Preußens Scheherazade
Lange, sehr lange bevor ich Edward Said kannte und mir Gedanken über exotische Welten machen konnte, las ich die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht in gotischer Schrift.
Durch Scheherazades Erzählungen hatte ich mir die Schrift im Alter von zehn Jahren notgedrungen aneignen müssen. Nur kleinere Elemente blieben damals auf der Strecke. Lange Zeit dachte ich, es hieße "Eindbad, der Seefahrer".
Und ich besaß damals eine Schallplatte mit orientalischen Märchen von Elsa Sophia von Kamphoevener: Die Vorderseite erzählte vom "Gemahl der Nacht", die B-Seite vom "Gebet des Kadi". Beides war 1956 für den Bayerischen Rundfunk aufgenommen worden. Wieder und wieder hörte ich die tiefe, dunkle Stimme der Erzählerin und die Posse um den Kadi, dessen Liebesbekundungen einer Frau gegenüber sein Gebet waren.
Bewegtes Leben zwischen Orient und Okzident
Erst mit 73 Jahren wurde Elsa Sophia von Kamphoevener für den Rundfunk entdeckt. Da hatte sie schon ein bewegtes Leben zwischen Deutschland und dem Osmanischen Reich hinter sich mit vier Ehen und dem Verlust ihres gesamten Besitzes 1944. Ihr einziger Sohn fiel 1945 in den letzten Kriegstagen in Berlin.
Auf Schallplatte hatte die Deutsche Grammophon in den 1950er Jahren insgesamt nur fünf ihrer Aufnahmen herausgebracht, wie der Publizist und Hörspielautor Kurt Kreiler berichtet. 90 Prozent der Tonbänder seien dagegen für ein halbes Jahrhundert im Archiv verschwunden.
2008 hat der Verlag Zweitausendeins unter Mitwirkung von Kreiler zum ersten Mal eine Gesamtausgabe aller Aufnahmen unter dem Titel "Das Lachen der Scheherazade" herausgegeben.
Elsa Sophia Kamphoevener (ihre Familie wurde erst 1900 geadelt) wurde 1878 in Hameln geboren. Da ihr Vater als preußischer Offizier in der osmanischen Armee diente, lebte sie jedoch zeitweise in Istanbul. Im Auftrag von Kaiser Wilhelm I. ging Louis von Kamphoevener an den Hof von Sultan Abdülhamid II., um die Reform der Armee zu unterstützen.
Der Aufbau moderner Armeen war seit der Niederlage des Osmanischen Reichs im Krieg gegen Russland (1768-1774) zentrales Anliegen der Sultane, um das zerfallende Reich zu retten. Bis zum Ersten Weltkrieg waren deutsche Kommandostrukturen tief in die osmanische Armee eingebettet.
Gedächtnis des Orients
Von Kamphoevener teilte eine romantisierende Orientliebe, die in deutschen Schriftstellerkreisen um die Jahrhundertwende durchaus verbreitet war:
"Gedächtnis, welch wunderbares Ding! Die Westlichen haben es verloren, ebenso wie schon die Juden, denen Mohammed begegnete, es verloren hatten. Wenn man alles gleich aufschreibt, wozu braucht man dann ein Gedächtnis? Wie ein Nomade mich einmal fragte: ‚Sag’ mir Herrin, warum haben die Westlichen nicht gleich statt des Kopfes da oben ein Blatt Papier? … Automatisch zerstört ja der Schriftmensch das Erinnerungsvermögen und damit die Unbegrenztheit des Wissens, die dem Schriftlosen eigen ist. Das hohe Wissen des Orients lebt viel stärker und näher an dem Schriftlosen. So haben sich auch die orientalischen Märchen im Gedächtnis der Generationen durch viele hundert Jahre erhalten", so eine ihrer Gesprächsnotizen.
Angeblich sprach sie acht Sprachen und sicherlich ist sie in einer kosmopolitischen Welt aufgewachsen. Aber es gehörte damals durchaus auch dazu, sich eine eigene Biographie zwischen Ost und West zu erfinden.
Else Lasker-Schüler lief zu jener Zeit als "Jussuf, Prinz von Theben" oder "Tino von Bagdad" verkleidet durch Berlin. Und der deutschsprachige Schriftsteller Essad Bey behauptete – wie Kamphoevener auch – noch als Teenager durch Anatolien geritten zu sein und dort das Leben der kleinen Leute geteilt zu haben. Verbrieft ist es in beiden Fällen nicht.
Ähnlich wie Essad Bey schrieb auch sie über den Propheten Mohammed, der Text erschien allerdings erst 1968 posthum. 1919 gründete sie mit einem ihrer Brüder einen Verlag in Darmstadt, dessen Spezialität "Populäre Orientalistik" war.
Von Kampoevener verlegte ihre eigenen Bücher, die jedoch mäßig erfolgreich waren. Insgesamt schrieb sie 18 Romane.
Als orientalische Märchenerzählerin an der Front
1994 promovierte Helga Moericke an der FU Berlin über Leben und Werk der Märchenerzählerin und beleuchtet hier auch ihr Wirken im Nationalsozialismus. 1933 beantragte die Autorin die Aufnahme in die NSDAP, wurde jedoch zwei Monate später wieder aus der Kartei gestrichen. Ein zweiter Versuch 1935 wurde abgelehnt.
1942 meldete sie sich als Freiwillige an die Front und erzählte dort orientalische Märchen zur Unterhaltung der Soldaten. Nach dem Krieg kam sie 1951 zum Süddeutschen Rundfunk. Viele ihrer Aufnahmen sind Improvisationen, aber sie war in der Lage, packende Geschichten im Verlauf des Erzählens zu entwickeln. Elsa Sophia von Kamphoevener starb 1963, seit 1952 bis zu ihrem Tode lebte sie bei einer Freundin in Oberbayern.
Das vollständige Hörwerk von Elsa Sophia von Kamphoevener erschien in der neuen Reihe "Zweitausendeins Dokumente". 2008 erhielten die Verleger dafür den Deutschen Hörbuchpreis in der Kategorie 'Beste verlegerische Leistung'. Neben von Kamphoevener finden sich dort auch Archivaufnahmen von Elias Canetti, Gottfried Benn oder Kurt Schwitters.
"In Kamphoeveners Erzählungen verbinden sich original türkische Märchenstoffe mit dem Ideengut der deutschen Romantik, in ihnen wetteifern Liebesmystik und Eulenspiegelei, Seelentief und Erfindungslust, Lachen und Weinen, Spott und Ehrfurcht", so Kurt Kreiler im Beibuch.
Die Gestaltung des Beibuchs ist übrigens besonders gut gelungen und erinnert an die alten Bände aus der Insel-Bücherei mit goldgeprägter Schrift. In jeder Hinsicht also ein Genuß – wenn man nicht zu sehr durch Edward Said "verbildet" ist.
Sonja Hegasy
© Qantara.de 2009
Elsa Sophia von Kamphoevener: "Das Lachen der Scheherazade. Das Hörwerk", herausgegeben von R. Galitz, K. Kreiler und K. Theml im Verlag Zweitausendundeins. 27 Stunden und 45 Minuten auf 2 MP3-CDs.
Qantara.de
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