Verzerrte Bilder
Die Berichterstattung westlicher Medien über den Syrienkonflikt steht schon seit Langem in der Kritik. Die meisten Darstellungen wirkten all zu simpel und die allseits hinausposaunten Meldungen über die beiden Hauptakteure resultierten in einer klaren Differenzierung zwischen "den Guten" und "den Bösen".
Die kursierenden Informationen ließen sich wie folgt zusammenfassen: "Das diktatorische syrische Regime foltert und tötet unbewaffnete Demonstranten und Zivilisten, Frauen und Kinder inbegriffen, während der Westen und die Arabische Liga eben diese Zivilisten zu schützen versuchen."
Man kann nicht leugnen, dass es vor allem unschuldige Zivilisten sind, die den Höchstpreis für ihr Freiheitsstreben zahlen müssen und ebenso wenig, dass viele von ihnen durch die syrische Armee getötet wurden. Doch das ist nur ein Teil der des gesamten Bildes.
Einseitige Berichterstattung
Viele Kommentatoren haben über den Mangel an objektiver Berichterstattung der schrecklichen Geschehnisse in Syrien geklagt. So schrieb As'ad Abu Khalil, Kolumnist bei Angry Arab, eine Reihe kritischer Beiträge über die westliche mediale Berichterstattung, während der aus den Emiraten stammende Kommentator Sultan al-Qassemi sich kürzlich in Foreign Policy über Al-Jazeeras und Al-Arabiyas parteiische Darstellung der Ereignisse in Syrien ausließ.
Jedoch wäre es naiv zu glauben, Syrien sei diesbezüglich ein Einzelfall. Allgemein wurden sowohl die Ereignisse des Arabischen Frühlings, als auch die ihnen nachfolgenden Entwicklungen in den Medien sehr spärlich behandelt, wobei es einige sehr markante Schwachstellen in der Berichterstattung gibt.
Trotz ihres strikten Moralkodexes hat Al-Jazeera offenkundig die grundsätzlichsten journalistischen Standards über den Haufen geworfen und ist selbst an simpelster Fakten-Überprüfung gescheitert. Sowohl der arabische als auch der englische Kanal des Senders haben sich in hohem Maße auf die Berichte von anonymen Anrufern und auf ungeprüftes Filmmaterial verlassen.
Dieses Filmmaterial wurde wiederum weltweit von renommierten Sendern ausgestrahlt, beispielsweise von der BBC, die ebenfalls offiziell das Banner für die Wahrung ethischer Grundsätze im Journalismus hochhält. Der Trend, sich auf Aktivisten-Videos und anonyme Anrufer zu verlassen, setzte jedoch nicht erst im Rahmen des Syrien-Konflikts ein. Tatsächlich war es der US-amerikanische Sender CNN, der 2009 mit seinem iReport über Irans "Grüne Revolution" den Startschuss für diese Art der Informationsfindung gab.
Der halbleere Tahrir-Platz
Dr. Thomas Pierret, Dozent für Nahostwissenschaften an der Universität von Edinburgh, erklärt im Interview mit Qantara.de, dass "über die gewalttätigsten Aspekte der (ägyptischen) Revolution nicht berichtet [wurde]…, wie beispielsweise die Brandstiftung an Polizeistationen und die Tötung vieler Polizisten in Alexandria am 29. Januar 2011."
Zudem wies Pierret auf die übertriebene Zahl der Demonstrationen in Ägypten hin: "Die Anzahl der Demonstranten auf dem Tahrir-Platz stieg ins Absurde! Auf den Tahrir-Platz passt beim besten Willen keine Million Menschen – vermutlich noch nicht einmal eine halbe Million, denn es ist ein kleiner Platz. Manchmal zeigte die Kamera, welche den Tahrir-Platz vom Dach eines der umgebenden Gebäude filmte, nur eine Nahaufnahme der Menschenmenge, so als sollte kaschiert werden, dass der Platz in Wirklichkeit zur Hälfte leer war."
Ein weiteres Thema, dem oft zuviel Aufmerksamkeit beigemessen wird, sind zweifelsohne die tribalen sowie konfessionellen Unterschiede, welche in vielen arabischen Ländern innerhalb der Bevölkerung existieren. In Syrien wurde der Konflikt beispielsweise auf einen Zusammenstoß zwischen der alawitisch dominierten Regierung sowie den Shabbiha-Milizen und den überwiegend sunnitischen Demonstranten reduziert.
Brooke Anderson, die als Journalistin in Beirut arbeitet, sieht in dieser Überbetonung der Unterschiede zwischen Alawiten, Christen und Sunniten ein großes Problem. "Ich verstehe, dass es manchmal notwendig ist, den religiösen und ethnischen Hintergrund der Menschen thematisch einzuordnen, jedoch nicht immer!", meint sie im Interview mit Qantara.de. "Denn eine solche Berichterstattung erweckt den Anschein, als kämpften aufrichtige Sunniten gegen alawitische Bösewichte, während die Christen apathisch zusehen. Dies ist eine unangemessene Sicht auf jede dieser Gruppierungen." Tatsächlich sind viele Alawiten gegen Assad, ebenso wie viele Sunniten ihn unterstützen.
Dieser mediale Blickwinkel ließ sich nicht nur im Falle Syriens feststellen, sondern auch was die Stammeskonflikte in Libyen und den Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten im Irak angeht. In der britischen Tageszeitung The Guardian behauptet Hayder al-Khoei, Wissenschaftler am Center for Academic Shi'a Studies in London, dass die Konfliktlinien im Irak nicht zwischen Schiiten und Sunniten verlaufen, sondern zwischen gewalttätigen Dschihadisten und der gesamten Bevölkerung.
