Chance zur Wiederbelebung des Friedensprozesses
Die letzten Monate waren in den palästinensischen Gebieten ganz von den zunehmend gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Hamas und Fatah geprägt.
Seit dem Regierungsantritt der Hamas im März 2006 litten die Palästinenser zudem unter der internationalen, genauer gesagt der westlichen und israelischen Isolierungspolitik, die die PA ihrer finanziellen Basis beraubte und eine dramatische Verschlechterung der humanitären Situation mit sich brachte. Der Hamas gelang es nicht, effektiv für Ordnung und Sicherheit zu sorgen.
Nach mehreren gescheiterten Vermittlungsversuchen regionaler Akteure (insbesondere Ägyptens und Syriens) gelang es dem saudischen König, eine Einigung zwischen Fatah und Hamas zu vermitteln. Im Mekka-Abkommen vom 8. Februar 2007 kamen die Parteien überein, dass fortan Dialog und Partnerschaft anstelle von Gewalt die Mittel der innerpalästinensischen Auseinandersetzung sein sollten.
In den kommenden Wochen sollte eine Regierung der nationalen Einheit gebildet werden. Zudem soll die Hamas künftig Teil der PLO – der einzig legitimen Vertretung aller Palästinenser – werden und in ihren Gremien angemessen repräsentiert sein.
Mekka-Abkommen und Regierungsprogramm
Die Unterwerfung der palästinensischen Regierung unter die vom Quartett postulierten Bedingungen für eine Wiederaufnahme der Kooperation – Anerkennung des Existenzrechts des Staates Israel und der bisherigen Abkommen zwischen Israel und der PLO sowie ein genereller Verzicht auf Gewalt – wird sowohl im Mekka-Abkommen als auch im Programm der neuen Koalitionsregierung nur indirekt angesprochen.
Das Regierungsprogramm hält allerdings fest, dass die Einheitsregierung auf den Resolutionen des Palästinensischen Nationalrates, auf dem palästinensischen Grundgesetz, dem nationalen Versöhnungsdokument, den Resolutionen der Arabischen Liga sowie den Verträgen und Abkommen, die die PLO unterzeichnet hat, basiert.
Während der größte Erfolg des Mekka-Abkommens darin liegt, dass das interne Blutvergießen zunächst (weitgehend) beendet werden konnte, hat es die internationalen Erwartungen zunächst nicht erfüllt.
Dabei war nicht zu erwarten, dass sich eine palästinensische Koalitionsregierung den Quartettkriterien explizit unterwerfen würde. Denn Hamas ist zwar bereit, die faktische Existenz Israels anzuerkennen und auf eine Regelung auf Basis der 1967er Grenzen hinzuarbeiten, sie ist aber nicht willens, die moralische Legitimität Israels anzuerkennen.
Breite Basis für Koalition
Dennoch ist das Regierungsprogramm eine gute Ausgangsbasis. Denn durch die Dokumente, auf die dort Bezug genommen wird, wird die Regierung auf den Oslo-Rahmen (Abkommen der PLO), eine Zweistaatenregelung (Beschlüsse des Palästinensischen Nationalrates, insbesondere die Unabhängigkeitserklärung von 1988) sowie die konditionierte Anerkennung Israels (gemäß der Friedensinitiative der Arabischen Liga von 2002) verpflichtet.
Das Programm hält fest, dass der Präsident der PLO/PA für Verhandlungen mit Israel zuständig sein und ein eventuelles Verhandlungsergebnis einem Votum des Nationalrates der PLO bzw. einem Referendum unterworfen werden soll. Zudem enthält das Regierungsprogramm das Angebot, eine umfassende beidseitige Waffenruhe umzusetzen und die Freilassung des israelischen Soldaten Gilad Shalit voranzutreiben.
Grundsätzlich verfügt die große Koalition, die neben Vertretern von Hamas und Fatah auch den Dritten Weg, die DFLP, PPP und al-Mubadara einbezieht, mit ihrer breiten Basis in der palästinensischen Bevölkerung über günstige Voraussetzungen, ihre Politik effektiv umzusetzen.
Dennoch ist keineswegs gesichert, dass das Machtteilungsarrangement erfolgreich sein wird. Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen politischen und gesellschaftspolitischen Vorstellungen der Koalitionspartner sind die Herausforderungen auf jeden Fall beträchtlich.
