israelischen Hip-Hop-Musiker dabeihaben wollte. Ich dachte schnell an Shaanan Street. Shaanan ist Gründungsmitglied der israelischen Band Ha'dag Nachash und ich finde sie ausgezeichnet. Ich denke, dass die Kombination all dieser Menschen ein wundervolles mehrsprachiges Projekt ermöglichte.

Richard Marcus

© Qantara.de 2015

Aus dem Englischen von Daniel Kiecol