Wissenschaftliches Denken versus Covidioten
Die tödliche Krankheit Covid-19 hat ein neues Wort für eine neue Kategorie von Menschen geprägt: Covidiot. Viele Machthaber – politische wie religiöse – tun alles, um dazuzugehören.
Kailash Vijayvargiya, der Generalsekretär der Regierungspartei Bharatya Janata Party (BJP), versicherte, Covid-19 könne einem Land mit "33 Crore (3,3 Millionen) Göttern und Göttinnen" nichts anhaben.
Muhammad Ashraf Asif Jalali, ein pakistanischer Geistlicher, versicherte bei der Planung der All-Pakistan-Sunni-Konferenz in Lahore am 21. März, dass "niemand krank werden kann, außer es ist Gottes Wille" und dass die pakistanische Regierung ihn "hängen" solle, wenn sich jemand bei der Konferenz infiziert.
Pastor Rodney Howard-Browne ermutigte die Mitglieder seiner Megakirchengemeinde in Tampa, Florida, zum Händeschütteln (vor einigen Wochen) und verkündete, seine Kirche werde offenbleiben, weil der Herr die Christen dort beschütze.
Im eisernen Griff der Fundamentalisten
Viele andere teilen diesen Obskurantismus, der dem globalen Kampf gegen die Pandemie schadet. Fundamentalisten haben die Herzen und Köpfe großer Teile der Weltbevölkerung eisern im Griff. Indern beispielsweise wurde nahegelegt, zum Schutz vor der Krankheit Kuh-Urin zu trinken.
Jawaharlal Nehru, Indiens erster Premierminister, erklärte die Institutionen der Wissenschaft und der Technologie zu "Tempeln des modernen Indiens". Seitdem hat sich ein wissenschaftlicher Geist entwickelt und deutlich mehr Menschen erhalten eine Schulbildung. Immer mehr Menschen verstehen, dass Nehrus Tempel zuverlässigere Retter sind als diejenigen aller religiösen Konfessionen.
Dennoch leben auch unter den gebildeten Eliten rückschrittliche Überzeugungen fort. Als der aktuelle Premierminister, Narendra Modi, die Inder bat, den Ärzten mit klapperndem Geschirr von ihren Fenstern und Balkonen aus zu applaudieren, wurde ein Festival daraus. Menschen zogen in großen Prozessionen aus, läuteten Glocken, schlugen Gongs und andere Utensilien. Diese Versammlungen verschlimmerten die Sorgen der Ärzte.
Am 24. März kündigte Modi eine dreiwöchige Ausgangssperre an. Seine Regierung stellte jedoch nicht sicher, dass die rund 139 Millionen Wanderarbeiter und ihre Familien, etwa zehn Prozent der Bevölkerung, sicher nach Hause zurückkehren konnten.
Viele sind ohne Arbeit, Unterkunft oder Nahrung gestrandet. An Bushaltestellen und Bahnhöfen drängen sich Menschen, die nach Hause wollen. Andere haben einen langen Marsch angetreten, ohne Nahrung oder Wasser. Die Regierungen der Bundesstaaten tun ihr Bestes, und die Zivilgesellschaft versucht zu helfen, aber das Problem bleibt ernst. Manchmal hilft die Polizei, aber in anderen Fällen schikaniert sie die Armen.
Delhi: Migrant workers in very large numbers at Delhi's Anand Vihar bus terminal, to board buses to their respective home towns and villages. They have walked to the bus terminal on foot from different parts of the city. pic.twitter.com/IeToP3hX7H
— ANI (@ANI) March 28, 2020
Soziale Distanz kaum möglich
Kritisch ist die Situation in den dicht besiedelten Slums Indiens. Soziale Distanz ist dort kaum möglich. Zudem hat nicht jeder Slum fließendes Wasser.
Die Regierung hat die Ausgangssperre offenbar nicht durchdacht, aber dass Modi entschieden soziale Distanzierung fordert, obwohl manche in seiner hinduchauvinistischen Partei religiöse Feste planten, ist wichtig. Unterdessen lehnt der pakistanische Premierminister Imran Khan eine nationale Ausgangssperre weiter ab, obwohl die Behörden auf unteren Ebenen aktiv geworden sind.
Pakistan hat die meisten bestätigten Coronavirus-Fälle Südasiens. Geistliche sind gegen Beschränkungen von Versammlungen in Moscheen, und die Regierung hat versäumt, rückkehrende Pilger aus dem Iran angemessen zu testen und unter Quarantäne zu stellen.
In Südasien ist Prävention noch wichtiger als in reicheren Weltregionen, weil die Gesundheitssysteme schwächer sind. Italien hat 3,2 Krankenhausbetten pro 1 000 Einwohner, Indien hat 0,5. In Nachbarländern ist die Situation ähnlich. Bisher wird nur wenig getestet und es mangelt an Schutzkleidung.
Noch ist unklar, ob die Botschaft des indischen Regierungschefs an die Nation – "Treten Sie in den nächsten 21 Tagen nach draußen, und Sie werfen dieses Land um 21 Jahre zurück" – zu spät kam. Angesichts der Pandemie wendet sich Modi jedoch endlich der Wissenschaft zu. Auch in Nepal und Bangladesch gibt es Ausgangssperren, in Sri Lanka eine Sperrstunde. Werden diese Maßnahmen angesichts diverser administrativer Mängel wirken?
Aditi Roy Ghatak
© E+Z | Entwicklung & Zusammenarbeit 2020
Aditi Roy Ghatak ist freie Journalistin und lebt in Kalkutta.