Realistische Schwarzmalerei

Drei Jahre nach dem Beginn des Irak-Kriegs steht das Zweistromland vor gewaltigen politischen Problemen, die die innere Einheit und die Demokratie im Land gefährden.

Von Peter Philipp

Der ehemalige irakische Interim-Premier, Iyad Allawi, findet keine bessere Bezeichnung: Was sich heute im Irak abspiele, könne doch nur als Bürgerkrieg bezeichnet werden. Wenn täglich Dutzende von Menschen getötet werden und die Gewalt weiter eskaliert, dann bewege man sich in eine ausweglose Situation und nähere sich dem Ende des irakischen Einheitsstaates.

Ethnisch und religiös bedingter Zerfall

Der Schiit Allawi, einst Baath-Aktivist, dann - im Exil - Mitarbeiter der CIA und heute Führer einer weltlich orientierten Partei, die im Parlament mit nur 14 Prozent vertreten ist, malt ein düsteres Bild von der Zukunft seines Landes. Und er warnt, dass der Irak vor dem Zerfall in ethnisch und religiös gefärbte Teile, vielleicht sogar Kleinstaaten stehe.

Nicht nur Schwarzmalerei, die zum Ziel hat, Allawi als Kompromiss-Politiker ins Spiel zu bringen, um die auseinander strebenden Kräfte wieder zusammenzubringen. Es ist auch eine Portion Realismus, denn nie zuvor hat der Irak vor so vielen Problemen gestanden, wie am 3. Jahrestag des amerikanischen Angriffs vom 20. März 2003.

Seit dem Anschlag auf die "Goldene Moschee" im Februar bekämpfen sich Schiiten und Sunniten mit wahlloser und blinder Gewalt, die internationale Brigade von Terroristen verschiedener Couleur treibt weiterhin ihr Unwesen.

Und wenn die US-Truppen auch seit Tagen die größte Militär-Operation gegen Terroristen und Widerstandsgruppen im "sunnitischen Dreieck" durchführen, so dürfte ihnen doch auch klar sein, dass sie den Terror nicht mit Panzern und Kampfhubschraubern stoppen können.

Auch nicht mit den irakischen Sicherheitskräften, die fast die Hälfte der Einsatztruppen ausmachen: So unerschrocken sich trotz aller Anschläge auch immer weiter junge Iraker in den Rekrutierungszentren melden, so unerfahren sind sie doch auch und so wenig in der Lage, wirklich Ruhe und Ordnung herzustellen.

Iyad Allawi hat wiederholt kritisiert, dass die USA die Sicherheitskräfte des alten Regimes abschafften, statt sich ihrer zu bedienen. Ein Fehler, dessen Korrektur noch viel Zeit und - vor allem - noch viele Opfer kosten wird.

Regierungsbildung auf die lange Bank geschoben

Und auf politischem Gebiet ist eine rasche Lösung auch nicht in Sicht: Mehr Sicherheit erhofften sich viele Iraker zum Beispiel von den ersten Ansätzen des demokratischen Prozesses, vor allem von den Wahlen im Dezember. Bisher sind drei Monate vergangen und das neue Parlament hat es gerade einmal zu einer kurzen und mehr symbolischen Sitzung gebracht. Nicht aber zur Bildung einer Regierung. Die wird noch Wochen oder Monate auf sich warten lassen.

Und die Bevölkerung ist zusehends frustriert, denn sie hatte sich mehr erhofft von den Wahlen. Selbst besonnenen Iraker kommen wehmütige Erinnerungen an die Zeit Saddams auf: Da war man zwar nicht frei, aber man hatte mehr Sicherheit. So mancher vermisst einen "starken Mann", ohne zu merken, dass das nicht gerade den Kriterien einer Demokratie entspricht. Und ohne zu wissen, woher der neue starke Mann denn kommen könnte.

Der alte jedenfalls kommt auch für die Frustrierten nicht in Frage: Saddam verschleppt immer wieder den Prozess, in dem er sich bisher für die Ermordung schiitischer Dorfbewohner zu verantworten hat. Wie lange der Prozess noch dauern wird, weiß niemand. Nur, dass er dem Irak nicht aus der gegenwärtigen Misere helfen wird.

Das würde auch ein amerikanischer Rückzug nicht tun. Im Gegenteil: Das Land würde noch mehr im Chaos versinken. Und so besinnt sich jeder scheinbar immer mehr darauf, seine eigenen Interessen wahrzunehmen. Die Schiiten streben mehr Autonomie in ihrem ölreichen Südteil des Landes an, die Kurden wollen das mit mehr Unabhängigkeit ihres ohnehin fast autonomen Norden kontern.

Bleiben die Sunniten, die hierbei ebenso leer auszugehen drohen wie bei der künftigen Machtverteilung. Sie können die Macht nicht zurückerlangen, aber sie können den anderen den Gefallen an der Macht gehörig vergällen.

Drei Jahre nach dem amerikanischen Einmarsch leidet der Irak an mehr Problemen als zuvor. Und Iyad Allawis düsterer Blick in die Zukunft ist alles andere als Schwarzmalerei.

Peter Philipp

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2006