"We want solution, Mr. President!"
Kaum jemand wird bei dem Stichwort Nigeria zuerst an Hip-Hop denken. Die gängigen Klischees bewegen sich eher zwischen Afro-Beat, Öldollar und E-Mail-Betrügereien.
Doch was vor zehn Jahren als eine veritable Underground-Bewegung begann, als Gegenöffentlichkeit in genau diesem altmodischen Sinne, ist heute so etwas wie ein aufstrebender Zweig innerhalb der nigerianischen Musikindustrie.
Der smarte Shooting Star und Mädchenschwarm 2Face lächelt in Lagos an jeder dritten Straßenecke von riesigen Werbetafeln auf die Passanten herab: "Discover real Smoothness". Gemeint ist damit eine reale Biersorte. Im November letzten Jahres wurde 2Face von MTV als bester afrikanischer Musiker ausgezeichnet, und der nigerianische Major Kenny's Music macht sich Hoffnung, die aktuelle CD an Sony zu verkaufen.
Lokale Kultur international anerkannt
"Das wird ganz groß", da ist er sich sicher. Für Jay Rutledge, einen engagierten Journalisten aus Deutschland, der für die fünfte CD seines kleinen Labels "out/here-records" nach Lagos gereist ist, um Rapper unter Vertrag zu nehmen, von denen noch nie jemand etwas gehört hat, hat Kenny nur ein müdes Lächeln übrig.
Froh darüber zu sein, dass jemand aus dem Norden sich für die Musik des Südens interessiert, entspricht nicht seinem Verständnis von Business. Die Wahrnehmung von Größenordnung geht immer wieder durcheinander. Lokale Berühmtheit versus internationale Anerkennung ist und bleibt in Nigeria ein virulentes Thema.
So wurde in der nigerianischen Hip-Hop-Szene auch Staub aufgewirbelt, als sich herausstellte, dass 2Face auf dem vor kurzem erschienenen CD-Sampler "Lagos - Stori Plenti" mit keinem Track vertreten sein würde. Ebenso wenig wie die Danfo Drivers, die in Lagos ebenfalls große Popstars sind und über eine Million Platten verkauft haben. Und auch Lagbaja ist nicht auf dem in Deutschland produzierten Sampler zu hören.
Dafür ist ein anderer Star vertreten, Eedris Adbulkareem. Aufgewachsen im muslimisch geprägten Norden, verkörpert Eedris das Aufstiegsmärchen aus dem Ghetto.
Ende der 90er Jahre hat er den ersten Hit der Hip-Hop-Szene geschrieben, "Shakomo", und bekam seinen ersten Plattenvertrag bei Kenny's Music. Dem nigerianischen Major hat Abdulkareem inzwischen den Rücken gekehrt und Ende letzten Jahres mit entschiedener Geste nicht nur eine Aidsstiftung, sondern auch sein eigenes Label gegründet: La Kreem.
Kampfansage an Nigerias Präsidenten
Eedris hat irgendwann die Rolle des enfant terrible der Hip-Hop-Szene übernommen. Sein Gassenhauer heißt "JagaJaga", das ist Yoruba und bedeutet so viel wie "durcheinander", "fertig"; der Song ist eine Kampfansage an den Präsidenten. Hip-Hop im besten Sinne der "alten Schule" – verstanden als effektive, populäre und entschiedene Form von Meinungsäußerung und Protest.
Eedris wird nicht müde, seine Mission zu predigen: Hip-Hop als eine Art Abendschule: "Mit dem Song will ich den Leuten die Augen öffnen. In Nigeria leben etwa 150 Millionen Menschen und die Bildungsrate liegt bei sechs Prozent. Das heißt, die meisten Menschen haben keinen Zugang zu Bildung. Doch wir können sie durch unsere Musik weiterbilden. Ich ziehe meine Inspiration aus meiner Umgebung und gebe sie zurück, damit die Leute begreifen, was tatsächlich los ist."
Mit seinem letzten Album, "Letter to Mr. Präsident", hat Eedris das Staatsoberhaupt Olusegun Obasanjo unmissverständlich aufgefordert: "We want solution! My people die accross the nation."
Die Rap-Intellektuellen Nigerias
"Lagos – Stori Plenti" repräsentiert trotz aller aufreibender Rechtsfragen und Eitelkeiten einen beeindruckenden Querschnitt der lokalen Musikszene. Mit dabei: Terry the Rapman und Modenine, Jungs aus der Mittelklasse, die mit ihrem abgeschlossenen Hochschulstudium und ihren ambitionierten, ausgefeilten Texten als so etwas wie die Rap-Intellektuellen Nigerias gelten.
Sie performen in beinahe perfektem britischen Englisch und nicht – wie die meisten ihrer Kollegen – in einem schwer verständlichen Pidgin-Englisch. Mit "I am a Nigerian" ironisiert und verschiebt Terry the Rapman "My name is" des US-amerikanischen Superstar-Rappers Eminem auf ganz eindrucksvolle Weise.
Und Modenine greift das nationale Trauma 419 auf, als "419-State of mind". 419 ist nicht nur einfach eine Zahl, sondern der Paragraph eines Anti-Betrugsgesetzes, zugeschnitten auf Vorauskassen-Betrug und damit auf das noch immer lukrative Geschäft in zig Internet-Cafés, vor allem in Lagos, und das als einfallsreiche, aber trügerische E-Mail beginnt.
Modenine zitiert aus den berühmt berüchtigten SPAM-Mails, macht sich lustig über die geldgeilen Opfer und empfiehlt so simpel wie naheliegend: "Next time be weary of the Internet deceit / If you see a strange e-mail, my guy / press delete!"
Malcom X's Plagiator
Ansonsten bedient sich Modenine auch gern bei Texten von Malcolm X (sein letztes Album heißt "MALCOLM IX") oder bei dem englischen romantischen Schriftsteller William Wordsworth. "How to drop science?", lautet seine Lieblingsfrage. Immer wieder geht es darum, Wissen in Umlauf zu bringen, allerdings in einer weniger offensichtlich pädagogischen Art als bei seinem Kollegen Eedris Abdulkareem.
Ein anderes Spiel mit der Zahl 419 treibt wiederum JJC. JJC wird derzeit als der erfolgreichste nigerianische Rapper Londons gehandelt.
Aufgewachsen in Kano, im Norden Nigerias, kam er mit 14 Jahren nach England. JJC steht für "Johnny Just Come" und greift den von Fela Kuti geschaffenen Ausdruck JJD auf, was so viel heißt wie "Johnny Just Drop" und auf die Erfahrung vieler Afrikaner anspielt, die in Ländern wie England zu naiv und unvorbereitet gestrandet sind, um sich anfangs zurechtzufinden.
Bekannt geworden unter dem Namen Skillz hat sich JJC schließlich seine eigene Crew (Smokey, S.O. Simple and M.P.) zusammengesucht: das JJC & 419 Squad. Es geht ihnen dabei nicht darum, 419 zu feiern, im Gegenteil – es geht darum, Vorurteile und Projektionen auf den Kopf zu stellen, in die Offensive zu gehen und am Imagewandel ihrer fernen Heimat zu arbeiten.
Annett Busch
© Qantara.de 2006