Fehlende Nachhaltigkeit
Brooke Anderson weist noch auf eine weitere Schwachstelle hin: Internationale Medien hätten wenig Mühe auf eine ausgewogene Berichterstattung in der Zeit nach den großen Umbrüchen in der arabischen Welt verwendet, meint sie. Dies schließe auch positive Entwicklungen, wie beispielsweise im Jemen, in Tunesien und in Libyen, ein. Eine fortlaufende Berichterstattung sei jedoch gerade in dieser gegenwärtig kritischen Phase sehr wichtig, denn nur so könne man feststellen, ob die neuen Regierungschefs ihre Versprechen auch einlösten und ihre Länder wirklich reformieren könnten.
Die mangelnde mediale Ausgewogenheit stellt ein weiteres großes Problem der Berichterstattung über die Ereignisse im Nahen Osten seit Beginn der Aufstände bis heute dar. Vor allem fällt auf, dass Akteure, die die bisherigen Regimes befürworten, in internationalen Medien faktisch nicht mehr zu Wort kommen. Obwohl viele Aktivisten und Beobachter dies als Reaktion auf die bislang extrem parteiischen staatlichen Medien versuchen zu rechtfertigen, ist diese Einstellung alles andere als professionell und deshalb nicht akzeptabel.
Doch damit nicht genug: Viele Nachrichtenagenturen berichteten ferner über bestimmte Ereignisse noch bevor es zu einer Überprüfung der Informationen kam. Ein bekanntes Beispiel hierfür war das Massaker von Hula in Syrien: Ohne Umschweife wurde die Tötung von 108 Syrern im Mai 2012 als ein weiterer Angriff des Regimes auf unschuldige Zivilisten gedeutet. Später stellte sich jedoch heraus, dass die Faktenlage bei weitem nicht so eindeutig gewesen war und dass viele Nachrichtenagenturen und Sender, wie auch die BBC, sich auf ungeprüfte Quellen verlassen hatten, die sich später als manipuliert herausstellten.
Jon Williams, Redakteur von BBC World News, räumte Fehler ein und kam zu dem Schluss: "Eine gesunde Skepsis ist eine der wesentlichen Qualitäten, die jeder Journalist mitbringen muss – umso mehr, wenn es darum geht, über einen Konflikt zu berichten. Es steht viel auf dem Spiel – und es ist nicht immer alles so, wie es scheint."
Der selektive Nachrichtenblick
Mehrere Medienunternehmen bevorzugten serienmäßige Berichterstattungen über ein von ihnen designiertes Tagesthema gegenüber anderen regionalen Entwicklungen in der arabischen Welt. Dadurch wurden jedoch entscheidende Entwicklungen in der Region schlicht ignoriert.
Und auch dies ist kein neues Phänomen: Auf Moroccoboard.com veröffentlichte der marokkanische Schriftsteller Hassan Masiky eine höhnische Kritik über Al-Jazeeras Voreingenommenheit, die sich darin äußere, dass der Sender manche Ereignisse vollkommen außen vor ließ. Als Beispiel nannte er die Verhaftung von Mustapha Salama Ould Sidi Mouloud am 21. September 2010 durch algerische Sicherheitskräfte oder die positive Stellungnahme von Mitgliedern der Polisario über den West-Sahara-Plan der marokkanischen Autonomiebehörde.
Masiky kam zu folgendem Schluss: "Anfangs unterstützte die marokkanische Öffentlichkeit Al-Jazeera, doch nun ist man in Marokko bestürzt über dessen offensichtlich anti-marokkanische Haltung. Es ist mehr als eine lautstarke Auseinandersetzung und eine anti-israelische Rhetorik notwendig, um die Zuschauer von der Objektivität und Ausgewogenheit dieses Senders zu überzeugen."
Bahrain ausgeblendet
Die politische Tendenz mancher Sender ist in jüngster Zeit vor allem durch die fehlende Berichterstattung aus Ländern wie Bahrain offensichtlich geworden. Fatima Kanji prangerte in einem Artikel in der britischen Tageszeitung The Independent das Verhalten der Medien im Fall Bahrains an. "Die Aufstände in Bahrain wurden medial wenig beachtet und die Loyalität westlicher Politiker zum dortigen Regime bleibt weiter bestehen. Dies geschah trotz der allgemein bekannten Folterungen von Häftlingen, der Gewalt gegen Demonstranten und trotz der vielen Verhaftungen und Verurteilungen."
Dieser Vorwurf trifft mit Sicherheit auf Sender wie Al-Jazeera und Al-Arabiya zu, die die brutalen Razzien gegen Demonstranten in Bahrain quasi ignorierten, um die guten Beziehungen zwischen ihren Ländern und Bahrain nicht aufs Spiel zu setzen. Zudem wollten sie um keinen Preis Proteste in ihren eigenen Hauptstädten auslösen.
Aufgrund der tendenziösen Berichterstattung im Falle Bahrains und Syriens kündigte Al-Jazeera-Reporter Ali Hashem im März 2012 seinen Job, ebenso der bekannte Sprecher Ghassan bin Jeddo, welcher erklärte, Al-Jazeera hätte "einen Traum von Professionalität und Objektivität beendet".
Amira Galal
© Qantara.de 2012
Übersetzt aus dem Englischen von Laura Overmeyer
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de