Von Israelis, Palästinensern und Schafen

Wie sieht das Leben der Palästinenser unter der Besatzung und das der Israelis im Schatten des Terrors aus? Das neue Projekt "Plonter" des Cameri-Theaters in Tel-Aviv bietet eine authentische Aufführung. Igal Avidan berichtet

Wie sieht das Leben der Palästinenser unter der Besatzung und das der Israelis im Schatten des Terrors aus? Das neue Projekt "Plonter" des Cameri-Theaters in Tel-Aviv bietet eine authentische und von Kritikern bejubelte Aufführung. Igal Avidan berichtet

​​Sechs Monate probten fünf israelische und vier palästinensische Schauspieler gemeinsam, um sich gegenseitig näher kennen zu lernen und ihre Alltagserfahrungen auf die Bühne zu bringen.

Ein Palästinenser spielt einen israelischen Soldaten, der einen palästinensischen Jugendlichen brutal traktiert. Ein Israeli wiederum verkörpert einen Palästinenser, der sich im Bus nackt ausziehen muss, da er verdächtig erscheint.

Dieser Rollenwechsel stellt eine politische Aussage über verwischte Grenzen in einer Zeit dar, in der durch Mauer und Zaun die physische Trennung angestrebt wird und zugleich Hass und Angst gedeihen. Kürzlich gastierte das Theater aus Tel Aviv in Wiesbaden und in Düsseldorf.

Alltag von Besatzung und Bombenterror

Das Cameri Theater in Tel Aviv spielt den Nahostkonflikt. Am Eingang zum Saal verlangen zwei Soldaten - ein Mann und eine Frau - die Personalausweise, und das auch noch auf Arabisch.

Die Zuschauer erkennen, dass diese Szene bereits ein Teil des Theaterstücks ist, und dennoch sind manche verunsichert oder genervt. Denn in Israel werden Palästinenser kontrolliert und nicht Israelis.

Um den Alltag von Besatzung und Bombenterror in einem neuen Licht erscheinen zu lassen, ließ die 30-jährige Regisseurin und Autorin Yael Ronen Israelis in die Rollen von Palästinensern schlüpfen, Palästinenser wiederum israelische Soldaten und Siedler spielen.

Das Stück wurde zusammen mit den Schauspielern entwickelt, die ihre eigenen Erfahrungen einbrachten. Der Prozess glich einer Gruppentherapie, sagt Yael Ronen.

"Die Wirklichkeit ist zu komplex, um daraus eine Provokation machen zu wollen", meint Ronen. "Die Wurzel des Übels ist zwar die Besatzung, aber wir kritisieren beide Seiten. Das Stück bietet jedoch keine Formel für eine Lösung des Konfliktes, denn die Realität ist nicht so einfach."

Kritik von rechts und links

Außerdem seien klare und eindeutige Aussagen keine Kunst, meint Ronen. Denn Kunst sei keine Propaganda, sondern ein Katalysator für einen Entwicklungsprozess der Gedanken und Gefühle.

Die Regisseurin fügt noch hinzu, dass sie sowohl wütende Reaktionen von rechts als auch links erhielten. Linksradikale warfen ihr vor, das Stück fasse die schuldigen Israelis mit Samthandschuhen an. Wiederum andere Zuschauer meinten, das Stück sei pro-palästinensisch und Ronen ein Feind Israels.

Sie kritisierten unter anderem die Szene über den Tod des 11-jährigen Palästinensers Halil. Aus dem Dach der Schule hatten Kinder Steine auf die israelische Patrouille geworfen, die Soldaten eröffneten das Feuer.

Minuten nach seinem Tod meldet sich ein Fernsehteam bei der trauernden jungen palästinensischen Mutter. Auf der Bühne wird Raida Adon, schwarz verhüllt, von zwei Freundinnen getröstet.

In dieser Szene wird die Freude der Mutter Raida über den Märtyrertod ihres Sohnes veranschaulicht. Vor der Presse inszeniert sie ihren Stolz darüber, dass Gott ihren Sohn auserwählt hat.

Trostsuche im Patriotismus

Sobald die Medienvertreter weg sind, verschwindet auch die vorgetäuschte patriotische Freude.

Szenenwechsel: Palästinensische Terroristen drängen in eine jüdische Siedlung und ermorden das Baby Itamar. Sein Vater Josef steht voller Wut. Sein Kopf ist bedeckt, ein Gewehr hängt auf seiner Schulter. Während seine Frau weint, sucht er Trost im Patriotismus. Die Ermordung Itamars binde das Volk Israel an diese Erde, schreit er und fordert Rache.

Der Rollentausch funktioniert jedoch. Kaum ein Zuschauer ahnt, dass der junge jüdische Siedler, der den Palästinensern nach der Ermordung seines Babys Rache schwört, in Wirklichkeit der Palästinenser Yusef Sweid selbst ist.

"Die Rolle eines Siedlers war für mich eine große Herausforderung, weil ich Siedler sehr gehasst habe und wirklich eine Verbindung zu diesen Menschen finden musste", sagt Yusef Sweid. "Dass es mir gelungen ist, liegt an meiner religiösen Vergangenheit. Als Heranwachsender habe ich mich einer christlichen Bewegung angeschlossen und war bereit, für unsere Wahrheit alles zu tun."

Als Schafe vor der grauen Mauer

Aus diesem Grund begreife Yusef die Kraft der Religion und warum viele Menschen an eine starke Wahrheit glauben und ein klares und gerechtes Ziel verfolgen. Er schlussfolgert, dass für ihre Religion die Menschen bereit seien, gegen alle anderen zu kämpfen, und sich dabei wie Heilige fühlen.

Am besten gelingt es dem israelisch-palästinensischen Ensemble die Absurdität des Konfliktes darzustellen, indem sie sich in Tiere verwandeln.

In einer surrealistischen Szene laufen die Schauspieler als Schafe verkleidet ihren täglichen Weg zur Wiese. Plötzlich halten sie an. Eine neue graue Mauer versperrt ihren Weg. Ihre einzige Reaktion auf die unnormale Situation ist ein langes "Mähhh!"

Igal Avidan

© Deutsche Welle 2006

Qantara.de

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