Auf der Suche nach positiven Rollenmodellen

Häufig wird nur über muslimische Frauen geredet, anstatt mit ihnen. Das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) und das Auswärtige Amt luden Musliminnen aus 20 Ländern zu einer Diskussion nach Berlin ein.

Von Martina Sabra

​​Angereist waren sie aus vielen Ländern Asiens, Nordafrikas und Europas: Menschenrechtsaktivistinnen, Uni-Professorinnen, Politikerinnen, Schuldirektorinnen sowie Schriftstellerinnen - teils mit, teils ohne Kopftuch und teils Befürworterinnen, teils Gegnerinnen einer Trennung von Religion und Staat. Manche von ihnen sind international bekannt: Die Gründerin der Organisation "Sisters in Islam", Norani Othman aus Malaysia, Pakistans Ex-Justizministerin Shahida Jamil, die afghanische Richterin Marzia Basel.

Herausforderungen und Perspektiven für Frauen

Sie sollten mit Musliminnen und Nichtmusliminnen aus Deutschland über Fragen diskutieren, die in der männlich dominierten Tagespolitik oft keinen Platz haben: Zum Beispiel, welche Lebensentwürfe muslimische Frauen und Mädchen haben, was ihnen Familie und Beruf bedeutet und wie sich beides miteinander vereinbaren lässt. Außerdem: Wo liegen die Hindernisse auf dem Weg zum beruflichen Erfolg und welche Strategien nutzen Musliminnen, um mehr Macht zu bekommen? Sind Frauenbündnisse, "Mentoring" und Quoten geeignet, um den Einfluss muslimischer Frauen zu vergrößern? Zur Diskussion standen zahlreiche Themen, die sich wie folgt zusammenfassen lassen:
- Die zunehmend ungerechte Verteilung des Wohlstands weltweit, aber auch in den muslimischen Ländern selbst: Welche Auswirkungen hat dies auf den Zugang von Musliminnen zu Bildung und Beruf?
- Patriarchale Machtstrukturen sowie das islamische Recht erschweren Frauen in islamischen Ländern direkt oder indirekt die Ausübung ihrer Berufstätigkeit
- Sexuelle und anderweitige Belästigung muslimischer Frauen im öffentlichen Raum und am Arbeitsplatz: Auswirkungen auf die Beteiligung von Frauen am Erwerbsleben
- Rechtsstaatliche Strukturen, die es Frauen ermöglichen, ihre garantierten Rechte wahrzunehmen und durchzusetzen
- Doppelbelastung durch Haus- und Erwerbsarbeit
- Soziale Angebote wie Kinderbetreuung oder Hausaufgabenhilfe
- Die Bedeutung der Familie

Das Kopftuch noch immer aktuelles Streitthema

Spannende Themen, über die allerdings nur sporadisch debattiert wurde, denn in der großen Runde dominierte schon sehr bald – zum Leidwesen vieler Teilnehmerinnen – der Kopftuchstreit: ein Reizthema offensichtlich nicht nur in Deutschland, sondern auch in Malaysia und Indien.

"Wir sind über 100 Millionen Muslime in Indien; wir brauchen keine bestimmte Kleiderordnung, um uns als Musliminnen zu fühlen", sagte die indische Frauen- und Menschenrechtsaktivistin Sayeda Hameed. Sie plädierte leidenschaftlich für eine islamische Kultur der Freiheit und Toleranz: "Die Schönheit des Islam liegt in seiner Vielfalt."

Auch Norani Othman klagte, dass der uniforme, intolerante Islam wahabitischen Zuschnitts sich in Malaysia immer mehr ausbreite. "Unsere regierenden Eliten sind unfähig, dem politischen Islam etwas entgegenzusetzen", erklärt die Sozialwissenschaftlerin.

Khadija Ben Gana, "Anchor-Woman" des Satellitensenders Al-Jazira, die seit November 2003 nur noch mit Kopftuch moderiert, berichtete, welch heftige Reaktion ihre Entscheidung auslöste: "Nach der ersten Sendung mit Hijab (Schleier) legten die Zuschauer mit tausenden Emails den Server unseres Senders lahm. Die einen schickten mir Glückwünsche, die anderen bezeichneten mich als Terroristenfreundin."

Sie habe keine Lust mehr, über das Thema zu reden, denn für sie sei das Tuch Privatsache und: "Das größte Problem der muslimischen und arabischen Frauen ist nicht der Schleier, sondern das Fehlen der Demokratie."

Damit lieferte Ben Gana das Stichwort für das nächste Reizthema: Die "Greater Middle East Initiative", in deren Rahmen die USA und Europa die arabischen Regime zu Reformen bewegen wollen – Frauenrechte inklusive. Sayeda Hameed glaubt den USA nicht: "Die USA schützen diktatorische Eliten in islamischen Ländern, die durch ihre schlechte Regierungsführung Gewalt provozieren. Das ist eine Ursache von Terrorismus und Unterentwicklung, und der Rest der Welt sollte endlich aufwachen".

