Europäisch bedingte Erfolge

Das Ausmaß des islamistisch motivierten Umbaus der Türkei durch die Regierungspartei AKP wird auch daran gemessen, inwieweit es ihr gelingt, ihre konservativen Vorstellungen in der Frauenpolitik durchzusetzen. Von Joseph Croitoru

Von Joseph Croitoru

Was die AKP-Kader von türkischen Feministinnen halten, die mit die letzten Bastionen der laizistischen Opposition im Land zu bilden scheinen, ist bekannt: Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu etwa hält den Feminismus für "tödlich". Obgleich den Demonstrationen der Aktivistinnen meist erhebliche Aufmerksamkeit geschenkt wird, ist der tatsächliche Erfolgsgrad ihrer Reformbemühungen bislang von Forschern kaum systematisch untersucht worden. Einen ersten Versuch hat jetzt die amerikanische Politologin Melinda Negrón-Gonzales unternommen – und ist zu einem überraschenden Ergebnis gekommen.

Die Autorin stellt nämlich fest, dass jener Teil der türkischen Frauenbewegung, der emanzipatorische Reformziele verfolgt, zwar mit den Jahren gewachsen und auch immer besser organisiert ist. Dennoch sei in jüngerer Zeit zu beobachten, dass parallel dazu die Durchschlagskraft der türkischen Frauenrechtlerinnen immer weiter abnehme – anders als in früheren Phasen der AKP-Herrschaft, in denen die von Negrón-Gonzales drei analysierten feministischen Kampagnen stattfanden.

Bei der ersten nahmen sich die Aktivistinnen, ermuntert durch ihren Erfolg bei der Reformierung des bürgerlichen Gesetzbuchs in den Jahren 2000 bis 2001, in dem die Gleichberechtigung der Frau festgelegt wurde, das veraltete Strafgesetz der Türkei vor.

Der türkische Präsident Erdoğan mit seiner Frau Emine am 27. August 2014; Foto: AFP
Absage an Emanzipation und vollständiger gesellschaftlicher Teilhabe: Bereits im November 2014 hatte Recep Tayyip Erdoğan sein konservatives Frauenbild bekräftigt. Eine völlige Gleichstellung von Mann und Frau sei "gegen die Natur", erklärte das Staatsoberhaupt ausgerechnet auf einer Konferenz zum Thema Frauenrechte. Das Wesen der Frau und ihre körperlichen Voraussetzungen seien eben anders als bei Männern, so der Präsident.

Zuerst versuchten sie durch Lobbyarbeit Parlamentarier für ihr Anliegen zu gewinnen, was ihnen jedoch nur bei Oppositionellen glückte. AKP-Abgeordnete hingegen ließen erst mit sich reden, nachdem die Frauen die Medien mobilisiert und auch die Dialogverweigerung der Herrschenden zum Thema gemacht hatten.

Rückzieher der islamischen Konservativen

Doch mitten in der Parlamentsdebatte um den Gesetzesentwurf machten die islamischen Konservativen einen Rückzieher und bestanden darauf, Ehebruch in das Strafgesetzbuch als Delikt aufzunehmen. Die Koalition der türkischen Frauenorganisationen antwortete mit landesweiten Protestkundgebungen, die schnell Wirkung zeitigten – offenbar aber nur deshalb, weil die von der AKP beabsichtigte und schließlich doch fallengelassene Kriminalisierung des Ehebruchs zum Streitthema zwischen ihr und der Europäischen Union geworden war – damals führte die Türkei erste Beitrittsverhandlungen.

Der Druck aus Brüssel war dann, so die Verfasserin, mit ausschlaggebend dafür, dass die Frauenkoalition mehr als dreißig Änderungen im Strafrecht – etwa drei Viertel aller Novellierungen – durchsetzen konnte.

Melinda Negrón-Gonzales; Foto: University of New Hampshire
Die Unterstützung Europas, glaubt die Politologin Melinda Negrón-Gonzales, sei eine unerlässliche Voraussetzung für die Erfolge der türkischen Frauenrechtlerinnen gewesen. Eine entscheidende Rolle spielte nicht nur das jeweilige Klima der Beziehungen zwischen Ankara und Brüssel und die davon abhängende Dialogbereitschaft der regierenden AKP. Auch ihre innenpolitische Stärke sei ein wichtiger Faktor gewesen.

Der "EU-Faktor" ließ sich indes bei der zweiten Kampagne, die ab 2002 eine dreißigprozentige Quote für Frauen in der türkischen Politik forderte nicht mobilisieren. Obwohl die europäischen Institutionen von den Aktivistinnen der feministischen türkischen Organisation "Frauen in der Politik" (KA-DER) um Unterstützung gebeten wurden, kam von dort keine Hilfe. Die Initiative letztlich scheiterte.

Mangelnde Unterstützung aus Europa

Melinda Negrón-Gonzales vermutet, dass die Zurückhaltung der Europäer an ihrer Uneinigkeit beim Thema Frauenquote lag. Anders wiederum reagierte die EU auf die von der Politikwissenschaftlerin untersuchte dritte große Protestaktion, die sich 2012 unter anderem mit einer internationalen Unterschriftenaktion gegen das Vorhaben der AKP richtete, das Abtreibungsrecht zu verschärfen. Unmissverständlich ergriff die EU-Delegation in der Türkei für die Feministinnen Partei und kritisierte auch Erdoğans Äußerung, in der er Abtreibungen mit der Tötung von Zivilisten durch das Militär verglich. Auch der Europarat wandte sich gegen das Gesetzesvorhaben der AKP, das von ihr schließlich zurückgezogen wurde.

Die Unterstützung aus dem europäischen Ausland sei, so glaubt Melinda Negrón-Gonzales, eine unerlässliche Voraussetzung für die Erfolge der türkischen Frauenrechtlerinnen gewesen. Eine entscheidende Rolle spielte hier ihrer Ansicht nach nicht nur das jeweilige Klima der Beziehungen zwischen Ankara und Brüssel und die davon abhängende Dialogbereitschaft der regierenden AKP. Auch ihre innenpolitische Stärke sei ein wichtiger Faktor, und diese ist in den letzten Jahren kontinuierlich stetig gewachsen.

So sehen sich heute die Frauenaktivistinnen mit immer mächtigeren feindlichen Medien konfrontiert, die der Regierung nahestehen. Zudem unterläuft die AKP die Bemühungen der Feministinnen mit der massiven Förderung eines konservativen Gegenentwurfs, der an Stelle von frauenrechtlichen Fragen die Familie – und die Frau als Mutter – in den Mittelpunkt stellt. Der 2012 begonnene Aufbau der Gegenbewegung "Die türkische Familienplattform" (TÜRAP) ist ein wichtiger Teil dieser wirksamen staatlichen Strategie.

Joseph Croitoru

© Qantara.de 2016