Zwischen Repression und Solidarität
Jeden Morgen postet Mona Eltahawy die gleiche Nachricht an ihre Follower auf Twitter: "Ich beginne meinen Tag mit Liebe und Solidarität für Euch alle." Die ägyptisch-amerikanische Social-Media-Aktivistin ist eine der führenden Protagonistinnen des arabischen Feminismus. Seit Jahren unterstützt sie Frauen in der Region in ihrem Kampf gegen emotionale oder sexuelle Belästigung, gegen Diskriminierung, Bloßstellung und Verfolgung.
So zögerte Eltahawy kürzlich auch nicht lange, sich auf die Seite von Aya Youssef zu stellen. Die 30-jährige Lehrerin war öffentlich stark angefeindet worden, nachdem ein Internetvideo für Aufsehen gesorgt hatte. Es zeigt Youssef beim Bauchtanz auf einer Nilkreuzfahrt.
Bauchtanz als Skandal
In Folge dieser Bloßstellung verlor Aya Youssef ihre Anstellung als Arabisch-Lehrerin, ihr Ehemann reichte die Scheidung ein. Zugleich aber entschlossen sich viele Frauen, sie zu unterstützen, etwa durch Solidaritätsbekundungen auf Social Media.
"Ich hörte erstmals von Aya, als sie aufgrund des Aufruhrs in den sozialen Medien bereits isoliert, arbeitslos und geschieden war", sagt Nihad Abu al-Qumsan, Leiterin des Egyptian Centre for Women’s Rights (ECWR) (Ägyptisches Zentrum für Frauenrechte) in Kairo. "Als Anwältin konnte ich ihr auf rechtlicher Ebene helfen und habe ihr einen Job angeboten. Auch persönlich wollte ich sie unterstützen und ihr so signalisieren, dass sie nicht allein ist", so al-Qumsan. "Sie hat nichts Falsches getan. Sie hat ihre Freude ausgedrückt - das ist kein Fehler!"
Nach anhaltender Unterstützung im Internet und durch Al-Qumsan wurde Aya Youssefs Fall schließlich von den Behörden erneut geprüft. Diese bewerteten den Fall neu - und boten ihr eine Stelle an einer anderen Schule an.
Eine Anwältin vor Gericht
Ein weiteres, freilich anders gelagertes Beispiel für die Unterstützung von Frauen - bisher auch ohne "Happy End" - lieferte Anfang Januar die erneute Verurteilung der Frauenrechtlerin Amal Fathy durch ein ägyptisches Berufungsgericht. Fathy hatte 2018 die ägyptischen Behörden dafür kritisiert, Frauen nicht vor sexueller Belästigung zu schützen.
Daraufhin wurde sie festgenommen und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt - wegen angeblicher "Verbreitung von Falschnachrichten mit der Absicht, dem ägyptischen Staat zu schaden" sowie "öffentlicher Beleidigung". Mehrere Nichtregierungsorganisationen, Menschenrechtsgruppen und Frauenrechtlerinnen wie Mona Eltahawy verurteilten die Entscheidung scharf.
Zwar geht die ägyptische Regierung schon seit Jahren gegen Dissidenten und Menschenrechtsorganisationen vor. Doch in den vergangenen Monaten hat sie ihren Umgang mit ihnen noch einmal verschärft. Auch im neuen Jahr - von dem ägyptischen Präsident Abdel-Fattah al-Sisi als "2022 Jahr der Zivilgesellschaft" bezeichnet - scheint die Regierung politisch motivierte Solidaritätsbewegungen so weit wie möglich einzuschränken zu wollen.
Hart zeigte sie sich in den vergangenen zwei Jahren gerade auch gegenüber Frauen. So wurden Feministinnen und Frauenrechtlerinnen festgenommen und zu harten Strafen verurteilt - oft unter dem Vorwand, die Moral verletzt oder sich in der Öffentlichkeit unangemessen verhalten zu haben. Häufig beschuldigt die Regierung Dissidentinnen und Dissidenten auch, Geld aus dem Ausland zu erhalten. Ein Umstand, der sie vor dem Gesetz zu "ausländischen Agenten" macht. Als solche sind sie juristisch leicht angreifbar.
