Ernüchternde Bilanz

Die Bundesregierung hatte vor der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft in Aussicht gestellt, den Friedensprozess im Nahen Osten wiederzubeleben. Was ist aus dem Versprechen geworden? Darüber diskutieren Stefan Buchen, Hadeel Quazzaz und Rudolf El-Kareh.

Die Bundesregierung hatte vor der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft in Aussicht gestellt, den Friedensprozess im Nahen Osten wiederzubeleben. Was ist aus dem Versprechen geworden? Darüber diskutieren der Journalist Stefan Buchen, Hadeel Quazzaz, Programmkoordinatorin der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah, und Rudolf El-Kareh, Experte für deutsch-arabische Beziehungen. Die Diskussion leitete Ahmad Hissou.

Angela Merkel als EU-Ratspräsidentin und Präsident der EU-Komission Manuel Barroso; Foto: AP
Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßt den Präsidenten der EU-Kommission Jose Manuel Barroso im Kanzleramt

​​Herr Buchen, Deutschland hat vor der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft versprochen, sich für eine Wiederaufnahme der Friedensbemühungen im Nahen Osten einzusetzen. Was wurde in den sechs Monaten getan?

Stefan Buchen: Wir sollten uns da nichts vormachen, aber der Nahe Osten spielt in der deutschen Außenpolitik keine große Rolle. Das gilt auch für die Zeit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Obwohl der deutsche Außenminister und die Kanzlerin den Nahen Osten und einige arabische Staaten mehrmals besucht haben, haben weder der palästinensisch-israelische Konflikt noch die Region überhaupt Priorität in der deutschen Außenpolitik. Die Themen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft waren vielmehr der Klimawandel, die EU-Verfassung und die Beziehungen zu den USA.

Aber die Kanzlerin und der Außenminister haben doch versprochen, den Friedensprozess neu beleben zu wollen.

Buchen: Ja, die Regierung hat es versprochen, ihr Versprechen aber nicht gehalten. Ich weiß, dass die Kanzlerin Angela Merkel zu Beginn der Ratspräsidentschaft erklärt hat, dass es Chancen für einen Fortschritt im Nahen Osten gebe, doch dann stellte Frau Merkel fest, dass diese Erklärung naiv war, weil es diese Chancen nicht gibt. Deshalb haben sich Merkel und Steinmeier auf andere Themen konzentriert.

Welches sind denn Ihrer Meinung nach die wichtigsten Leistungen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft?

Buchen: Ich sehe da keinerlei Leistung. Wir haben ja auch gesehen, dass der letzte Gipfel von Scharm el Scheich das Scheitern der europäischen Politik bezüglich einer Wiederbelebung des Friedensprozesses im Nahen Osten nicht verschleiern konnte. Ich will damit sagen, dass Deutschland und die EU kein Faktor mehr bei diesem Thema sind.

Die Rolle der EU beschränkt sich auf Reaktionen auf die Ereignisse im Nahen Osten, es gibt keine Aktion. Als die Hamas die Macht im Gaza-Streifen übernommen hat, gab es eine Reaktion von Seiten der Eu, und wenn es einen terroristischen Anschlag im Südlibanon gibt, gibt es eine Reaktion. Kurz gesagt, Deutschland und die EU sind in dieser Region nicht initiativ geworden.

Frau Quazzaz, Sie befinden sich in Rahmallah, sozusagen mitten im Konfliktgebiet. Wie beurteilen Sie die Versprechen der deutschen Regierung?

Hadeel Quazzaz: Ich stimme mit Herrn Buchen überein, dass es keine konkreten Leistungen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im Nahen Osten gibt, und zwar aus zwei Gründen:

Zum einen gibt es bei der derzeitigen deutschen Regierung nicht genügend Erfahrung bezüglich des arabisch-israelischen Konflikts. Das ist ein großer Unterschied zur Vorgängerregierung und Außenminister Joschka Fischer, der sich ernsthaft mit dem Konflikt auseinander gesetzt hat.

Der andere Grund liegt in den Ereignissen, die gar keine Möglichkeit zu einer Intervention geben. Es gibt eine politische Lähmung in der Region. Und der Sieg einer radikal-islamischen Partei, mit der Deutschland und die EE es ablehnen, zu verhandeln, hat das Problem noch komplizierter gemacht.

