Das Elend des Pegida-Journalismus
Jetzt plötzlich sind alle ganz entsetzt über Pegida, nachdem vergangenem Montag der rechtsradikale Bestsellerautor Akif Pirincci vom Demowagen in Dresden herab die Worte schleuderte: "Es gäbe natürlich auch andere Alternativen. Aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb." Wobei Pirincci in gewohnter rechtsradikaler Borderline-Akkrobatik im Kontext seiner Rede offen ließ, wie er den Satz meinte.
Meinte er, dass die KZs "leider" nicht für die Lösung der Flüchtlingssituation zur Verfügung stehen? Oder meinte er in milieutypischer rechtsradikaler Paranoia, Regierung, herrschende Mächte, "das System", sie wollten die deutsche Bevölkerung austauschen, und machten das auf schleichende Weise, weil ja "die KZs leider außer Betrieb" seien? Was war das also, mieseste Nazi-Hetze, oder ein irres Phantasma der Selbst-Viktimisierung? Egal - Pirincci wusste schon, wie die Sätze auf sein Publikum wirken, und hat sie absichtlich in einen Kontext gestellt, der es ihm erlaubt, sich im Notfall rauszureden.
Jetzt sind alle ganz empört. Über Pirincci. Generell über die gewalttätige Mob-Stimmung bei den Pegida-Demonstrationen. Über die Folgen der rechtsextremen Hetze, wie etwa den Mordversuch an der Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker. Aber die Messerstecher, die Flüchtlingsheim-Abfackler und der Demonstrantenmob, sie kommen natürlich nicht aus dem Nichts.
Von der rechten Mitte bis an die radikalen Ränder
Tatsächlich hat sich längst eine Art Pegida-Publizistik etabliert, der von der rechten Mitte der Gesellschaft in einigen Grauabstufungen bis an die radikalen Ränder reicht. Da schwadroniert der Spiegel-Online-Kolumnist Jan Fleischhauer angstbebend von "muslimischen Männern", einer "Maskulinisierung des öffentlichen Raumes", andere wiederum brauchen nur diese Stichworte, um sich dann gleich ganz toll um "blonde deutsche Frauen" zu sorgen.
Beliebt ist auch, streng zu fordern, die Flüchtlinge aus Syrien müssten sich aber jetzt ganz schnell zu "unseren Werten" bekennen, also zu Toleranz, Friedfertigkeit und Demokratienormen - womit natürlich der implizite Generalverdacht verbunden ist, dass sie das nicht ohnedies täten -, was schon reichlich absurd ist, bedenkt man, dass sie ja nicht grundlos und ohne jede Absicht aus einem von Krieg und Hass verheerten Land zu uns geflohen sind.
Ob das Bekenntnis zu "unseren Werten" täglich zu leisten ist, oder ob einmal im Leben reicht, ob gegebenenfalls vor irgendwelche Kommissionen geschworen werden muss, all das wird nicht dazu gesagt. Ist ja auch nicht nötig, die Saat ist gelegt, im Sinne von: "diese Araber sind irgendwie unheimlich". Man findet diese Postulate in Leitartikeln der FAZ genauso wie in rabiat-islamfeindlichen Blogs wie "Politically Incorrect", über Broder, Sarrazin und Konsorten braucht man hier keine weiteren Worte verlieren. Die Sache ist klar: Eine ganze publizistische Strömung hat in den vergangenen Wochen nichts unversucht gelassen, die "Willkommenskultur" durch eine "Ablehnungskultur" zu ersetzen.
Böse Zungen könnten die Frage anschließen, wie sehr sich die Flüchtlinge an die Kultur des Pegida-Journalismus anpassen sollen? Müssen sie gar jetzt ihre Flüchtlingsheime selbst abfackeln?
Pegida-Journalismus als Verbündeter des islamischen Extremismus
Dabei erweist sich unser Pegida-Journalismus wieder einmal als in Wahrheit engster Verbündeter des islamischen Fundamentalismus, nicht als sein Antipode. Die "Willkommenskultur" an den Bahnhöfen, an den Grenzen, in den Kommunen war ja der schwerste Schlag, den der antiwestliche Fundamentalismus in den vergangenen Jahren erhalten hat, wirksamer als jede Drohne.
Muslimische Flüchtlinge, denen von "christlichen Europäern" selbstlos geholfen wurde, diese Bilder wurden via Al-Jazeera und anderen Sendern in der gesamten islamischen Welt übertragen. "Man erzählt uns, Ihr seid die Ungläubigen, dabei seid Ihr die wahren barmherzigen Muslime", sagte etwa ein syrischer Mann in die Kameras.
Diese Bilder konterkarierten den Kern der islamistischen Propaganda, nämlich die Behauptung, "das Leid von Muslimen interessiert im Westen niemand". Kein Wunder, dass der IS tobte über die "falschen Muslime, die sich den Ungläubigen in die Arme werfen". Am Wiener Westbahnhof wollten sich Salafisten als freiwillige Helfer getarnt an Flüchtlinge ranschmeißen - diese alarmierten die Polizei und den österreichischen Verfassungsschutz.
Umgekehrt freilich ist natürlich niemals auszuschließen, dass sich auch die jetzige Flüchtlingsgeneration, wenn sich die vom Pegida-Journalismus geschürte "Ablehnungskultur" durchsetzt, zurückgestoßen fühlen und damit im Laufe der Zeit das "Wir gegen die", das "Wir gegen den Westen"-Narrativ wieder an Terrain gewinnt. Die Unterstellung des Pegida-Journalismus, dass "die eben nicht zu uns passen", wäre dann zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung geworden. Das ist es eigentlich, was ihn so gefährlich und verabscheuungswürdig macht.
Erfunden und lanciert
In dieses Panorama des Pegida-Journalismus gehört die Tatsache, dass es vollkommene oder halbe Falschmeldungen über "Gewalt" in Flüchtlingsunterkünften faktisch in Minutenschnelle auch in seriöse Zeitungen schaffen. Die meisten dieser gestreuten Meldungen sind gänzlich erfunden.
Aber auch die mit minimalem Wahrheitsgehalt sind von der Art wie jene Nachricht, die es vor einigen Wochen in die Schlagzeilen brachte. Darin war zu lesen, Flüchtlinge hätten sich um Hilfsgüter geschlagen und ein Großaufgebot der Polizei musste einschreiten. Es stellte sich dann bald heraus, dass diese Formulierung nicht einmal falsch ist, nur ein völlig falsches Bild insinuiert.
Tatsächlich war eine Politikerin der Grünen mit Hygieneartikel einfach in eine Flüchtlingsunterkunft gestapft, sie hatte sie etwas ungeschickt verteilt, sodass es zu einem kurzen Gerangel kam - wie man es jeden Samstag beim Einlass in Fußballstadien beobachten kann, ohne dass darüber berichtet würde -, die Polizei wurde alarmiert, aber als sie eintraf, war das Geschubse längst schon wieder vorbei. Ein Nullevent, der es sogar auf die Seite 1 der Zeitungen schaffte und keinen anderen Zweck erfüllte, als Unsicherheit in der Bevölkerung über das anscheinende Gewaltpotential unkontrollierbarer Flüchtlingsmassen zu schüren.
Wer als Journalist so arbeitet, braucht sich über Pirincci und die von ihm aufgeganselten Hetzmassen nicht zu ekeln. Wer verrückte Bedrohungsszenarien aufbaut, braucht dann auch nicht erschrocken tun, wenn - wie in Köln - einer zusticht.
Robert Misik
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