Hoffnungslos überfordert
Inam lebt mit ihrem Mann und ihren fünf Kindern in einem Steinhaus am Rande der Stadt Irbid nahe der syrischen Grenze. Ihre größte Sorge ist, dass die Kinder gesund durch den Winter kommen. In ihrem eiskalten Wohnraum mit Kochstelle steht zwar ein Heizofen, aber sie hat keine Gaspatronen dafür.
Die 30-Jährige ist vor neun Monaten aus der syrischen Kleinstadt Daraa über die Grenze am Fluss Yarmouk nach Jordanien geflohen und möchte aus Sicherheitsgründen ihren Nachnamen nicht nennen. Jetzt hält sich die Familie mit Lebensmittelgutscheinen des UNHCR und Gelegenheitsarbeiten von Ehemann Bilal mühsam über Wasser.
Bis zur Grenze sind es von hier aus nur etwa 15 Kilometer. Täglich kommen erschöpfte, oft auch verwundete Syrer an und werden von Soldaten der jordanischen Armee in Empfang genommen, die sie bei Bedarf ins einzige Krankenhaus von Irbid bringen.
Im Schatten der Flüchtlingskrise
Ethnisch, kulturell und sprachlich sind sich die Menschen auf beiden Seiten der Grenze sehr nahe. Es gibt viele Familienbeziehungen über die Grenze hinweg. Auch Iman hat Verwandte auf der jordanischen Seite. Vor allem zu Beginn der Krise war die Hilfsbereitschaft groß. Aber die Dimensionen des Flüchtlingsdramas beginnen, die Beteiligten zu überfordern.
Irbid ist mit etwa 650.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt Jordaniens. Auf den ersten Blick wirkt das Leben in der Universitätsstadt erstaunlich normal, trotz der geografischen Nähe zu Syrien. Aber die Flüchtlingskrise prägt den Alltag in der Stadt. Etwa 130.000 Syrer sind in Irbid beim UNHCR registriert, in ganz Jordanien sind es schätzungsweise über 600.000 Flüchtlinge, die über das ganze Land verstreut leben – viele davon im Norden, im Osten von Amman und zunehmend auch im Süden.
4.500 Syrer habe man 2013 im Krankenhaus von Irbid behandelt, klagt Badr Al-Qadi, der zuständige Distrikt-Gouverneur. Aber die Mittel für Personal und Ausstattung des Hospitals seien nicht aufgestockt worden. Die Al-Mothanna-Schule in Irbid hatte einmal tausend Schüler, heute sind es etwa doppelt so viele. Sie lernen in zwei Schichten. Zusätzlich zum regulären Vormittagsunterricht wurde eine zweite Schicht am Nachmittag eingeführt.
Das ist kein Einzelfall, insgesamt 25 solcher "Doppelschicht"-Schulen gibt es in Irbid. "Wir stehen noch aus einem anderen Grund unter Druck", erläutert Nawaz Titi, der Direktor. Viele jordanische Eltern mussten in letzter Zeit ihre Kinder von Privatschulen nehmen, weil sie sich diese nicht mehr leisten können. Jetzt besuchen auch ihre Kinder die günstigeren öffentlichen Schulen. Für die zusätzlichen Schüler hat die Schule neue Lehrkräfte und Materialien erhalten, die UNICEF im Jahr 2013 bezahlt hat. Für das Jahr 2014 wird die Europäische Union einspringen. Mit den vielen Problemen, wie zum Beispiel dem aggressiven Verhalten traumatisierter Jugendlicher aus Syrien, muss die Schule selbst fertig werden.
Gestiegene Preise
Die Lebenshaltungskosten in Jordanien sind hoch. Preise für Benzin, Koch- und Heizgas sowie Lebensmittel sind gestiegen, nachdem die Regierung auf Druck des Internationalen Währungsfonds Subventionen abgebaut hat. In einer Umfrage unter den Bewohnern von Mafraq, etwa 60 Kilometer nördlich der Hauptstadt Amman, durchgeführt vom "Center for Strategic Studies" an der Universität von Jordanien, sagten 80 Prozent der Befragten, die syrischen Flüchtlinge sollten besser in Flüchtlingslager gesteckt werden, wo sie nicht mit den Einheimischen um Wohnungen und Jobs konkurrieren könnten.
In Mafraq sollen Syrer inzwischen die Mehrheit der Einwohner stellen. Strom- und Wasserausfälle häufen sich, Müllabfuhr und Straßenreinigung kommen mit der gestiegenen Anzahl der Einwohner nicht zurecht. Die Wohnungsmieten haben sich teilweise verdreifacht. Mieten stellen für die meisten Familien die größte finanzielle Belastung dar. Manche Hausbesitzer sollen ihre jordanischen Mieter vor die Tür setzen, um dann von syrischen Flüchtlingen höhere Mieten zu kassieren.
Offiziell dürfen Syrer nicht arbeiten, de facto drücken die Behörden die Augen zu. In Branchen wie der Gastronomie, dem Baugewerbe oder der Landwirtschaft sind die Flüchtlinge zahlreich vertreten, wo sie oft zu wesentlich schlechteren Konditionen als die Einheimischen arbeiten. Es gibt Berichte über Hungerlöhne weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn von 115 jordanischen Dinar (etwa 110 Euro) pro Monat. Die billigen Arbeitskräfte aus Syrien drücken die Preise auf dem Arbeitsmarkt, was zu massiver Unzufriedenheit unter den Jordaniern führt.
Wachsende Spannungen und Ressentiments
In Mafraq kam es in jüngster Vergangenheit bereits zu einigen Rangeleien, eingeschlagenen Fensterscheiben bei einer Hilfsorganisation, die sich für Syrer einsetzt, sowie brennenden Autoreifen. Jordanische Medienberichte darüber sucht man allerdings vergeblich. Viele Jordanier hätten inzwischen die Nase voll von den Syrern, heißt es immer wieder hinter vorgehaltener Hand.
Hilfsorganisationen sehen das Problem und versuchen, bedürftige Jordanier stärker in ihre Projekte einzubinden. "Ja, es gibt Spannungen vor allem im Norden", gesteht Michele Servadei, stellvertretender Leiter von UNICEF in Jordanien. "Es ist sehr positiv, dass sie bisher nicht eskaliert sind. Damit das so bleibt, müssen wir auf jeden Fall mehr für bedürftige Jordanier tun."
Niemand ist bisher darauf eingestellt, dass die Syrer auf Dauer bleiben werden. Denn Flüchtlinge wie Iman und ihre Familie in Irbid würden lieber heute als morgen nach Syrien zurückkehren. Doch dieser Wunsch wird wohl so bald nicht in Erfüllung gehen.
Claudia Mende
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de