Sie meinen die Hamas?

Quazzaz: Ja. Ihrer Meinung nach gibt es auf palästinensischer Seite keinen Partner, mit dem man sprechen kann. Diese Rechtfertigung führt man an, um keine ernsthafte Initiative zu ergreifen. Aber es gibt eine kleine, sehr spürbare Veränderung: Es werden viele Besuche abgestattet, was ja bedeutet, dass man hinzulernen und die Meinung beider Seiten kennen lernen will.

Herr El-Kareh, Sie beobachten als arabischer Wissenschaftler die europäisch-arabischen Beziehungen. Wie beurteilen Sie die sechs Monate der deutschen EU-Ratspräsidentschaft?

Rudolf El-Kareh: Seien wir ehrlich, man hat von der deutschen EU-Ratspräsidentschaft viel mehr erwartet, als sie im Bereich der EU-Außenpolitik hätte leisten können. Es gibt in der Region auch mehrere Akteure, insbesondere die Amerikaner, die mit ihrer aggressiven Politik, besonders im Irak, die Rolle der anderen beschränken.

Ich teile die Ansicht von Herrn Buchen nicht, denn die Erwartungen an die deutsche Ratspräsidentschaft waren einfach zu hoch. Ich glaube, dass die europäische Politik sich derzeit zwischen politischer Faulheit und Unfähigkeit bewegt, die Lage in der Region zu beurteilen.

Deutschland war beschäftigt mit der EU-Verfassung, um die Lähmung der europäischen Institutionen zu beenden, aber die unterschiedlichen Interessen innerhalb der EU haben die EU-Außenpolitik geschwächt.

Außenminister Steinmeier hat zwar mehrmals vor dem EU-Parlament gesagt, dass er gerne sehen würde, wenn die EU einen unabhängigen Vorschlag zur Lage im Nahen Osten machen würde, aber die Unterschiede innerhalb der EU haben dies nicht erlaubt.

Die arabische Welt erwartet eine von der US-Strategie unabhängige Rolle Europas. Aber die EU ist bei diesem Thema gespalten, denn einige EU-Länder halten es für notwendig, sich mit Washington abzusprechen. Hat dies auch eine Rolle dabei gespielt, dass die deutsche Ratspräsidentschaft weniger erreicht hat als erwartet?

El-Kareh: Das Problem ist, dass auch die Araber gespalten sind, es gibt keine einheitliche arabische Politik bezüglich der Krise im Nahen Osten und der Anforderungen an Europa. Aber was die EU betrifft, so erlaubt die innenpolitische Lage der EU keine gemeinsame und von den USA unabhängige Außenpolitik.

Herr Buchen, ist die Schwäche de Rolle der EU im Nahen Osten darauf zurückzuführen, dass sie sich auf die US-Strategie stützt oder ist es eine strukturelle Schwäche?

Buchen: Ich glaube nicht, dass sich die EU auf die Politik der USA im Nahen Osten stützen will. Das haben wir im Jahr 2003 gesehen, als Deutschland und Frankreich sich nicht am Krieg gegen den Irak beteiligen wollten. Es gibt bekanntlich viel Kritik in Europa an der Politik Washingtons im Nahen Osten und den dortigen Blick auf den palästinensisch-israelischen Konflikt. Aber Europa selbst fühlt sich schwach und versucht deshalb, seine politischen Prioritäten auf andere Themen zu legen.

Wir haben ja auch gesehen, dass die Kanzlerin während ihres Besuches in der Region die längste Zeit am Golf verbracht hat. Europa, und ganz besonders Deutschland, wollen sich mit wirtschaftlichen Themen beschäftigen und Handelsverträge in der Region abschließen. Ich glaube, dass Europa überzeugt ist, dass eine endgültige Lösung des Nahostproblems fast unmöglich geworden ist. Deshalb begnügt man sich damit, sich dafür einzusetzen, die Krise nicht noch zu verschärfen, anstatt radikale Lösungen zu suchen.

Ist es fast unmöglich oder liegt die Lösung in der Hand Washingtons, weil die Europäer auf die beiden Seiten – und ganz besonders auf Israel – keinen Druck ausüben können?

