Ägyptens ungeliebte Feministin
Am 19. November 2016 befand sich Azza Soliman, eine feministische Rechtsanwältin, Verteidigerin der Menschenrechte für Frauen und Kuratoriumsvorsitzende des "Rechtshilfezentrums für ägyptische Frauen" (CEWLA), auf dem Weg nach Jordanien. Dort wollte sie an einem Training für Frauenrechte im Islam teilnehmen. Am gleichen Tag wurde sie jedoch darüber informiert, dass gegen sie per Gerichtsbeschluss vom 17. November 2016 ein Reiseverbot verhängt worden war. Am darauffolgenden Tag musste Soliman dann auch noch feststellen, dass ihr Privatvermögen und die Gelder ihres Rechtsanwaltsbüros eingefroren wurden.
Doch damit nicht genug: Am 7. Dezember wurde Soliman schließlich festgenommen. Der Vorwurf lautete, ihre NGO habe ausländische Spendengelder angenommen. Einen Tag darauf kam sie gegen eine Zahlung von 1.000 US-Dollar auf Kaution frei.
Vermutlich gehen diese Maßnahmen direkt auf einen Fall aus dem Jahr 2011 am Kairoer Berufungsgericht zurück, der den staatlichen Umgang in Hinblick auf Finanzierungen ausländischer NGOs zum Inhalt hatte, obwohl weder gegen Soliman noch andere CEWLA-Mitglieder offiziell Anklage erhoben oder Untersuchungen eingeleitet wurden. Doch inzwischen haben die juristischen Schikanen gegen Azza Soliman überhand genommen und viele wütende Reaktionen ausgelöst: "Was hat Azza getan?" Dies ist in der Tat eine Frage, die ich hier gerne beantworten will.
Engagiert und couragiert für die Rechte der Frau
Fast zwei Jahrzehnte lang haben Azza Soliman und das CEWLA unermüdlich für die juristischen Rechte der Frauen in Ägypten gekämpft. Weiterhin richtete sich Soliman mit ihrer Arbeit gegen häusliche Gewalt gegen Frauen. Und sie hat sich mit extrem heiklen Themen wie der Vergewaltigung in der Ehe, Gesetzesreformen zum persönlichen Status, dem Recht der Frauen auf Scheidung usw. befasst.
Obwohl es in Ägypten viele feministische Organisationen und Frauenrechtsverbände gibt, stellt das CEWLA wohl das größte und einflussreichste dar. Trotz aller damit verbundenen Herausforderungen haben sich die Mitglieder für die schwierige Aufgabe entschieden, in dem von Armut betroffenen Kairoer Stadtteil Bulak al-Dakrur, basisdemokratisch zu arbeiten und die Frauen des Viertels für ihren Kampf zu mobilisieren.
Dabei hat das CEWLA einen solch deutlichen Zuspruch gefunden, den nur wenige andere feministische Organisationen in Ägypten erfahren haben. Die Frauenrechtsorganisation hat über Jahre hinweg tausenden Frauen geholfen, ihnen juristische Unterstützung angeboten und sie vor dem Missbrauch ihrer Ehemänner, Familien oder Verwandten geschützt. Mit der Razzia gegen das CEWLA-Frauenrechtszentrum wird nun all jenen ägyptischen Frauen diese Sicherheit genommen.
Dies ist allerdings nicht der einzige Grund, warum ich Azza Soliman innerhalb der feministischen Bewegung Ägyptens überaus schätze. Über die Jahre hinweg habe ich Azzas Fähigkeit zur Entwicklung eines feministischen Diskurses und ihre Offenheit neue Ideen innerhalb der Bewegung stets bewundert.
Als eine Gruppe junger und hoffnungsvoller Feministinnen die Organisation "Nazra" für feministische Studien ins Leben rief, war Azza Soliman bereit, uns dabei zu unterstützen. Durch Feministinnen wie Azza Soliman an unserer Seite konnten wir letztlich unsere Ziele umsetzen und die nötige Kraft aufbringen, mit unserer Arbeit weiter zu machen. Auch in Zeiten zunehmender staatlicher Restriktionen gegen unsere NGO ließ sie uns niemals im Stich. Ihre Courage ist für uns ein herausragendes Beispiel gelebter feministischer Solidarität.
