Handlungsrahmen für die Weltgemeinschaft
Wenn der russische Außenminister Sergej Lawrow der "Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit" (OSZE) vorwirft, sie setze sich zu sehr für die Beachtung der Menschenrechte ein, könnte man dies fast für ein gutes Zeichen halten. Zeigt es doch eine gewisse Empfindsamkeit – wenn es um die öffentlich dokumentierten Versäumnisse in der Menschenrechtslage seines Landes und im konkreten Fall auch um die Kasachstans geht.
Eine Empfindsamkeit, die seit den Anschlägen vom 11. September 2001 im politischen Geschäft deutlich nachgelassen hat. Selbst rechtsstaatliche Demokratien, wie die USA, haben danach Maßnahmen zur staatlichen Sicherheitspolitik vielfach zu Lasten der Freiheitsrechte beschlossen und dabei die staatliche Gerichtsbarkeit in zahllose Konflikte mit der Regierung gebracht.
Die Missachtung des unabdingbar geltenden Folterverbots gehört dabei zu den schwersten Menschenrechtsverletzungen. Sie kommt einem rechtsstaatlichen Dammbruch gleich, und führt geradewegs in die Barbarei ganzer Regionen, Länder und Gesellschaften.
Wenn die so genannte Baker-Kommission in den USA den Kampf gegen den Terror nun endlich wieder mit Diplomatie und Wachsamkeit aufnehmen will, anstatt mit militärischen Mitteln und organisierten Menschenrechtsverletzungen, dann ist auch dies endlich wieder mal ein gutes Zeichen.
Denn ganz gleich ob es um die politisch bürgerlichen Menschenrechte geht, um die Meinungsfreiheit, die Demonstrationsfreiheit, das Recht auf freie Wahlen, das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Folterverbot, oder ob es um die wirtschaftlich-sozialen Rechte, wie das Recht auf Nahrung, das Recht auf Bildung, das Recht auf Wohnen, um die Diskriminierungsverbote aufgrund der Hautfarbe, der ethnischen Zugehörigkeit oder aufgrund des Geschlechts - immer sollten die Menschrechte und die dahinter stehende Erfahrung die Maxime staatlichen Handelns sein.
Und ganz gleich ob es um die Bekämpfung des Terrors, um die Bekämpfung von Aids, um den Kampf gegen die Armut oder die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen geht, allein der Wettbewerb um die besten Lösungen, nicht aber der Wettbewerb im Kampf um die Schaffung der Barbarei kann ein gedeihliches Zusammenleben auf dem Globus ermöglichen.
Dabei können allein die Staaten die durch gutes Beispiel und eine klare Haltung gegenüber den Menschenrechten zeigen, Nachhaltigkeit und Kooperationen ermöglichen. Nur sie können Würde und Freiheit für die Einzelnen garantieren, und damit den nötigen Raum für friedliche Problemlösungen auf dem Erdball ermöglichen.
Denn Probleme gibt es genug und auch die Initialisierung der Marktkräfte, wie Wettbewerb, Macht und Durchsetzungsvermögen sind keine Garantie für die Orientierung der Gesellschaften auf die Menschrechte, wie das Beispiel China zeigt.
Die Angst vor der Supermacht China gilt nicht nur der Sorge vor der besseren wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit – sie gilt auch der befürchteten Dominanz einer Wertegemeinschaft, die mit den Freiheitsrechten der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte nur noch sehr wenig zu tun hat.
Sie allein aber – die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen und die dazugehörigen Pakte und Vertragswerke – bilden den Handlungsrahmen und die Orientierung für Entwicklung und Zusammenleben der Gesellschaften weltweit.
Sie zu vernachlässigen, hieße der Menschheit die beste und die existentiellste Grundlage zu entziehen, die sie im globalen Zeitalter zu bieten hat.
Ulrike Mast-Kirschning
© DEUTSCHE WELLE 2006