Buchen: Das ist das Gleiche. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Als Europa versuchte zu intervenieren und Soldaten an der Grenze zwischen dem Gaza-Streifen und Ägypten postierte, um den Waffenschmuggel zu verhindern ..., was ist da passiert? Es wurden weiterhin Waffen in den Gaza-Streifen geschmuggelt. Welchen Nutzen hatte es also?

Das zweite Beispiel betrifft die deutsche Marine vor der libanesischen Küste, die bis jetzt nichts erreicht hat. Wir haben bisher von keinem einzigen verhinderten Schmuggelversuch von Waffen in den Libanon gehört.

Vielleicht gibt es keinen Waffenschmuggel über das Meer in den Libanon?

Buchen: Vielleicht. Was ich aber sagen will, ist, dass alle diese Maßnahmen rein symbolisch sind. Europa verfolgt in erster Linie seine wirtschaftlichen Interessen, auch in der arabischen Welt. Man hat vermieden, sich im Irak zu engagieren, insbesondere Frankreich und Deutschland, und man vermeidet, sich im israelisch-palästinensischen Konflikt zu engagieren. Europas Prioritäten liegen woanders.

Frau Quazzaz, muss man von der EU eine von den USA eigenständige Außenpolitik fordern, oder ist Europa dazu gar nicht in der Lage?

Quazzaz: Ich glaube, man muss eine eigenständige Außenpolitik fordern. Aber leider gibt es diese bis jetzt nicht. Ganz im Gegenteil. Die EU hat sich während der deutschen Ratspräsidentschaft immer weiter der amerikanischen Politik angenähert.

Was zum Beispiel das palästinensische Problem betrifft, so identifiziert sich die EU vollkommen mit den Bedingungen, die Washington der palästinensischen Seite auferlegt hat, besonders bezüglich der Ergebnisse der Wahlen. Das hat zu einer Katastrophe geführt.

Gleichzeitig hat Deutschland voreilig eine palästinensische Seite auf Kosten der anderen unterstützt. Das bedeutet nicht, dass ich die Ereignisse in Gaza befürworte, aber ich glaube, dass eine ernsthaftere europäische Intervention die Auswirkungen des Boykotts gegen die Palästinenser lindern könnte.

Herr El-Kareh, dient die Wahl des ehemaligen britischen Ministerpräsidenten Tony Blair zum Vertreter des Nahostquartetts der Strategie der USA oder stärkt wird dadurch die Rolle Europas in dieser sensiblen Region gestärkt?

El-Kareh: Wie kann die Rolle der EU gestärkt werden wenn man weiß, dass Blair derjenige in Europa war, der den Einmarsch im Irak und die falsche amerikanische Politik im Nahen Osten unterstützt hat, dessen Preis wir und Europa jetzt zahlen. Außerdem, wie kann jemand, denn man als Brandstifter bezeichnen kann, die Rolle des Feuerwehrmann übernehmen?

Die Ernennung von Tony Blair war nicht der Wunsch Europas, sondern kam auf Anraten des amerikanischen Präsidenten George Bush zustande und wurde von Javier Solana und Gordon Brown nur widerwillig akzeptiert. Und die Ernennung fiel in eine Zeit, als Polen durch seine Politik die europäische Fähigkeit schwächte, eine Außenpolitik zu formulieren.

Ich glaube nicht, dass die Ernennung Blairs gut ist für den Nahen Osten oder für eine von Washington unabhängige europäische Außenpolitik. Das heißt nicht, dass Europa auf Konfrontationskurs zu Washington gehen soll, nein, aber es sollte sich unterscheiden, und die Ernennung Blairs dient diesem Ziel überhaupt nicht.

Herr Buchen, was halten Sie von der Ernennung Tony Blairs als Nahost-Beauftragter?

Buchen: Diese Ernennung schwächt das Quartett und die EU gleichermaßen, denn die großen europäischen Staaten wie Deutschland und Frankreich wurden nicht informiert. Die Ernennung vollzog sich in Übereinstimmung der USA, Russlands und Englands.

Diskussionsleitung: Ahmad Hissou

Übersetzung aus dem Arabischen von Larissa Bender

© DEUTSCHE WELLE 2007

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