Vielfalt, aber richtig
Gleich und gleich gesellt sich gerne. Man sucht sich Freunde aus einem ähnlichen sozialen Milieu, Gesprächspartner, die ähnliche Ansichten haben, Partner mit ähnlichen Interessen. Dieses Prinzip zieht sich auch durch die Berufswelt. So werden häufig bei Stellenbesetzungen Bewerber bevorzugt, die von ihrer Religion, Herkunft, dem sozialen Milieu, ihren Einstellungen und oft auch ihrem Geschlecht demjenigen ähneln, der die Auswahl trifft. Das Ergebnis: Die Wirtschaft wird von weißen, heterosexuellen, mittelalten Männern dominiert.
"Wenn ich in der Führung nur noch eine Art von Mensch habe, dann sind das nicht unbedingt die Besten, sondern die Gleichsten, die nach oben kommen. Und das ist ein Problem für Unternehmen", meint Veronika Hucke, Inhaberin des Beratungsunternehmens D&I Strategy and Solutions.
Je bunter, desto kreativer
Dabei könnten Unternehmen davon profitieren, eine heterogene Belegschaft zu haben. Menschen mit Migrationshintergrund bewegen sich häufig zwischen verschiedenen Kulturen, beherrschen mehr als nur eine Sprache und sind oft flexibel. Oft nehmen sie Dinge anders wahr und haben andere Lösungsansätze als ihre deutschen männlichen Kollegen. In den Unternehmen kann das zu höherer Kreativität und damit zu entscheidenden Wettbewerbsvorteilen führen. Eine solche inspirierende Andersartigkeit können natürlich auch andere Menschen haben, die nicht dem allgemeinen Mainstream entsprechen.
"Es gibt zahllose Untersuchen die zeigen, dass homogene Teams zwar mit ihren Ergebnissen sehr zufrieden sind, aber dass das daran liegt, dass sie schwierige Diskussionen nicht auf den Tisch bringen und dass das heißt, sie werden ihren eigenen Fähigkeiten und ihren eigenen Möglichkeiten nicht gerecht", so Hucke.
Zudem sind die äußeren Umstände so, dass Unternehmen eigentlich gar nicht umhin können, mehr auf Vielfalt zu achten. Allein die demografische Entwicklung, Zuwanderung, Globalisierung und ein möglicher Fachkräftemangel machen das nötig. Um genügend Arbeitskräfte in Deutschland zu haben, müssen netto 400.000 Menschen einwandern, ergaben Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).
Der Wille ist da - bei einigen
Um die Vielfalt zu fördern, haben vor etwa zehn Jahren vier Unternehmen in Deutschland eine Charta der Vielfalt initiiert. Die Unterzeichner dieser Charta verpflichten sich, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das frei von Vorurteilen ist. Bei ihnen sollen alle Beschäftigten gleichermaßen respektiert werden - unabhängig von Geschlecht, Nationalität, ethnischer Herkunft, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexueller Orientierung und Identität. Inzwischen gehören an die 2500 Unternehmen mit über neun Millionen Beschäftigten dieser Charta an, darunter die großen deutschen Autokonzerne, Bayer, die Deutsche Bahn, Deutsche Telekom und Siemens.
Auch andere Unternehmen, die nicht dieser Charta beigetreten sind, halten heterogene Belegschaft für hilfreich. Nach einer Umfrage der Charta der Vielfalt sind zwei Drittel der Unternehmen in Deutschland der Meinung, dass Vielfalt im Unternehmen konkrete Vorteile bringe. Trotzdem haben zwei Drittel der Firmen noch keine Maßnahmen eingeführt, um eine solche Vielfalt zu managen und nur 20 Prozent planen für die Zukunft konkrete Diversity-Management-Maßnahmen.
"Diversity Management ist sehr viel Arbeit. Es ist erstmal unbequem, weil man selbst auch sehr viel umdenken muss, aus seinen eigenen Routinen ausbrechen muss, Strukturen anfassen muss, Prozesse anfassen muss. Das macht erst mal Arbeit", sagt Kerstin Tote von der Charta der Vielfalt.
Stand der Dinge
Wenn es um Vielfalt geht, sind in Deutschland oft Frauen im Blickpunkt. Das zeigt auch eine Befragung der Charta der Vielfalt, bei der 95 Prozent der Unternehmen angaben, Frauen seien Hauptzielgruppe ihrer Diversity-Aktivität. Trotz der Bemühungen bleiben die Chefetagen der deutschen Privatwirtschaft bislang eine Männerdomäne. Nur 26 Prozent der Posten in der obersten Leitungsebene wurden 2016 von Frauen besetzt, geht aus einer kürzlich veröffentlichten Untersuchung des IAB hervor. 2004 habe der Anteil bei 24 Prozent gelegen. In der zweiten Führungsebene erhöhte sich der Anteil in dieser Zeit von 33 auf 40 Prozent, ergab die Befragung von rund 16.000 Betrieben.
