In der Schwebe

Auf dem diesjährigen Fajr-Festival in Teheran zeigte sich das iranische Kulturschaffen zwischen Abschottung, Konsolidierung und Normalität. Amin Farzanefar hat sich vor allem im Filmsektor umgeschaut.

Logo des Fajr-Filmfestivals
Spektakuläre neue Filmproduktionen waren auf dem Fajr-Festival in diesem Jahr nicht zu sehen

​​Gegenwärtig macht der Iran vor allem außenpolitisch von sich reden: Nuklear-Querelen, Drohungen gegenüber Israel, Karikaturenstreit. Im Inneren fordert Präsident Ahmadinedschad die Rückkehr zu den revolutionären Werten von vorgestern.

Ein Verbot westlicher Musik und amerikanischer Filme scheint angesichts der unkontrollierbaren Fülle von Raubkopien als kaum durchführbar, und dennoch verdient die iranische Kulturlandschaft im Jahr 2006 besondere Aufmerksamkeit.

Ein Tor zur Welt ist alljährlich das Fajr-Festival, das mit seinen drei Sektionen - Musik, Theater, Film - internationalen Austausch sucht und von der kulturhungrigen Teheraner Bevölkerung begeistert aufgenommen wird. Dabei lädt das Festival nicht nur Gäste ein, es stellt auch Mittel für internationale Koproduktionen zur Verfügung. Doch die Töpfe wurden dieses Jahr gekürzt, die Kompetenzen der einzelnen Sektionsleiter drastisch beschnitten.

Dass prominente Stammgäste wie Claus Peymann (Berliner Ensemble) oder Roberto Ciuli (Theater an der Ruhr) dieses Jahr keine eigenen Stücke aufführten, mag man als Folge der neuen Politik unter Ahmadinedschad deuten. Gegenläufig hierzu aber gab es den generellen Trend, die einheimische Theaterproduktion, insbesondere aus den Provinzen, zu stärken. So kamen von 89 geladenen Gruppen 73 aus dem Iran.

Provokationen vermeiden

In der Film-Sektion war keine klare Linie zu erkennen. Dass dieses Jahr neben wenigen herausragenden Produktionen nur öde Meterware zu sehen war, erschien manchem Beobachter als Ende des iranischen Kinowunders, das in den neunziger Jahren international neue Akzente gesetzt hatte.

Wahrscheinlicher noch ist eine kreative Schreckstarre, die viele Filmemacher angesichts einer unklaren Zukunft befallen hat: die befürchtete Verschärfung der Zensur hat nicht stattgefunden, aber man will lieber nichts provozieren.

Auch die Festivalinitiatoren – schließlich verlängerter Arm des Kulturministeriums – befinden sich momentan irgendwie auf dem Schwebebalken, und so fehlten dieses Jahr wirkliche Kracher wie etwa 2004 die mutige Mullahkomödie "Marmulak" oder 2001 der außergewöhnliche Frauen-Actionthriller "Sag Koshi".

Vor allem auf der diesjährigen Abschlussveranstaltung sah man, wo der ideologische Hammer hängt: Unter Reformpräsident Chatami waren die ausgehängten Konterfeis Chomeinis und seines irdischen Statthalters Chamenei irgendwo in lichte Höhen unter die Saaldecke entschwunden; nun forderte die Religion wieder ihren Tribut von der Kultur.

Parviz Parastui; Foto: www.iranactor.com
Parviz Parastui, iranischer Starschauspieler

​​So wurde die Verleihung der einzelnen Preise durch die Rezitation von Koransuren unterbrochen, den Hauptpreis gewann ausgerechnet Ebrahim Hatamikias pathetischer Film "Im Namen des Vaters", in dem Starmime Parviz Parastui ein weiteres Mal einen Golfkriegs-Veteranen gibt.

Rückschlag für die Liberalisierung

Insbesondere der Auftritt des neuen Kulturministers - richtiger: Minister für Kultur und religiöse Weisung - klärte die Fronten. Mohammad Hossein Saffar-Harandi erschien schon rein äußerlich im viel zitierten Desperado-Look als Mitstreiter des Präsidenten:

Mit struppigem Bart, wirrem Scheitel sowie jenem lehmfarbenen Stirnflecken, der von innigem Kontakt mit dem Gebetsstein kündet, wärmte Harandi Thesen von vorgestern auf, zitierte Fukuyama und Huntington als Vordenker eines vom Westen forcierten Kampfes der Kulturen, gegen die der Iran und seine Freunde zusammenstehen müssten.

Solcherlei Pflichtrituale des neuen Regimes lassen allerdings nur bedingt Rückschlüsse auf die kulturelle Gesamtsituation zu; vor allem, da auch das Abendland mit seiner verzerrten Optik gerne alles auf sich hin interpretiert.

Zweifelsohne bedeutet die neue rigide Haltung gegenüber dem als verderblich gebrandmarkten westlichen Einfluss ("Kulturimperialismus") einen herben Rückschlag für jede Liberalisierung, jedoch keineswegs gleich einen generellen Kultur-Stalinismus.

Volker Schlöndorff Präsident der internationalen Jury

So blickt der Iran eben nicht nur auf den Westen wie das Kaninchen auf die Schlange, und das Fajr-Festival tischte neben einigen Schonkost-Häppchen aus Hollywood vor allem ein mehrgängiges Menu Weltkino auf, darunter eine Retrospektive lateinamerikanischen Kinos, ein Reihe zum chinesischem Film sowie eine umfassende Werkschau des japanischen Regie-Altmeisters Yoji Yamada.

Und noch anderes sorgt für Irritationen im scheinbar klaren Frontenkrieg: Wo außenpolitisch gerade schwerstes Geschütz aufgefahren wird, gab sich das Festival vergleichsweise weltoffen und hatte Regie-Legende Volker Schlöndorff als Präsident der internationalen Jury geladen. Dieser hatte letztes Jahr einen Großteil der internationalen Preise abgeräumt - ausgerechnet mit "Der neunte Tag", einem KZ-Film, der den Holocaust nun wirklich nicht relativierte.

Das war zwar noch unter Chatami, aber die deutsch-iranischen Kulturbande wurden inzwischen noch intensiviert: Ende 2005 war Berlinale-Chef Dieter Kosslick nach Teheran gereist, um eine verstärkte Kooperation zwischen den Festivals anzuregen.

Die Sterne stehen dafür günstig: Das Fajr-Festival fiel dieses Jahr mit dem nach dem Mondkalender errechneten arabischen Trauermonat Moharram zusammen und wurde deshalb vorverlegt. Das vereinfachte die Übernahme von gleich sechs Fajr-Beiträgen auf der Berlinale.

Und zum ersten Mal seit über dreißig Jahren ist der Iran im Wettbewerb der Berlinale vertreten, mit gleich zwei Filmen. Wie es nächstes Jahr aussehen wird, steht einstweilen in den Sternen ...

Amin Fazanefar

© Qantara.de 2006

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