Ein Gotteshaus für Juden, Christen und Muslime
Eine Grundsteinlegung ist ein ebenso feierliches wie hochoffizielles Ereignis. Erst recht, wenn es um ein religiöses Gebäude geht. Da gibt es Rituale, Gebete und Reden, auch Politiker sagen das ihre.
Bei der Grundsteinlegung des "House of One", eines gemeinsamen repräsentativen Baus von Juden, Christen und Muslimen in Berlin, macht der musikalische Rahmen das Ungewöhnliche, das Einzigartige dieses Termins deutlich. Da singt eine kleine Gruppe des Staats- und Domchors Berlin zunächst Beethovens "Ode an die Freude" in einer arabischen, dann in einer deutschen Version. Und Minuten später folgt auf Hebräisch "Schalom Alechem", "Friede mit Euch".
Erwartungen der Politik
Seit mehr als zehn Jahren arbeiten Akteure der drei monotheistischen Religionen an dem Projekt. Es soll im Herzen Berlins die drei Gotteshäuser Synagoge, Kirche und Moschee unter einem Dach vereinen und Möglichkeiten der Begegnung und des Austauschs schaffen. Nicht nur für die deutsche Hauptstadt, die auf ihre säkulare Prägung oft Wert legt, ist das etwas Besonderes. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller spricht von einem "einzigartigen Projekt" und einem "einmaligen Haus", mit dem die Berliner Religionsvertreter das "Modell eines friedfertigen Zusammenlebens in der Welt" schaffen würden.
Und auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, der in seiner Zeit als Bundesinnenminister im Herbst 2006 die Deutsche Islamkonferenz etabliert hatte und damit die gesellschaftliche Debatte zum Thema voranbrachte, wird nun grundsätzlich. Er spricht von einem "Ort der Toleranz und Offenheit", einem "außergewöhnlichen" Projekt und einer theologisch anspruchsvollen Idee. Und es ist ihm wichtig, dass die Vertreter der drei Religionen "von Anfang an", von sich aus gemeinsam geplant und offen diskutiert hätten. "Und deswegen braucht es ein House of One", sagt er.
Spenden aus aller Welt
Dieser Anfang liegt rund zwölf Jahre zurück, als der evangelische Pfarrer Gregor Hohberg begann, die Gemeinde der evangelischen Petri-Kirche in Berlin für das Projekt zu gewinnen. Seit gut zehn Jahren gibt es einen Verein und seitdem wuchsen die notwendigen Strukturen. Seit mehr als fünf Jahren steht fest, welche Architektur der bis zu 46 Meter hohe massive Stein-Bau haben soll.
Vor allem wurde die Finanzierung geklärt. Die Bundesregierung unterstützt das Vorhaben mit 20 Millionen Euro, das Land Berlin mit zehn Millionen. Der Rest soll durch Spenden zusammenkommen. Derzeit fehlen noch sieben Millionen Euro. Aber die Initiatoren sind zuversichtlich, dass mit dem Baubeginn auch die Unterstützung von Privatleuten wachsen wird. Nicht nur aus Deutschland – bislang, so heißt es, kamen Zuwendungen aus mehr als 60 Ländern. Mal seien es kleine Beträge, nur zehn Euro, mal größere Summen. Und oft verbinde sich das mit großen Hoffnungen auf ein besseres Miteinander der Religionen.
Ein Bauvorhaben dieser Größenordnung in Berlin erzählt immer auch etwas über der Geschichte der Stadt. Das gemeinsame Haus der Religionen wächst nun an einer Stelle zwischen dem Alexanderplatz und dem Potsdamer Platz, die seit den frühen Anfängen der Stadt besiedelt ist. In den vergangenen 800 Jahren standen hier am Petriplatz vier christliche Kirchen.
Die letzte Petrikirche, die wegen des höchsten Kirchturms Berlins im Stadtbild auffiel, ließen 1964 die DDR-Verantwortlichen abräumen. Rabbiner Andreas Nachama erinnert bei der Grundsteinlegung an die Geschichte dieses christlichen Gotteshauses während der Nazi-Zeit. "Diese Kirche war Ort eines NS-Täter-Pfarrers", sagt er. Auch das gehöre zur Geschichte dazu. Es war gar nicht so selten, dass evangelische Geistliche in der Nazi-Zeit nicht nur Mitläufer, sondern stramme Partei-Akteure waren.
Alte Geschichte
In der kupfernen Schatulle, die pünktlich um 12 Uhr in den Grundstein verschwindet und zugemauert wird, liegen diverse historische Dokumente, auch Berliner Zeitungen vom Tag der Grundsteinlegung und Euro-Münzen, sowie detaillierte archäologische Unterlagen. Denn seit Jahren hatten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diesen Berliner Boden sorgfältig untersucht – und im Umfeld der früheren Kirchen die Gebeine von weit über 3000 Verstorbenen gefunden.
Auch sie sind Teil jener Geschichte, aus der nun eine neue Geschichte entstehen soll. Zur Lage im belebten Zentrum von Berlin, in dem sich übrigens bislang keine einzige muslimische Gebetsstätte befindet, gehört die Atmosphäre der Feierstunde. Zwar hält der dunkle Berliner Himmel dicht und es regnet nicht. Aber mal dröhnt von der wenige Schritte entfernten sechsspurigen Straße der Fahrtlärm von Lastwagen hinüber, mal übertönt das Signalhorn eines Rettungswagens eine Rednerin.
"Ein Schutzraum"
Berlin Mitte eben. In gut vier Jahren sollen 2,3 Millionen Ziegelsteine eigens gebrannt und verbaut werden. Dann wird der architektonisch und religiös ungewöhnlich Bau gut 200 Meter südlich des noch nicht eröffneten Humboldt-Forums stehen. Der größte Raum, die höchste Erhebung im "House of One" wird sich dann über keinem der drei Gotteshäuser, sondern über einer Halle befinden, die allen offenstehen und zur Begegnung einladen soll. "Ein Schutzraum für ein offenes Miteinander", sagt Pfarrer Hohberg.
Eigentlich sollte das Fest der Grundsteinlegung, das 2020 wegen der Corona-Pandemie komplett abgesagt wurde, nun mit vielen Gästen in einem bunten und großen Rahmen gefeiert werden. Aber auch diesmal sind nur wenige vor Ort. So gibt es ausdrücklich Grüße an Partnerprojekte in Tiflis (Georgien), Bangui (Zentralafrikanische Republik), Haifa (Israel) und ins norddeutsche Wilhelmshaven, wo jeweils ähnliche Projekte geplant sind.
In derzeit neun Ländern pflegen sogenannte Projektbotschafter des "House of One" Kontakte. "Die Idee ist größer als das Gebäude", so Roland Stolte, der Kuratoriumsvorsitzende des Projekts.
Aus all dem spricht auch, wie wichtig die Annäherung der Religionen in Zeiten von Hass und Aggression ist. "Es braucht mehr Aufklärung", betont Bundestagspräsident Schäuble und warnt vor Fanatismus und Gewalt. Die antisemitischen Ausschreitungen der vergangenen Tage in Deutschland zeigten, wozu ein politischer Missbrauch von Religion führen könne.
Die drei geistlichen Hauptakteure an diesem Tag, Rabbiner Nachama, Pfarrer Hohberg und Imam Kadir Sanci, begleiten den Tag entsprechend. Das digitale Morgengebet kommt aus einer Berliner Moschee, das Mittagsgebet aus einer Kirche, zum Abend folgt ein Gebet aus einer Synagoge. In ein paar Jahren sollen sie dann Tür an Tür stehen.
Christoph Strack
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