Das Licht am Ende meines Tunnels
Was hat Sie auf die Idee gebracht, diesen Roman zu schreiben?
Najwa Binshatwan: Ich habe "The Slave Pens" in Libyen und in Italien geschrieben, also auf beiden Seiten des Mittelmeers. Im Jahr 2006 besuchte ich in Bengasi einen Freund, der Historiker ist, um mir ein paar Bücher von ihm zu leihen. Auf seinem Tisch lag ein geöffnetes Buch mit einem Foto, das meine Aufmerksamkeit erregte. Ich fragte ihn, wo es aufgenommen worden war. Er antwortete, es zeige das Zarayeb al-'Abeed – das ehemalige Sklavenlager von Bengasi. Offensichtlich lag dieses Lager damals am Meer außerhalb von Bengasi in einer Gegend, die heute Al-Sabri Wa Al-Zurairi'iyya genannt wird.
Das arabische Wort Zareeba (Plural: zarayeb) bedeutet Korral oder Pferch, ein Ort, an dem Tiere gehalten werden. Das alles hat mich neugierig gemacht. Ich wollte herausfinden, ob von dieser Geschichte noch etwas erhalten geblieben ist. Ich wollte wissen, ob noch Menschen am Leben sind, die in diesem Lager gelebt haben und mir davon erzählen können. Mein Freund meinte, dass niemand von ihnen ehrlich und offen über ihre schmerzhafte Vergangenheit sprechen würde. Und er hatte recht: Es ist mir nicht gelungen, Menschen zu treffen, die dort geboren wurden oder dort ihre Kindheit verbracht haben. Die Sklavenställe sind verschwunden, ohne Spuren zu hinterlassen. Geblieben sind nur ein paar Fotos – einige wurden von den Italienern vor ihrem Einmarsch in Libyen aufgenommen, und ein paar andere bei ihrem Abzug im Rahmen einer gründlichen Bestandsaufnahme. Ich bat meinen Freund um eine Kopie des Bildes.
Ich erinnere mich noch, wie ich es auf meinem PC gespeichert und als Bildschirmhintergrund verwendet habe. Immer wieder zog es mich in seinen Bann. Es war ein einfaches Foto, aber etwas an ihm faszinierte mich und drang in meine Seele ein. Auf dem Bild sind zwei Frauen und ein Junge zu sehen. Und ein weiteres Kind, das sich hinter einer der beiden Frauen versteckt. Ich wusste nicht, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist, aber ich stellte mir vor, es sei ein Mädchen, und ich konnte nicht aufhören, an sie zu denken.
Wie nahm der Roman dann endgültig Form an?
Binshatwan: Das Mädchen wurde schließlich zur Erzählerin in "The Slave Pens" – zur Hauptfigur des Romans, Atiqa bin Shatwan. Ich schrieb zunächst eine Kurzgeschichte, ließ es aber erst einmal dabei. Damals glaubte ich nicht, dass ich einen Roman daraus machen würde. 2012 zog ich dann nach Rom, um meine Doktorarbeit zu schreiben. Ursprünglich hatte ich vor, das Thema im Rahmen meiner Studien der arabischen Sprache zu erforschen, aber woran ich wirklich interessiert war, war die Geschichte des Sklavenhandels während der osmanischen Zeit. Zum Glück war mein Professor damit einverstanden, dass ich das Thema wechselte. Die Forschungen, denen ich im Rahmen meiner Doktorarbeit nachging, waren für den Roman sehr hilfreich. Dann zog ich von Rom nach Palermo. Und während ich dort auf eine Aufenthaltsgenehmigung wartete, nutzte ich die Zeit, um mit dem Schreiben zu beginnen.
Obwohl ich zu dieser Zeit in einer Wohngemeinschaft lebte, fühlte ich mich einsam und isoliert. Immer wieder dachte ich an die „Sklavenställe“, lebte mit der Handlung und sprach mit den Hauptpersonen des Romans. Als ich einige Stellen schrieb, musste ich weinen. Viele Stunden lang versuchte ich, mich von dem enormen Einfluss zu befreien, den das Buch auf mich hatte. Im letzten Jahr des Schreibens trennte ich mich dann von dem Foto, und die Romanfiguren wurden vor meinen Augen lebendig.
Als ich das Buch schließlich fertig hatte, schickte ich es zum Verlag. Dass es angenommen wurde, hat mich sehr erleichtert. Während dieser schwierigen Zeit war es das Licht am Ende meines Tunnels. Und als ich das Buch dann in den Händen hielt, erkannte ich, dass es nicht mehr meins war. Es war keine Idee mehr, sondern etwas, das man anfassen konnte.
Haben Sie auch Dialekte im Roman verwendet?
