Mit allen Mitteln der Kunst
"Alles muss jetzt nochmal angeschaut werden, schonungslos", so die Regisseurin Pegah Ahangarani. Und während die 38-Jährige das sagt, läuft ein sehr langer Film von Konflikten, Kompromissen, Verdrängung und Verzweiflung vor dem inneren Auge ab. In Kunst, Literatur, Wissenschaften und Journalismus: Alle engagierten Iranerinnen und Iraner - ob im Exil oder im Land - wollen jetzt ihren Beitrag zum Kampf um die Freiheit der Frauen im Iran leisten.
Seit der Islamischen Revolution von 1979 haben Generationen von Filmemacherinnen auf ihr Land geschaut, im Rahmen ihrer Möglichkeiten kritisiert, thematisiert und gezeigt, was ging. Sie stehen in der Tradition der Lyrikerin Forugh Farochzzad, die mit ihrem Dokumentarfilm "Das Haus ist schwarz" 1962 schon vorgemacht hat, wie man poetisch und trotzdem wirkungsvoll anklagt, in diesem Fall ging es um den Umgang mit an Lepra erkrankten Menschen.
Pegah Ahangarani ist seit vielen Jahren Teil der iranischen Filmszene, ihre Mutter ist die Regisseurin und Produzentin Manijeh Hekmat, ihr Vater ist ebenfalls Produzent. Sie macht Karriere als Schauspielerin, wird berühmt und vielfach ausgezeichnet. Doch ihr Herz gehört dem Dokumentarfilm, seit über 15 Jahren.
Traumata aufarbeiten
Seit 2021 lebt sie im Exil, kann vorerst nicht mehr zurück in den Iran, zu kritisch war ihr letzter Kurz-Dokumentarfilm "I am trying to remember" von 2021 über das Vergessen und Verdrängen - auch in ihrem eigenen Umfeld - nach den massenhaften Tötungen politischer Häftlinge während des Iran-Irak-Krieges 1980 bis 1988.
Der kurze Filmessay, der gerade vom Magazin "New Yorker" gezeigt wird, ist ganz persönlich erzählt - und wählt mit den aus Familienalben gekratzten Bildern von Personen ein starkes Symbol für das Auslöschen von Erinnerung an diejenigen, die sich auflehnten und verschwanden, für das Verdrängen von Schmerz. Es sind Traumata, die sich im Iran durch Generationen ziehen.
Ihre Generation habe es mit Kooperation versucht, das sei gescheitert, sagt Pegah heute. Sie bewundert die Jungen, die sich jetzt exponieren, das Kopftuch abnehmen, die Haare abschneiden und auf die Straße gehen. "Meine Generation, die jetzt zwischen 25 und 40 Jahre alt ist, wir sind in der Zeit von Rohani aufgewachsen, einer Zeit der Hoffnung auf Reformen. Doch sie wurde nicht eingelöst. Die junge Generation jetzt sagt: 'Es reicht. Wir wollen keine Reform. Wir wollen keine Kompromisse. Wir wollen etwas anderes.' Sie sind sehr mutig, sie leisten Widerstand, gehen auf die Straße, werden getötet, gehen trotzdem wieder auf die Straße. Sie inspirieren uns, zu sagen, okay, vielleicht ist es jetzt wirklich genug."
So wie sie heute auf die Zwanzigjährigen blickt, die sich todesmutig dem Regime entgegen stellen, so hat eine Koryphäe iranischen Filmschaffens wohl 2001 auf sie geblickt, mit Faszination und vielen Fragen. Rakhshan Banietemad gehört zur Revolutionsgeneration - und zu den wichtigsten Regisseurinnen im Iran. 2001 befragte sie in ihrem Dokumentarfilm "Our Times" zur Präsidentschaftswahl die junge Generation, auch Pegah war Teil des Films.
Banietemad gilt als "First Lady des iranischen Films", nicht nur wegen ihres internationalen Erfolgs, sondern auch wegen ihrer Themenwahl: Meist setzt sie konsequent eine unterprivilegierte Figur in den Mittelpunkt. Dabei hat sie ikonische Frauenfiguren geschaffen, etwa Tooba (gespielt von Golab Adineh in "Under the Skin of a City"), Nobar (Fatemeh Motamed-Arya in "The Blue-Veiled") oder Sara (Baran Kosari spielt sie in "Mainline").
