Die UN-Vollversammlung der Religionen
Die Skulptur ist unübersehbar. Siebeneinhalb Meter hoch ist der hölzerne Ring. Er ist mehrfach in sich verschlungen, ohne Anfang, ohne Ende, auch ohne Außen und Innen. Seit einigen Tagen steht der "Ring for Peace" im Luitpoldpark des Bodensee-Städtchens Lindau.
"Er steht stellvertretend für die Idee, die Vision und die Mission von Religions for Peace", sagt Ulrich Schneider. Der 46-Jährige verantwortet als Geschäftsführer der "Stiftung Friedensdialog der Weltreligionen und Zivilgesellschaft" die Durchführung der zehnten Weltversammlung von Religions for Peace, die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an diesem Dienstag eröffnet.
Globales Netzwerk trifft sich im Herzen Europas
Religions for Peace - das ist ein globales Netzwerk religiöser Gemeinschaften. Im Grunde, sagt Schneider, seien alle Religionen der Welt in irgendeiner Form in dem 1970 gegründeten Verbund eingezogen.
Es gibt Kenner, die die etwa alle fünf Jahre stattfindenden Weltversammlungen mit der Generalversammlung der Vereinten Nationen vergleichen. Nun kommt diese große zivilgesellschaftliche Allianz in ein kleines Städtchen fernab der politischen Zentren, das nur mit einigem Aufwand zu erreichen ist. Aber Lindau liegt im Herzen Europas. Und die Stadt zeigt seit vielen Jahren mit den internationalen Treffen der Nobelpreisträger, das sie die Atmosphäre bietet für intensives Nachdenken und den Austausch über Grenzen hinweg.
Wolfgang Schürer hat sich lange Jahre für die Nobelpreisträger-Treffen engagiert. Nun ist der Ökonom als Vorsitzender der "Stiftung Friedensdialog der Weltreligionen und Zivilgesellschaft'" der Motor hinter dem Religionstreffen. "Wir hoffen, dass wir mit der Weltversammlung Anstöße geben, die nachhaltig wirken, und dass wir nicht einfach nur ein weiterer der sogenannten Gipfel sind, die es heute in Überzahl auf der Welt gibt", sagt Schürer der Deutschen Welle.
Die Erwartungen der Politik an die Religion
Das deckt sich mit den Erwartungen oder Hoffnungen der Politik, nicht nur des Auswärtigen Amtes in Berlin, das Lindau mit mehreren Millionen Euro unterstützt. Seit Jahren gibt es Weltregionen, in denen politische Institutionen handlungsunfähig sind und nur noch zivilgesellschaftliche Kräfte - häufig aus dem religiösen Bereich - Notleidenden helfen: Dörfer in der Zentralafrikanischen Republik etwa, in Teilen des Irak oder Flüchtlingslager in verschiedensten Staaten. "Religionsgemeinschaften sind die größten zivilgesellschaftlichen Institutionen unserer Welt", sagt Andreas Görgen: "Jenseits aller Glaubensfragen geht es uns um deren Verantwortung innerhalb von und zwischen Gesellschaften."
Görgen leitet die Kultur- und Kommunikationsabteilung im Auswärtigen Amt. Seit 2018 gibt es in seiner Zuständigkeit ein eigenes Referat "Religion und Außenpolitik". In Lindau werden Görgen und seine Mitarbeiter auch Diplomaten-Kollegen aus zahlreichen europäischen Ländern begrüßen können, die das Treffen beobachten. Denn weltweit - ob in Europa, im asiatischen Raum oder in den USA - schaut Politik verstärkt auf die Rolle der Religionen und erinnert sie an ihre Verantwortung für den Frieden.
Das heißt: Politik sieht das Potential der Religionsgemeinschaften, will sie aber auch als Friedenskräfte in die Pflicht nehmen. Zum Teil geht es dabei in Lindau auch um heiße Eisen. Hinter verschlossenen Türen sprechen Delegierte beispielsweise aus Nord- und Südkorea, aus Myanmar und Bangladesch, aus dem Sudan und dem Südsudan miteinander.
Menschen mit Mut
Wie das konkret aussieht, das zeigen einige prominentere Namen von Teilnehmern in Lindau. Da kommt Jose Ramos Horta, wichtiger Politiker seines Heimat-Landes Ost-Timor, Träger des Friedensnobelpreises. Oder Layla Alkahafaji: Die muslimische Irakerin saß unter Saddam Hussein zehn Jahre im Gefängnis, konnte dann nach Kanada ausreisen und ist heute in ihrem Heimatland eine der führenden Stimmen beim Kampf gegen Gewalt gegen Frauen. Oder Kardinal John Onaiyekan: Der Nigerianer gehört zu jenen Kräften in Nigeria, die trotz allen Terrors der islamistischen Boko Haram-Bewegung für ein Miteinander der Religionen eintreten.
Insgesamt nehmen gut 900 Religionsvertreter aus 100 Ländern an der diesjährigen Konferenz (20. - 23. August) teil. Das ursprüngliche Ziel, dass ein Drittel der Teilnehmenden weiblich sind, verfehlten die Organisatoren laut Ulrich Schneider, Geschäftsführer der Stiftung. Auch Schneider betont die Bedeutung von Religion weltweit. Über 80 Prozent der Weltbevölkerung bezeichneten sich als religiös: "Das ist sicher anders als hier bei uns in Deutschland. Und es zeigt, welch wichtige Rolle Religion heute spielt."
Beten und essen
Die Vielfalt aus Ländern und Religionen wird Lindau prägen, die deutsche Stadt am Schwäbischen Meer, wie der Bodensee genannt wird.
So laden die katholische und evangelische Kirche der Stadt, die auf der Insel gleich nebeneinander stehen, Religionsvertreter und die einheimische Bevölkerung auf dem Markt zum Essen ein, an einer gemeinsamen, großen Tafel. Und es gibt - als bleibendes, dauerhaftes Symbol - den Ring.
Die deutsche Seite hofft, dass Lindau und seine Atmosphäre die Begegnungen und Gespräche ankurbeln. Es geht nicht nur um eine gemeinsame Abschlusserklärung, sondern auch um ganz konkrete Beschlüsse. Geplant ist eine weltweite Initiative zum Schutz religiöser Stätten und ein gemeinsames Engagement im wissenschaftlichen Bereich, um sexuelle Gewalt gegen Frauen in bewaffneten Konflikten besser als heute aufklären zu können.
"Unsere Hoffnung ist", sagt Schneider, "dass Lindau zum dauerhaften Ort des interreligiösen Dialogs und des Friedensimpulses wird". Dann könnten die Religionsvertreter in fünf Jahren wieder an den Bodensee kommen.
Christoph Strack
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