"Ich weiß, dass ich nicht allein bin"
"Seit 2015 wurde ich mehrfach festgenommen. Meine persönlichen Konten und die meiner Anwaltskanzlei wurden eingefroren", sagt die Anwältin Azza Soliman. Soliman wurde beschuldigt, internationale Gelder erhalten zu haben. Dieser Umstand kann als staatsfeindlicher Akt ausgelegt werden.
Im Jahr 2016 wurde ihr Fall vor ein Strafgericht gebracht, Mitte Februar erwartet sie das Urteil. "Einer der Gründe, warum ich immer noch lächle, ist, dass ich Tausende von Briefen zur Unterstützung erhalten habe", sagt Soliman. "Ich weiß, dass ich nicht allein bin und viele Menschen hinter mir habe."
Im Jahr 2017 wurde sie dank des Drucks ihrer Unterstützer innerhalb weniger Stunden nach ihrer Verhaftung freigelassen. Vor der Anhörung hatten diese sich vor dem Gerichtsgebäude versammelt, um ihre Solidarität zu bekunden.
"Es ist zwar kaum zu glauben, aber mein Vermögen ist immer noch eingefroren. Wenn ich eine größere Ausgabe tätigen will, muss ich meinen Sohn um Geld bitten", sagt Soliman. Der Vorwurf, sie sei aus dem Ausland unterstützt worden, ermöglichte es den Strafbehörden, Solimans Vermögen einzufrieren.
Soliman hat aber nicht nur finanzielle Sorgen. Sie fürchtet auch um ihre Reputation. Ihre Klienten könnten ein negatives Bild von ihr bekommen, wenn sie in den Medien als Feindin der Regierung dargestellt werde, fürchtet sie.
Fortschritte der ägyptischen Frauenbewegung
"Die ägyptische Frauenbewegung macht derzeit große Fortschritte", sagt Habiba Abdelaal, Mitarbeiterin des Tahrir Institute for Middle East Policy und Expertin für sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt in Ägypten. "Diese spielen sich vor allem an der Basis ab - durch junge Frauen, die neue Formen des Aktivismus erfinden, um auf sexuelle Gewalt aufmerksam zu machen, von der sie sowohl zu Hause als auch auf der Straße betroffen sind", so Abdelaal.
Bekannt wurde etwa die Organisation "#SpeakUp", die in weniger als eineinhalb Jahren 337.000 Anhänger auf Facebook und 37.000 Anhänger auf Twitter gewonnen hat. Die Gruppe definiert sich selbst als "feministische Initiative zur Unterstützung von Gewaltopfern" und ist darauf spezialisiert, Einzelfälle an die Öffentlichkeit zu bringen.
Ebenfalls bekannt ist die Instagram-Seite "Assault Police" mit 346.000 Followern. Die Gruppe engagiert sich etwa gegen das geplante neue Personenstandsgesetz. Dieses verpflichtet Frauen immer noch, die Zustimmung eines männlichen Vormunds einzuholen, wenn sie heiraten, die Geburt eines Kindes anmelden oder ins Ausland reisen wollen. Allerdings wird der Gesetzentwurf noch überprüft und wurde dem Parlament noch nicht formell zur Abstimmung vorgelegt.
Noch allerdings stellen die Aktivistinnen an der Basis und die renommierten Frauenrechtsorganisationen keine ernsthafte Herausforderung für die Regierung dar. Zum einen sind die einzelnen Akteurinnen kaum organisiert. Zum anderen unterstützt ein erheblicher Bevölkerungsteil die konservative Grundhaltung von Behörden und Regierung. So etwa betrachten viele Menschen in Ägypten sexuelle Aufklärung immer noch als Tabu.
Zudem wird die Arbeit von Frauenrechtlerinnen und Menschenrechtsverteidigern insgesamt durch ein umstrittenes "NGO-Gesetz" eingeschränkt. Dieses verpflichtet Organisationen dazu, sich in einer staatlichen Datenbank zu registrieren. Der Eintrag beinhaltet dann faktisch die Verpflichtung, die Regierung nicht zu kritisieren und sich auch nicht in einem behördlich unerwünschten Sinne politisch zu engagieren.
Das renommierte Arabic Network for Human Rights Information (Arabisches Netzwerk für Menschenrechts-Informationen, ANHRI) hat kürzlich aufgrund dieser strikten Vorgaben bereits offiziell seine Aktivitäten eingestellt. Dieselben Vorgaben engen auch den politisch-organisatorischen Spielraum ägyptischer Frauenrechtlerinnen massiv ein.
© Deutsche Welle 2022
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.