Wie andere Vorkämpferinnen, etwa Tamineh Milani und Niki Karimi - oder Manijeh Hekmat, Pegahs Mutter - hat Rakhshan Banietemad soziale Probleme, insbesondere die der Frauen im Iran, in den Mittelpunkt ihrer Werke gestellt. Doch iranische Filmemacherinnen und Filmemacher müssen immer wieder mit der Zensur ringen, sei es zur Genehmigung des Drehbuchs, sei es zur Genehmigung der Kinoaufführung.
Verhöre und Gefängnis
Auch Pegah Ahangarani wurde unzählige Male verhört und saß 2009 einen Monat lang im Gefängnis. "Noch Jahre nach dieser Erfahrung bin ich davon wirklich geschädigt. Ich hatte so viele Verhöre, ich kann sie gar nicht zählen. Mehr als vierzig. Und jedes Mal, wenn sie mich verhörten, hatten sie mich vorher über eine unterdrückte Nummer ausfindig gemacht. Es schüttelt mich noch heute, wenn ich einen Anruf mit unterdrückter Rufnummer bekomme", so Ahangarani im Gespräch mit Deutschen Welle (DW).
Kein Wunder, dass viele Regisseurinnen des Landes inzwischen im Exil leben. Sie reihen sich ein in die Proteste und erheben ihre Stimme: etwa Shirin Neshat oder Sepideh Farsi. Es gehe nicht alleine um den Tod von Jina Mahsa Amini, sagt Neshat 2022 im Interview mit der Deutschen Welle: "Die Frustration von Frauen, die seit 43 Jahren gezwungen sind, sich zu verschleiern, ist sehr groß. Es gibt viele gebildete Frauen, und denen ist klar, dass sie nicht die gleichen Menschenrechte haben wie Männer. Es geht um die Radikalität dieser Regierung, die so weit geht, eine junge Frau zu ermorden, nur weil sie ein paar Haare zeigt."
Pegah Ahangarani sieht großes Potential im iranischen Dokumentarfilm, der im Ausland lange nicht so bekannt ist wie die Spielfilme. Hier habe ihre Generation eine Aufgabe zu erfüllen: "Wir müssen uns die Vergangenheit anschauen, die ganzen Erinnerungen. Wir müssen das dem Publikum erzählen. Uns selbst erzählen, wenn wir diesen Kreislauf durchbrechen und der Regierung nicht erlauben wollen, so etwas wieder zu tun."
Vergangenheit aufarbeiten
Die Gefahr, dass Ähnliches wieder passiert, ist real: Vor zwei Monaten erst habe der Oberste Führer des Iran, Ajatollah Chamenei, gesagt, der Gott von damals (1979, Anmerkung der Red.) sei auch der Gott von heute, zitiert Ahangarani. "Sie haben bereits Politiker hingerichtet und junge, unschuldige Menschen. Und sie wollen es wieder tun."
Neben Leid durch patriarchale Strukturen, wirtschaftliche Misere, Kriege und Terror ist es oft das ungelebte Leben, dessen Gewicht sich in den Geschichten abbildet. Bahar Ebrahim, eine iranisch-deutsche Dokumentarfilmerin, hat in "16 Women", einem persönlichen und zeitlosen Film, sechzehn Frauen aus ihrem Umfeld in Teheran beobachtet, von der Großmutter bis zur jungen Fahrschülerin, oft Zufallsbekanntschaften: Überall werden die Barrieren spürbar.
Und auch die Tricks der menschlichen Psyche, dem zu entkommen. Sozusagen den kahlen Wänden des Lebens mit Stiften etwas Farbe zu entlocken, wie bei der Großmutter der Filmemacherin, die seit dem Tod ihres Mannes bis spät in die Nacht hinein Bilder malt, Papier über Papier vollmalt, und dann auch die Wände ihrer Wohnung. "Ich wollte die Stärke zeigen, die Schönheit dieser Frauen, trotz der ganzen Schmerzen, die sie erfahren haben", so Bahar Ebrahim.
Auf den jetzigen Protesten ruhen alle Hoffnungen. "Ich habe in den Straßen Szenen gesehen, die mich tief erschütterten", sagt Pegah Ahangarani. "Ich bin so stolz auf diese junge Generation. Ich glaube, mit ihnen kann die Islamische Republik nicht bleiben, was sie war. Ich habe Hoffnung."
Der Protestruf "Frau, Leben, Freiheit" hat den Kampf der iranischen Frauen um Freiheit nicht von ungefähr zu einem Kampf aller Frauen erhoben. Bei europaweiten Demonstrationen wird Solidarität bekundet, Wut und Entsetzen ausgedrückt. "Sichtbarkeit und Druck auf das Regime müssen aufrechterhalten werden, das ist das Wichtigste jetzt", sagt Ebrahim.
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