Zeit des Aufbruchs
In meinem ersten Dokumentarfilm "My Makhzen and me" ("Mein Makhzen und ich") ging es um die marokkanischen Aufstände des 20. Februar 2011. Die ersten Szenen führten das Publikum durch ein Nordafrika, das plötzlich begonnen hatte, gegen Diktatur und soziale Ungleichheit zu rebellieren.
Natürlich begann dieser Teil des Films in Tunesien – dem Geburtsort unserer glorreichen Revolutionen. Damals wusste ich noch nicht, dass ich im südlichen Teil dieses Landes einige Jahre später auch "Paradises of the Earth" filmen würde – an genau denselben Orten, an denen die Revolution von 2011 begann.
In der Zwischenzeit haben sich viele Dinge geändert, und dies nicht nur auf weltpolitischer Ebene, sondern auch bei mir persönlich, in meiner Selbstwahrnehmung. Ich habe mir Zeit genommen, um zu reflektieren, nachzudenken, Inspiration zu finden und zu lernen. Dieser lange Prozess der Reflexion, im Zuge dessen sich auch mein politisches Bewusstseins erweitert hat, fand zeitgleich mit den politischen und wirtschaftlichen Veränderungen in unserer Region statt, gemeinsam mit der Ebbe und Flut von Revolution und Gegenrevolution.
Ruf nach Solidarität
Daher ist dieser Dokumentarfilm auch genau zur richtigen Zeit entstanden. Er hilft mir, das Jahr 2011 in umfassender Weise zu reflektieren. Während sich mein erster Film auf mein individuelles Verhältnis zum Volksaufstand in den städtischen Zentren konzentrierte, untersucht die aktuelle Dokumentation die dialektische Beziehung zwischen verschiedenen Menschen an unterschiedlichen Orten und ihre kollektive Interaktion mit den Bemühungen im ländlichen Raum.
Während ich beim letzten Mal zu Mitgefühl aufgerufen habe, fordere ich jetzt Solidarität. Während ich vorher die Gegenwart von der Vergangenheit getrennt habe, möchte ich nun die historische Kontinuität aufzeigen – nicht auf Einzelpersonen bezogen, sondern so, wie sie von der gesamten Bevölkerung geschaffen wird.
In vielerlei Hinsicht war das Jahr 2017 für mich ein Jahr der Experimente. Ich versuche, die Ideen umzusetzen, die ich ins Leben gerufen habe und die mich in den letzten sechs Jahren inspirierten. Dieses Projekt ist das zweite von drei Experimenten in diesem Jahr. Mein Ziel ist es, eine Art Harmonie herzustellen – zwischen den Produktionsmethoden, die ich anwende, den filmerischen und künstlerischen Formen, mit denen ich meine Themen ausdrücke, und den Vertriebs- und Darstellungsmedien, über die der fertige Film sein Publikum erreicht.
Wie bei allen Experimenten gibt es auch hier Erfolge und Mängel. Ein Erfolg war, dass ich einige der Darsteller als Produzenten gewinnen und damit den Menschen vor der Kamera ein Mitspracherecht dabei geben konnte, wie sie dargestellt werden wollten. Erfolgreich war auch die Art, wie der Film an die Öffentlichkeit ging – unabhängig von Staaten, Konzernen oder elitären Filminstitutionen.
Für eine grenzenlose Vision Nordafrikas
Ein weiterer positiver Aspekt des Films liegt darin, dass "Paradises of the Earth" international ausgerichtet ist und die grenzüberschreitende Solidarität betont. Dies gilt nicht nur für die Auswahl der Themen, die sich über die gesamte Region erstrecken, sondern auch für das Produktionsteam.
Der Film ist ein Paradebeispiel für eine nordafrikanische Produktion. Er vermeidet die üblichen, absurden nationalen Schubladen und verkörpert eine grenzenlose, entkolonialisierte Vision von Nordafrika. Zu seinen Mängeln werde ich später mehr schreiben, wenn sie offensichtlicher werden, aber was bereits jetzt hervorsticht, ist, dass wir die Frauen zu wenig zu Wort kommen ließen.
