"Bidoun" - Sprachrohr für junge Künstler
Für die Redaktion ist "Bidoun" ein Versuch, die Kluft zwischen den Nationen des Nahen Ostens durch ein Forum zu überbrücken, in dem sich Künstler ohne die Last falscher Interpretationen oder Stereotypen mitteilen können. "Bidoun" hat keinen festen Redaktionssitz im Sinne eines lokalen Standorts: Die drei Redakteurinnen leben in New York, Berlin und Dubai. In der "Cyberspace-Redaktion" läuft alles über das Internet. Beim Telefonieren mit ihren Kolleginnen muss die deutsch-palästinensische Redakteurin Alia Rayyan aus Berlin daher immer den Zeitunterschied einkalkulieren – in Dubai 2 Stunden zurück- und in New York 6 Stunden vorausrechnen.
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Wie waren die ersten Reaktionen auf die Gründung Ihres Magazins in Berlin?
Alia Rayyan: Zunächst einmal ist die Aufmachung gut angekommen. Die meisten haben das spannende Layout und die gute Druckqualität gelobt. Die Texte wurden natürlich noch nicht kommentiert, aber darauf sind wir gespannt.
Wie ist überhaupt die Idee entstanden, dieses Kunstmagazin ins Leben zu rufen?
Rayyan: Ich traf vor einem Jahr in Berlin Lisa Farjam, (die Chefredakteurin/Anm. der Redaktion). Sie hat mir von ihrer Idee erzählt, dass sie ein Magazin mit dem Namen "Bidoun" machen möchte. Lisa ist Iranerin, lebt in New York und Paris. Ich selbst war auf der Suche nach der Möglichkeit, ein Netzwerk aufzubauen und nach einem Medium. Ich wusste jedoch noch nicht, wie ich das anstellen sollte. Als sie mit der Idee für diese Form des Magazins kam und ich mit diesem Netzwerkgedanken, da hat es dann "Klick" gemacht!
An wen richtet sich "Bidoun", welche Leser habt Ihr im Sinn?
Rayyan: Es geht uns um die jüngere Generation, die sozusagen zwischen den Stühlen sitzt. Eine Generation, die im Nahen Osten aufgewachsen ist, im Westen studiert hat und zurückgekehrt ist. Oder einfach eine andere Lebensart im Nahen Osten etabliert hat, die nicht mit dem klassischen Nahostbild übereinstimmt. Diesen Menschen ein Sprachrohr und einen Raum zu geben, war Sinn und Zweck des Projekts.
Der Name der Zeitschrift schien ja von Anfang an festzustehen. Warum hat der Name eigentlich eine negative Bedeutung?
Rayyan: Meiner Meinung nach ist der Name nicht negativ belastet. Wir betrachten diesen Ausdruck als eine Provokation. Ich weiß, dass "Bidoun Djensiah" (in Kuwait die Bezeichnung für Menschen ohne Staatsangehörigkeit, Anm. der Redaktion) sowie Dies und Jenes damit verbunden wird. Das ist für uns aber nicht negativ, sondern es handelt sich hierbei um die Realität. Es ist Zeit, solche Themen anzusprechen und zu diskutieren. Wir sind eben "Bidouns"! Wir sind weder hier noch dort, sondern überall. Wenn ich hier bin, bin ich gleichzeitig auch in Ramallah - und wenn ich in Ramallah bin, bin ich zum Teil auch hier. Ich bin nie ganz an einen Ort gebunden, d.h. ich gehöre zu keiner Nation.
Klingt "Bidoun" nicht eher danach, nirgendwo als überall zu sein?
Rayyan: Lassen Sie mich es anders formulieren: ohne Vorurteile, ohne Stereotypisierung und Exotik. Also, "Bidoun" bezogen auf die Begriffe, die wir in unserem Sprachgebrauch benutzen: Begriffe, wie Nation, Volk etc. sind alle festgeschrieben, aber wir lösen uns aus dieser Starrheit heraus. Wir negieren die Starrheit und nicht das "So-Sein", wir negieren nicht die Kultur, sondern das "Festschreiben-wollen".
Gleich im ersten Satz des Editorials geht es um ein sozialpolitisches Thema, nämlich um die staatenlosen "Bidouns" in Kuwait. Steht also Gesellschaftskritik im Mittelpunkt des Magazins?
Rayyan: Nein. Es ist eine Kunst- und Kulturzeitschrift. Aber gerade auf diesem Gebiet sind Politik und Kunst sehr miteinander verwoben. Das Heft soll Spaß machen und unterhalten, nicht deprimieren. Es soll eine Unterhaltung im Sinne von Austausch bieten. Wir haben ja auch den Bereich "Beauty & Fashion" mit drin, was wirklich nicht politisch ist. Aber wenn wir einen iranischen Modemacher präsentieren, wird natürlich auch etwas Politisches dabei sein. Wir verstehen uns als eine kulturpolitische Zeitschrift, aber nicht als eine politische. Wir wollen mit dem Magazin bestimmte Formen durchbrechen. Es ist ein Kunst- und Kulturmagazin, dennoch berichten wir über junge Künstler und Kunstprojekte im Nahen Osten und außerhalb. Diese Projekte werden sicherlich auch kritisch und politisch sein. Heutzutage machen die künstlerischen Ebenen das Interessante im Nahen Osten aus, weil dabei kritischer mit der Situation umgegangen wird, als bei manchen zivilgesellschaftlichen Gruppen.
Sie wollen auch Sprachrohr für Menschen aus dem Nahen Osten und Nordafrika sein. Warum erscheint dann "Bidoun" nur in englischer Sprache?
Rayyan: Auf Englisch zunächst einmal deshalb, weil es die Sprache ist, die die meisten Leser in den Erscheinungsländern verstehen. "Bidoun" ist in New York, Los Angeles, Paris, London, Berlin, Beirut, Dubai, Kairo und Istanbul erhältlich. Wir hatten zwei Möglichkeiten: entweder, wir hätten noch zwei Jahre dran gesessen, um alles durchzustrukturieren und dann von "Null auf 100" zu gehen, oder wir fangen einfach an. Wir wagten den Sprung "ins kalte Wasser". Das Geld spielte auch eine wesentliche Rolle. Geplant sind demnächst Ausgaben in Arabisch, Farsi und Englisch - ähnlich wie bei "Fikrun wa Fan".
Im Magazin ist die Rede vom "Middle East". Wie ist das mit dem "Überall-sein" zu vereinbaren, wenn sie sich in der englischen Sprache artikuliert?
Rayyan: Wir haben die Diskussion auch in anderen Ländern geführt. Selbst im Libanon wurden wir gefragt, warum Middle East? Was heißt heute noch Middle East? Wir werden den Begriff in der kommenden Ausgabe diskutieren. Der Ausdruck ist für uns nicht ideal, aber das setzt uns ab von Begriffen wie "Forum of the New Islamic Talents" und Ähnlichem.
Also ist der Begriff doch bewusst gewählt?
Rayyan: Bewusst ja, aber nicht als ein Begriff, der jetzt für immer stehen bleiben muss, nicht als vorgefertigte Definition, die von uns vorgegeben wird. Man darf nicht vergessen, dass drei Leute von uns in New York leben, d.h. auch diese Perspektive ist bei uns vorhanden. Wir wollen uns aber auf keinen Fall als eine Zeitung aus den islamischen Ländern definieren! Das stimmt ja auch nicht, denn da müssten noch viel mehr Länder mit einbezogen werden.
Das Interview führte Youssef Hijazi
© Qantara.de 2004