Auch Firdous Al-Moussawi, Ökonomin und Leiterin eines Frauenzentrums in Bagdad, ist mehr als skeptisch: "Wir brauchen keine Frauenrechtsreformen made in USA. Die Frau hat im Islam eine Menge Rechte, sie muss sie nur kennen. Im Irak zum Beispiel können Frauen von sich aus die Scheidung beantragen - sie wissen es nur nicht. Und davon abgesehen: ist das Personenstandsrecht derzeit das Wichtigste? Was ist mit dem Recht der irakischen Frauen auf Sicherheit, auf eine stabile Existenz, auf das Leben?"

Das islamische Recht als Hindernis für die Frau?

Die Juristin Marzia Basel aus Afghanistan ist überzeugt davon, dass die Frauen nicht Gefangene der Scharia, sondern der Tradition seien: "Der Islam gibt den Frauen viele Rechte. Aber die afghanische Gesellschaft verwechselt die Traditionen und Bräuche mit den Vorschriften des islamischen Rechts. Die Musliminnen brauchen dringend ein 'update' in bezug auf ihre Rechte".

Basel arbeitete in der Loya Jirga an der neuen afghanischen Verfassung. Jetzt setzt sie sich als Leiterin des UNIFEM-Büros in Kabul dafür ein, dass wieder möglichst viele Mädchen und Frauen ihres Landes zur Schule gehen können. Ihre Gleichung lautet: Wissen ist Macht, denn gut ausgebildete Frauen verdienen eigenes Geld und können ihre Lebensbedingungen besser mitgestalten.

Omaima Abu Bakr, Anglistin an der Universität Kairo, will den Einfluss der Frauen auch auf die religiöse Gesetzgebung und Rechtsfindung ausdehnen: "Wir müssen die religiösen Institutionen erobern. An den theologischen Hochschulen herrschen immer noch die Männer. Die religiösen Texte, die unsere Rechte betreffen, werden immer noch von Männern interpretiert. Da müssen Frauen ran."

Ob Quoten dazu geeignet sind, muslimische Frauen zu stärken, ist eine komplizierte Frage, denn Quoten sind weltanschaulich neutral, und Feministinnen sind es nicht. Nejia Boudali, Geologieprofessorin und Feministin aus Marokko, berichtete über die bisherigen Erfahrungen mit der neu eingeführten Frauenquote im marokkanischen Parlament: In der ersten Legislaturperiode zogen dank der Quote hauptsächlich erzkonservative Islamistinnen ins Parlament ein, die die jüngsten, sehr frauenfreundlichen Familienrechtsreformen lieber gestern als heute rückgängig machen würden, es aber glücklicherweise nicht können, weil das Parlament in Marokko dazu nicht befugt ist.

"Man darf nicht blind irgendwelche Methoden anwenden, sondern muss genau auf die Details sehen", meint Boudali, die der in Marokko relativ starken säkularen Frauenbewegung angehört und sich für eine Trennung von Religion und Politik einsetzt.

Dialog auch unter Musliminnen geforderrt

Auch die Fernsehjournalistin Khadija Ben Gana mahnt, genau hinzusehen. Es sei richtig, dass demokratische Reformen von den Menschen in den arabischen und muslimischen Gesellschaften selbst ausgehen müssten. "Aber man muss auch gestehen, dass Reformen längst überfällig sind. Es dauert alles viel zu lange bei uns, und ich glaube, es wird nicht ohne Druck von außen gehen, auch wenn das vielen nicht gefällt. Es ist ein unlösbares Dilemma."

Die arabischen und islamischen Gesellschaften, so Ben Gana, sollten mehr Selbstkritik üben und ehrlicher mit ihren Fehlern umgehen, statt sich einzureden, sie seien dem Westen moralisch überlegen.

"Als eine junge Mutter in Nigeria wegen angeblichen Ehebruchs hingerichtet und ihr Baby zur Waise gemacht werden sollte, haben die Musliminnen und Araberinnen fast sämtlich geschwiegen. Und als ich selbst 1994 von Islamisten mit dem Tod bedroht wurde, habe ich vergeblich auf die Solidarität der arabischen und muslimischen Frauen gewartet. Am Ende haben mir Menschen in der Schweiz geholfen", sagt Ben Gana.

Die Welt sei heute ein Dorf: "Immer mehr Menschen erkennen, dass der Westen und die islamische Welt nicht so unterschiedlich sind." Ben Ganas Fazit: Nicht nur westliche und muslimische Frauen müssten mehr und ehrlicher miteinander reden, sondern auch die Musliminnen unter sich selbst.

Martina Sabra © Qantara.de 2004