Es scheint, dass ich bis jetzt in mehr oder weniger konzeptionellen Begriffen gesprochen habe – erlauben Sie mir daher, nunmehr etwas konkreter zu werden und zu erklären, wie es eigentlich zu diesem Projekt kam.
In vielerlei Hinsicht entstand dieser Film zufällig und unbeabsichtigt. Als ich im vergangenen April an Bord eines Flugzeugs nach Tunesien ging, hatte ich sicherlich nicht die Idee, eine Dokumentarserie über eine Solidaritätskarawane nordafrikanischer Aktivisten zu drehen. „Paradises of the Earth“ begann als völlig anderes Projekt – Tausende Kilometer von Tunesien entfernt in einer südostmarokkanischen Siedlung namens Imider.
Über Imider und das, woran wir dort arbeiten, kann ich momentan noch nicht mehr sagen. Wichtig ist aber, dass meine Reise nach Tunesien ein Bestandteil dieses Projekts war. Um es klarer auszudrücken, ich reiste aus zwei Gründen nach Tunesien: Erstens als Aktivist, als Teil dieser Karawane, um den Menschen des vergessenen tunesischen Südens meine Solidarität zu zeigen. Und zweitens, weil ich einem meiner Darsteller aus Imider folgen wollte (der ebenfalls eingeladen war, sich dieser Karawane anzuschließen): Omar Moujane, ein Arbeiter an der Olivenpresse, ein Soziologiestudent und einer der ehemaligen politischen Gefangenen der Protestbewegung von Imider. Vielleicht erklärt das, warum ich im Laufe des Films immer wieder auf Omar als Filmfigur zurückkomme.
Nordafrikas Paradiese als Opfer kolonialer Gewalt
Nach einer Woche, in der ich die Karawane filmisch festgehalten hatte, begann sich allerdings meine Wahrnehmung des Materials (als Teil des Imider-Dokumentarfilms) zu verändern. Dies lag größtenteils an einer Diskussion mit einem der Hauptorganisatoren der Karawane, Hamza Hamouchene, einem leidenschaftlichen Kameraden, der mich viel über die Frage der Rohstoffförderung und die Verbindung zwischen Neokolonialismus und der Umwelt gelehrt hat. Schließlich kamen wir zu der Schlussfolgerung, dass ich bereits mehr Material hatte als nötig, und außerdem über eine außergewöhnliche Gruppe von Darstellern verfügte, die das Recht darauf hatten, dass ihre eigene Geschichte erzählt wurde.
Damit war "Paradises of the Earth" geboren, dessen Titel durch den großen Amazigh-Historiker Ibn Khaldoun inspiriert ist, der einst Gabes als "Paradies auf Erden" bezeichnet hatte. Im Nachhinein scheint es mir, dass Gabes nicht das einzige Paradies war. Nordafrika ist voll von Paradiesen, die der kolonialen Gewalt zum Opfer gefallen sind – ebenso wie ihre Bewohner, die "Elenden dieser Erde", wie es Fanon ausdrückte.
Außerdem entschieden wir uns, den Film als vierteilige Webdokumentation zu veröffentlichen. Dieses Medium, dachten wir, sei für das heutige maghrebinische Publikum, das schon lange nicht mehr in die Kinos geht, leichter verdaulich und besser zugänglich.
Dass wir uns entschieden, den Film frei und für alle verfügbar online zur Verfügung zu stellen, ist – abgesehen von der Tatsache, dass er mit kleinem Budget, ohne lächerliche staatliche Genehmigungen und ohne großes Team oder viel Ausrüstung gedreht wurde – unsere Art zu sagen: "Wir können nicht warten, unsere Geschichten zu erzählen. Deshalb erzählen wir sie sofort."
Nadir Bouhmouch
© Open Democracy 2017
Nadir Bouhmouch ist ein Filmemacher und Fotograf, dessen Schwerpunkt auf ländlichen und ökologischen Themen in Marokko liegt.
Aus dem Englischen von Harald Eckhoff