Ein historischer Tag in Kairo
In Kairo wird seit dem 3. August Geschichte geschrieben. Zum ersten Mal muss sich ein gestürzter Diktator in einem öffentlichen Prozess vor der Justiz seines Landes – und damit vor seinem Volk – verantworten.
Hosni Mubarak, der 30 Jahre lang die Geschicke des Landes gelenkt hat, steht vor Gericht. Oder besser gesagt: Er liegt vor Gericht. Auf einer Trage wurde der greise Ex-Präsident in den Verhandlungssaal gebracht.
Zusammen mit seinen beiden Söhnen sowie Ex-Innenminister Habib al-Adli und weiteren Mitangeklagten wurde er in einen Käfig gesperrt und musste von dort aus die Eröffnung des Verfahrens und die Verlesung der Anklage verfolgen.
Solche Bilder von Beschuldigten hinter Gittern sind in Ägypten nichts Ungewöhnliches. Man kennt sie aus den Prozessen gegen Terroristen, aber auch aus den Verfahren gegen Regimegegner, gegen die Muslimbrüder und gegen die demokratische Opposition. Jahrelang wurden sie alle von Mubarak und seinen Sicherheitskräften unterdrückt, verfolgt, gefoltert und mundtot gemacht.
Eine Frage der Gerechtigkeit
Jetzt stehen die Vertreter dieses Regimes vor dem Richter und vor dem Volk. Man kann sich darum einer gewissen Genugtuung nicht entziehen, sie vor Gericht zu sehen. Doch in diesem Prozess geht es nicht um Rache. Es geht um Gerechtigkeit, um Gerechtigkeit für die Opfer der Revolution, die von den Schergen Mubaraks getötet oder verletzt wurden.
Es geht um Gerechtigkeit für die Bürger, die jahrzehntelang von der Teilhabe am politischen Prozess ausgeschlossen wurden und die durch ihren habgierigen Staatschef und seine korrupte Umgebung um Wohlstand und Zukunft gebracht wurden.
Die Schmach und die Schande dieses öffentlichen Prozesses treffen Mubarak und seine Söhne sowie einige seiner einstigen Parteigänger. Viele andere, die sich schuldig gemacht und die von dem Regime Mubarak profitiert haben, müssen noch angeklagt werden.
Von der Anklage ausgespart?
Dabei ist jetzt schon klar, dass viele von denen, die ebenfalls Mitschuld tragen, niemals vor Gericht gestellt werden. Die Militärs zum Beispiel, auf die sich Mubarak jahrzehntelang stützen konnte und die von seiner kleptokratischen Herrschaft profitierten.
Sie stehen jetzt an der Spitze des Staates und niemand weiß, ob sie bereit sein werden, die Macht tatsächlich wieder abzugeben und in die Hände einer demokratisch gewählten Regierung zu legen.
Aber auch die Freunde Mubaraks in den westlichen Demokratien werden nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Sie werden ihre Unterstützung für den Diktator mit den Zwängen der Realpolitik und mit strategischen Überlegungen begründen.
Die Bürger dieser Staaten aber sollten nicht vergessen, dass ihre Regierungen Mubarak sogar dann noch die Treue hielten, als die Ägypter schon in Massen gegen ihn auf die Straße gingen. Erst als klar war, dass er sich nicht würde halten können, rückten sie von ihm ab. An diesem historischen Tag in Kairo sollten unsere Staats- und Regierungschefs sich überlegen, ob dies nicht auch für sie ein Tag der Schande ist.
Bettina Marx
© Deutsche Welle 2011
Bettina Marx, langjährige Nahost-Hörfunkkorrespondentin der ARD, arbeitet derzeit als Hauptstadtkorrespondentin der Deutschen Welle und Publizistin. Zuletzt erschien von ihr bei Zweitausendeins das Buch "Gaza: Berichte aus einem Land ohne Hoffnung".
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de