Auch bei der Bezahlung haben Frauen immer noch das Nachsehen. Die Lohndifferenz zwischen Frauen und Männern beträgt im Durchschnitt 21 Prozent. Selbst wenn man herausrechnet, dass Frauen häufiger in Teilzeit arbeiten, seltener in Führungspositionen aufsteigen oder eher in sozialen Berufen mit geringen Verdiensten tätig sind, bleibt noch immer eine Lücke von sieben Prozent im Durchschnitt.
Auch Menschen mit Migrationshintergrund sind auf dem Arbeitsmarkt und beim Einkommen schlechter gestellt als Menschen ohne Migrationshintergrund, so das Statistische Bundesamt (Destatis).
Kerstin Tote von der Charta der Vielfalt ist dennoch der Meinung, Deutschland werde in Europa, wo es an die 20 ähnliche Chartas gebe, als Vorbild gesehen. "Allerdings gibt es Länder, die uns in einigen Themen eindeutig überholen", sagt Tote. So spiele in Skandinavien das Thema Gleichberechtigung von Frauen keine große Rolle mehr, weil da schon viel erreicht sei. "Dafür sind wir in Themen wie der Arbeitsmarktintegration von Zuwanderern recht gut", meint Tote. Und auch im Hinblick auf sexuelle Orientierung und läuft es im Vergleich zu anderen europäischen Ländern in Deutschland gut.
Aussortiert von Anfang an
Oft fängt die Schlechterstellung schon bei der Bewerbung an. Das ist noch nicht mal unbedingt absichtlich. Um zu verhindern, dass unterbewusste Vorurteile die Entscheidung beeinflussen, kann der Bewerbungsprozess umgestaltet werden. Gern zitiert wird, dass in den Spitzenorchestern in den USA jahrelang fast nur Männer spielten. Das änderte sich, als das Symphonieorchester in Boston in den 70er Jahren die Bewerber hinter einem Vorhang vorspielen ließen. So konnte sich das Auswahlkomitee auf die Qualität der Musik konzentrieren - unabhängig vom Geschlecht. Dadurch ist der Frauenanteil in den Top-Orchestern von fünf auf 40 Prozent gestiegen.
Werden Bewerbungsverfahren anonymisiert - also ohne persönliche Angaben wie Name, Nationalität, Alter, Geschlecht, Religion und Adresse, dann haben Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund deutlich bessere Einstiegschancen, das haben Versuche in Schweden gezeigt. In einigen Ländern ist das schon üblich. In den USA haben Bewerbungen seit Jahrzehnten kein Foto. In Belgien sind anonymisierte Verfahren im öffentlichen Sektor seit Jahren Standard. In Frankreich ist per Gesetz bestimmt, dass Unternehmen ab 50 Mitarbeitern anonymisierte Bewerbungen durchführen müssen.
Dagegen soll das anonymisierte Bewerbungsverfahren, das es für Stellen im öffentlichen Bereich in Bundesland Nordrhein Westfalen seit 2013 gab, wieder abgeschafft werden. Die Begründung: Die Ziele seien nicht erreicht worden, so der Integrationsminister Joachim Stamp. Einen Nachweis, dass das Verfahren Vorteile gebracht habe, gebe es nicht. Mögliche Diskriminierungen verlagerten sich lediglich auf spätere Stufen des Bewerbungsverfahrens.
Vielfalt managen
Probleme gibt es aber nicht nur beim Bewerbungsverfahren. Heterogene Belegschaften müssen auch richtig gelenkt werden, mittels sogenannten Diversity-Management. Denn: "Vielfalt bedeutet nicht nur mehr Kreativität, mehr Innovationspotential, sondern sie geht vielfach auch mit mehr Konflikten, mit Reibungsverlusten einher", erklärt Kathrin Trump, Gründerin des Instituts für Diversity Management. "Es gibt aus der Sozialpsychologie die Erkenntnis, Ähnlichkeit macht sympathisch - im Umkehrschluss macht Unähnlichkeit aber auch erstmal etwas unsympathischer."
Barrieren, die unterschiedliche Menschen im Berufsalltag erleben, seien beispielsweise, dass ihre Ideen nicht gehört würden, so Beraterin Veronika Hucke. Oder dass sie in Meetings nicht ausreden könnten, weniger Zugang zu Trainings- und Weiterbildungsmaßnahmen haben, sich vom Chef und Kollegen nicht wertgeschätzt fühlen. Zuerst müssen solche Probleme identifiziert werden, dann gezielte Maßnahmen eingeleitet und die Zielerreichung überprüft werden.
Solche Maßnahmen können ganz simpel sein. Beispielsweise laufen Meetings häufig so ab, dass die extrovertierten Mitarbeiter ihre Ideen vorbringen und Diskussionen vorantreiben. "Die Introvertierten haben keine Zeit, sich zu sortieren, während sich die Diskussion in rasantem Tempo entwickelt", erklärt Hucke. "Wenn aber jeder seine Idee aufschreibt, diese im Forum vorgestellt und erst dann diskutiert wird, haben auch Stillere eine Chance, sich einzubringen."
Insa Wrede
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