Am schwierigsten dürften sich dabei die Aufnahme der Hamas in die PLO und deren umfassende Reform, die Aussöhnung an der Basis nach den bewaffneten Zusammenstößen sowie die Entwaffnung der Milizen bzw. ihre Integration in die Sicherheitskräfte gestalten.
Herausforderungen für das reaktivierte Nahostquartett
Das Quartett sollte die Regierungsumbildung als Chance für die Wiederaufnahme des Dialogs und der Kooperation mit der PA sowie als Ansatz für Vermittlungsbemühungen zwischen Israel und den Palästinensern begreifen.
Dabei sollte die EU vorangehen und – da das Programm der palästinensischen Regierung die Quartettprinzipien weitgehend reflektiert – gemäß dem Beschluss des Europäischen Rats vom Dezember 2006 die diplomatische Isolierung aufheben und die Kooperation mit der PA wiederaufnehmen.
Im Vordergrund der Entscheidung über das Ausmaß der Kooperation sollte die Frage der tatsächlichen Gewaltfreiheit stehen, das heißt das Bemühen der palästinensischen Regierung, einen umfassenden Waffenstillstand zu erreichen und diesen effektiv umzusetzen. Dies kann allerdings nicht gelingen, wenn Israel sich nicht ebenfalls an den Waffenstillstand hält.
Nur in Kooperation mit der palästinensischen Regierung wird es möglich sein, die weitere Erosion der PA-Strukturen und damit auch das Eindringen von dschihadistischen Akteuren zu verhindern, die sozioökonomische Situation nachhaltig zu verbessern und Friedensverhandlungen wieder aufzunehmen.
Eine erwünschte Stärkung des palästinensischen Präsidenten und der moderaten Kräfte kann nicht durch eine exklusive Kooperationsbeziehung erreicht werden, die die Hamas außen vor lässt. Auch eine massive Aufrüstung der Präsidentengarde, wie vom Weißen Haus beabsichtigt, ist hierbei keine zielführende Maßnahme.
Chance für Neuanfang
Um Präsident Abbas' Legitimität und damit Durchsetzungsfähigkeit innerhalb der neuen Konstellation zu stärken, sind vielmehr zwei Ansatzpunkte relevant:
Erstens die Verbesserung der Regierungsführung: Hier sollten die Europäer eine Form von Unterstützung anbieten, die sich nicht an politischen Opportunitäten orientiert, sondern auf Transparenz, demokratische Verfahren und checks and balances abzielt.
Dazu gehören die Vereinheitlichung der Sicherheitskräfte unter Ägide des Innenministeriums, die Entwaffnung der Milizen aller Parteiungen, die Rückkehr zu einem geregelten Haushaltsprozess – mit Geldflüssen über das Finanzministerium und unter Aufsicht des Parlaments – und klare Kompetenzregelungen zwischen dem Präsidenten und dem Premierminister.
Notwendig ist aber auch ein Fatah-interner Reformprozess, der die Bewegung zu einer handlungsfähigen und attraktiven politischen Kraft macht.
Zweitens der Wiedereinstieg in einen Friedensprozess, der konkrete Schritte der Vertrauensbildung (Ausweitung des Waffenstillstands, Freilassung der israelischen Geisel und palästinensischer Häftlinge, Wiederaufnahme der Transferzahlungen nach dem Pariser Protokoll, Umsetzung des Abkommens über Bewegung und Zugang vom November 2005, Siedlungsstopp etc.) mit einem "politischen Horizont" kombiniert, also mit einer Einigung auf die Umrisse eines endgültigen Status in Form einer goal map.
Ohne die USA wird ein solcher Ansatz letztlich nicht funktionieren. Darum ist hier besondere Überzeugungsarbeit notwendig. Dabei dürfte die EU einen Partner in der US-Außenministerin finden, die selbst einen "politischen Horizont" propagiert. Keinesfalls aber sollte sich die EU die Chance auf einen Neuanfang wider besseres Wissen von den USA blockieren lassen.
Muriel Asseburg
© Muriel Asseburg 2007
Dr. Muriel Asseburg ist Mitglied der Forschungsgruppe Naher Osten und Afrika der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin
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