Frischer Wind für Ägyptens Opposition?
Die Freilassung der Symbolfigur der liberalen Opposition in Ägypten, Ayman Nour, ist nach Ansicht des tunesischen Journalisten Slim Boukhdirs dem Zusammenspiel gleich mehrerer Faktoren geschuldet: den Appellen der USA nach mehr Demokratie am Nil, dem Führungswechsel im Weißen Haus und dem Druck der ägyptischen Zivilgesellschaft.
Anlässlich der Freilassung Ayman Nours gab der ägyptische Generalstaatsanwalt bekannt, diese sei aufgrund "gesundheitlicher Gründe" erfolgt, eine Version, auf die sich auch andere offizielle ägyptische Quellen stützen.
Nour selbst würdigte seine Freilassung als positives Signal, betonte jedoch gleichzeitig, dass sie nicht infolge einer Abmachung mit dem ägyptischen Regime zu Stande gekommen sei. Er habe bis zum letzten Augenblick nichts von seiner bevorstehenden Freilassung gewusst und erst im Polizeiwagen auf dem Weg vom Gefängnis zu seiner Wohnung im Kairoer Stadtteil Zamalek davon erfahren.
Jedem aufmerksamem Beobachter allerdings wird es wohl schwerfallen, diese Reduzierung auf ausschließlich "gesundheitliche Gründe" als Ursache für die Freilassung des prominentesten politischen Herausforderers des Mubarak-Regimes zu sehen.
Fadenscheinige Begründungen?
Gewiss stellte sich Nours Gesundheitszustand in der Haft zum Teil als kritisch dar und hatte sich infolge der Verletzung seiner Grundrechte in Form von willkürlich schlechter Behandlung, der er nach eigenen Angaben ausgesetzt war, noch weiter verschlechtert.
Doch selbst wenn diese offizielle Version stimmen sollte, müsste man sich dann nicht erst recht fragen, warum seine Entlassung nicht schon vor ein oder zwei Jahren erfolgte? Schließlich schadete die anhaltende Inhaftierung Nours seinem Gesundheitszustand ja nur weiter, wie er immer wieder selbst betonte.
Anderen Beobachtern wiederum fällt es schwer, die Freilassung lediglich als Erfüllung langjähriger amerikanischer Forderungen zu sehen, ist Nour doch das bekannteste Gesicht der säkularen Opposition Ägyptens und spielt als deren Vorkämpfer im politischen Kräftespiel des Landes weiterhin eine wichtige Rolle.
Die Appelle der USA an die ägyptische Regierung, den Vorsitzenden und Gründer der liberalen "Ghad"-Partei frei zu lassen, sind in den letzten Jahren nicht abgerissen und schon die US-amerikanische Regierung unter Präsident Bush hatte Nours Festnahme seinerzeit als bewusste Abkehr der ägyptischen Regierung von ihren Verpflichtungen zu Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit gewertet.
Rätselraten um Motive des Regimes
Doch obwohl die andauernde Haft Nours während der Bush-Ära für eine deutliche Abkühlung der Beziehungen zwischen den USA und Ägypten führte, beharrte das ägyptische Regime auf der fortwährenden Inhaftierung Nours – abgeschottet nicht nur von seiner Familie, sondern auch von seinen politischen Weggefährten und ohne die Möglichkeit, aktiv ins politische Geschehen des Landes einzugreifen.
Manche fragen sich allerdings auch, wie es zu diesem Zugeständnis an die Amerikaner kommen konnte – sofern es denn eines war –, erst nach Jahren, und nur rund fünf Monate vor Ende der regulären Haftzeit, wie Nour selbst anmerkte.
Der Sprecher des US-Außenministeriums, Gordon Duguid, unterstrich, seine Regierung sei "vorab nicht über diesen Schritt informiert gewesen", begrüße diesen jedoch.
J. Scott Carpenter, zu Bushs Zeiten noch Unterstaatssekretär im US-Außenministerium und heute Leiter des Projekts "Fikra" in Washington, misst der vorgeschobenen Behauptung der "gesundheitlichen Gründe" keinerlei Glaubwürdigkeit bei. Die gesundheitlichen Probleme Nours seien ja von Haftbeginn an bekannt gewesen.
Carpenter glaubt viel mehr, dass es noch wesentlich wichtigere Gründe für diese Entscheidung der ägyptischen Regierung gegeben haben muss – nämlich die nun wesentlich vehementer vorgetragenen amerikanischen Forderungen.
Carpenter bezieht sich dabei auf einen am 16. Februar in der "Washington Post" erschienenen Artikel, also genau zwei Tage vor der Freilassung, der kurz vor dem beabsichtigten Staatsbesuch Mubaraks in Washington im April als deutliche Kritik an der ägyptischen Regierung verstanden werden kann.
Der Autor des Artikels forderte Obama dazu auf, Ägypten nun unmissverständlich klarzumachen, dass Washington die Unterdrückung ägyptischer Oppositioneller nicht weiter dulden werde.