Binshatwan: Ich habe mich sehr bemüht, in den Dialogen den Sklavendialekt wieder aufleben zu lassen. Saqi, mein Herausgeber, sagte, im Verlag würden sie das Buch lieben, aber die Dialoge müssten auf Hocharabisch (arab. Fusha) verfasst werden. Dennoch konnte ich etwas von dem Dialekt bewahren – vor allem Ausdrücke für Kleidung, Lebensmittel und Ortsnamen. Und was am wichtigsten war: die Sprache der traditionellen Sklavenlieder blieb erhalten. An ihnen durfte kein Wort geändert werden, denn sie sind eine Art Volkspoesie und können nicht in klassisches Arabisch übersetzt werden.
In diesem Roman sind Namen und Identitäten sehr wichtig. Warum haben Sie die Hauptfigur "Atiqa" genannt?
Binshatwan: Weil Atiqa ein Name ist, der befreiten Sklaven gegeben wurde. Obwohl sie keine Sklavin mehr ist, erinnert ihr Name an ihre Vergangenheit. In den Augen der Gesellschaft wird sie immer eine Sklavin und eine Bürgerin zweiter Klasse bleiben.
Wer ist Tante Sabriyya?
Binshatwan: Tante Sabriyyas wirklicher Name ist Tawida. Sie ändert ihren Namen, als sie aus einem Bordell flüchtet. Vor ihrer Tochter Atiqa verbirgt sie ihre wahre Identität, um sie zu schützen. Sie hat Angst, sie könnte von ihrer wirklichen Familie getötet oder verkauft werden. Atiqa ist die Tochter von Muhammad bin Shatwan, aber er kann sie nicht als seine Tochter anerkennen, weil ihre Mutter eine Sklavin ist. Er hat Angst vor seiner Familie. Als Tawida versucht, Briefe aus den brennenden Ställen zu retten, die die Identität ihrer Tochter beweisen würden, stirbt sie.
Im Roman gibt es eine Person namens Giuseppe. Ist er Italiener?
Binshatwan: Giuseppe heißt in Wirklichkeit Yousuf. Eigentlich ist er ein Sklave, aber er wurde von italienischen Missionaren und Nonnen aufgenommen und bekam von ihnen eine neue Identität. Als er aus Italien zurückkehrt, nimmt er auch seinen alten Namen wieder an, weil er fürchtet, die Libyer würden ihn beschuldigen, Christ geworden zu sein. Aber er ist immer noch ein Muslim. Ironischerweise wird er jetzt von manchen "Yousuf Giuseppe" genannt.
Namen sind in den libyschen Kultur deshalb so wichtig, weil sie die Identität der Person enthüllen. Wird jemand Yousuf Giuseppe genannt, bedeutet dies, dass er als Sklave nach Italien gereist und als freier Mann zurückgekehrt ist. Hinter dem Namen verbirgt sich immer eine Geschichte. Giuseppe besitzt eine Apotheke, und Atiqa, die später seine Frau wird, arbeitet gemeinsam mit den Nonnen in einem italienischen Krankenhaus. Ich habe diese Berufe für sie gewählt, weil ich einen Ort finden wollte, wo Menschen gemeinsam Schmerzen erleiden und jedem ohne Unterschied Hilfe gewährt wird.
Atiqa und Giuseppe haben einen Jungen und ein Mädchen, die sie nach ihren Eltern benennen, obwohl Atiqa ihren Vater nur von Bildern kennt. Noch viele Generationen später erben diese Menschen die Namen ihrer Ahnen. Sie sind frei, aber sie heißen genauso wie die Sklaven, die ihre Vorfahren sind. Sie sind stolz auf ihre Wurzeln, und allein das ist schon ein hoher menschlicher Wert.
Ist diese Geschichte nur für Libyen bedeutsam?
Binshatwan: Nein, es ist keine ausschließlich libysche Geschichte, sondern betrifft die ganze Menschheit. Im Osmanischen Reich war der Sklavenhandel eine ganz normale Sache. Mein Buch handelt von einem Kapitel in der Geschichte der gesamten arabischen und islamischen Welt.
Warum haben Sie Muhammad ihren eigenen Familiennamen gegeben?
Binshatwan: Ich wollte ihm keinen anderen Namen geben, weil ich vermeiden wollte, die Leute gegen mich aufzubringen. Also habe ich meinen eigenen genommen.
Hätten Sie erwartet, dass Ihr Roman für den Internationalen Preis für Arabische Belletristik nominiert wird?
Binshatwan: Ehrlich gesagt, war das eine völlige Überraschung für mich. Schon als ich auf die Auswahlliste kam, fühlte ich mich, als sei mein Leben komplett auf den Kopf gestellt worden – es bedeutete eine radikale Veränderung für mich. Auch die Menschen in Libyen waren sehr glücklich. Es ist das erste Mal, dass es ein libysches Buch sowohl auf die Auswahlliste als auch in die Nominierung geschafft hat.
Die Fragen stellte Valentina Viene.
© Qantara.de 2017
Übersetzt aus dem Englischen von Harald Eckhoff