Gegen staatliche und patriarchale Machtstrukturen
Dies ist nur ein Teil dessen, was Azza Soliman für die Frauen im Allgemeinen und für uns Feministinnen der jüngeren Generation im Besonderen getan hat. Doch dieser feministische Aktivismus allein war für den Staat offenbar schon Grund genug, ein Auge auf sie zu werfen. Wer nun entsetzt fragt, "was Azza denn getan haben mag", um als derartige Bedrohung wahrgenommen zu werden, betrachtet den Feminismus wohl eher als softe, unpolitische Form des Aktivismus. Eine solche Sichtweise ignoriert jedoch alles, was uns die Geschichte gelehrt hat, wie der Feminismus die bestehenden Machtstrukturen herausfordert.
Fragen zu Ehe und Scheidung, rechtlicher Gleichbehandlung im Erbschaftsfall, häuslicher Gewalt und Vergewaltigung in der Ehe sind keine leichten Themen, und dementsprechend ist das Feld des Feminismus für Aktivistinnen auch keine ungefährliche Option. Die bestehenden "Machtstrukturen", ob in diffuser gesellschaftlicher Ausprägung oder in staatlicher Form, werden durch diese Fragen aus der Fassung gebracht, da auch das Patriarchat herausgefordert wird. Der Feminismus ist nach unserem Verständnis schon immer auch eine politische Bewegung gewesen, da der Autoritarismus keine neutrale Struktur aufweist, sondern eine geschlechtsspezifische, und weil der autoritäre Staat in der Regel auch immer patriarchalischer Natur ist.
Die juristischen Schikanen gegen Azza Soliman - und auch ihre zeitweilige Inhaftierung - finden in einem Umfeld statt, in dem die feministische Bewegung in ihrer Gesamtheit unter starkem Beschuss steht. Beispiele dafür sind die Aktionen gegen das "Al-Nadeem-Zentrum für die Behandlung und Rehabilitierung von Gewalt- und Folteropfern", das seit vielen Jahren im Rahmen seiner Frauenprogramme weiblichen Überlebenden von Gewaltakten medizinische und psychologische Hilfe zukommen lässt, ebenso wie die offizielle Vorladung und die Razzien gegen "Nazra".
Die Furcht des Staates vor den Feministinnen
Angesichts der Versuche, den feministischen Aktivismus einzuschränken, scheint es geradezu so, als wenn der Staat diesen zunehmend ernst nimmt oder gar als existenzielle Bedrohung begreift. Dies geht so weit, dass er Feministinnen Reiseverbot erteilt, ihr Vermögen einfriert oder sie vorübergehend inhaftiert.
Anscheinend werden Feministinnen immer in dem Paradox gefangen sein, einerseits als "Bedrohung" zu wirken und andererseits, da wir Frauen sind, nicht ernst genommen zu werden und zu wenig Aufmerksamkeit zu erfahren.
Außerdem ist offensichtlich, dass wir immer der gesellschaftlichen Feindseligkeit gegenüber dem feministischen Diskurs und staatlichen Aktionen ausgesetzt sein werden, was nur verdeutlicht, dass Feministinnen, anstatt eine echte gesellschaftliche Debatte über die von ihnen angeregten Themen auszulösen, sozial stigmatisiert werden. In der Tat werden durch die staatlichen Repressionen nur noch mehr die gesellschaftlichen Vorurteile gegen uns geschürt - nämlich, dass wir von Grund auf "schlechte Frauen" sind.
Auch wenn wir als feministische Organisationen schwierige Zeiten überstehen und als Verteidigerinnen der Menschenrechte für Frauen große Risiken eingehen müssen: Wenn es eine Frau gibt, die uns gelehrt hat, wie man kämpft und Widerstand leistet, so ist es Azza Soliman. Für Azza – und gemeinsam mit ihr – werden wir uns, solange wir es können, weiterhin für die Menschenrechte der Frauen in Ägypten und weltweit einsetzen.
Mozn Hassan
© Open Democracy 2016
Übersetzt aus dem Englischen von Harald Eckhoff
Die 1979 geborene ägyptische Feministin Mozn Hassan gründete 2007 die Organisation "Nazra für feministische Studien", deren Vorsitzende sie bis heute ist. Inzwischen 20 Mitarbeiter stark, hat "Nazra" es sich zur Aufgabe gemacht, die Rechte von Frauen in Ägypten und dem ganzen arabischen Raum zu stärken. Hassan dokumentiert sexuelle Übergriffe und hilft den Opfern medizinisch, psychologisch und juristisch. Im Zusammenschluss mit anderen Frauenorganisationen hat sich "Nazra" laut der Stiftung 2014 erfolgreich für die Aufnahme der Frauenrechte in die ägyptische Verfassung eingesetzt und die Ausweitung der Definition sexueller Straftatbestände im Strafgesetzbuch erreicht. Außerdem unterstützt Mozn Hassan Frauen bei ihrer Kandidatur für politische Ämter.