Ägypten müsse Ayman Nour freilassen und die gegen den Bürgerrechtsaktivisten Saad Eddin Ibrahim aufgrund seines Engagements erhobenen Anklagen fallen lassen. Carpenter ist offensichtlich davon überzeugt, dass die Zeitung sich hierbei auf zuverlässige Informationen aus erster Hand stützen konnte.
Nour als Schlüssel zum Weißen Haus
Klar ist also: Mehrere Faktoren waren ausschlaggebend für Nours Freilassung, sie war letztlich unumgänglich. Einerseits hatte der prominente Oppositionelle ohnehin nur noch wenige Monate seiner Haftstrafe zu verbüßen, so dass die ägyptische Regierung durch sein weiteres Einsitzen für einige wenige Monate nichts gewonnen hätte, und andererseits litt Nour tatsächlich unter zunehmenden gesundheitlichen Problemen.
Es war die Forderung nach mehr Demokratie – und als deren Schlüsselfrage – der Fall Ayman Nour –, weshalb es fast zum offenen Bruch zwischen Washington und Kairo gekommen wäre. Und so scheint es, als habe es sich der ägyptische Präsident eines Besseren überlegt und sämtliche mögliche Hindernisse zwischen ihm und dem Weißen Haus ausräumen wollen, um in der Ära des neuen Amtsinhabers Obama die ägyptisch-amerikanischen Beziehungen auf eine neue Grundlage zu stellen.
Die ägyptische Regierung ließ Nour also ziehen, gab ihm sozusagen grünes Licht, um dafür im Gegenzug vielfach grünes Licht von den USA zu erhalten. Darüber hinaus versuchte man mit der Freilassung aber auch, ein Ventil für die Wut zu schaffen, die sich infolge der Festnahme nicht nur in der ägyptischen Zivilgesellschaft, sondern auch unter zahlreichen internationalen Menschenrechtsorganisationen angestaut hatte.
Die Frage nach der Stichhaltigkeit der gegen den Vorsitzenden der "Ghad"-Partei erhobenen Anklage, aufgrund derer er letztlich auch verurteilt wurde, also die Frage nach dem Zusammenhang zwischen seiner Verurteilung und der für ein Dritte Welt-Land geradezu selbstmörderisch und waghalsig anmutenden Kühnheit, ganz ernsthaft bei Wahlen gegen den amtierenden Präsidenten anzutreten, wäre sicherlich einer gesonderten Analyse wert.
Doch ganz abgesehen davon herrscht allgemein Einigkeit darüber, dass das politische Spektakel in Ägypten nach der zwangsweisen "Absetzung" Nours viel von seinem Glanz eingebüßt hat und mit dessen Freilassung einen seiner größten Stars zurückgewinnt. Daher kann man wohl in Zukunft im politischen Spiel der Parteien wieder interessante neue Wendungen erwarten.
Hoffnung auf frischen Wind im politischen Leben
Vor seiner Inhaftierung hatte Nour durch seine Fähigkeit, die Massen hinter sich zu sammeln, Bewegung in die politische Szene des Landes gebracht.
Sein Auftreten als Präsidentschaftskandidat brach die bi-polare Einteilung in zwei große, verfeindete Blöcke, die bis dato die politische Szenerie beherrschten: nämlich auf der einen Seite das Regime und auf der anderen Seite die Islamisten der Muslimbruderschaft. Es schuf so die Möglichkeit einer neuen, unkonventionellen und multi-polaren politischen Bühne.
Zusammen mit der liberalen Protestbewegung "Kifaya" wirbelte Ayman Nour viel Staub auf. Ein dritter Block der säkular-liberalen Kräfte schien sich herauszubilden, der sich einerseits von der herrschenden Elite durch die Forderung nach sofortigen politischen Reformen absetzte, andererseits sich aber auch wegen ihres liberalen Kulturverständnisses in Fragen der Gesetzgebung und der Beziehung von Staat und Religion klar von den gemäßigten politischen Islamisten abgrenzte.
Vor diesem Hintergrund gibt die Ankündigung Nours, kaum dass er das Gefängnis verlassen hatte, seine politische Tätigkeit und sein Engagement für demokratische Reformen wieder aufnehmen zu wollen, Anlass zu der Hoffnung, er werde die politische Szene Ägyptens erneut gewaltig aufmischen.
Dies gilt umsomehr, wenn man bedenkt, dass die Haft seine Stellung als Symbol der Bewegung für Demokratie in Ägypten und der gesamten arabischen Welt nur noch mehr gefestigt hat.
Der politischen Landschaft Ägyptens jedenfalls kann eine derartige Entwicklung nur gut tun und der frische Wind, den Nours Rückkehr erwartungsgemäß mit sich bringt, wird sich sicherlich positiv auf die Forderungen nach Reformen auswirken – und zwar nicht nur in Ägypten, sondern in der ganzen Region.
Slim Boukhdir
© Qantara.de 2009
Übersetzung aus dem Arabischen: Nicola Abbas
Slim Boukhdir ist tunesischer Autor, Journalist und Menschenrechtsaktivist.
Qantara.de
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