„Sie war keine größere Sensation“
Was hat Sie dazu bewegt, einen Dokumentarfilm über die pakistanische Aktivistin Sabeen Mahmud zu drehen?
Schokofeh Kamiz: Als ich zum ersten Mal von Sabeen gehört habe, war ich sehr überrascht darüber, dass sie keine größere Sensation ist. Sie war eine ganz normale Frau, die durch die Straßen ging, mit allen scherzte, aber durch ihren Aktivismus jahrelang Menschen bewegte. Mich hat fasziniert und gepackt, dass sie klein angefangen und dann so viel erreicht hat. Sie hat die Nerven verschiedener Menschen getroffen. Da dachte ich, dass solch eine Persönlichkeit wirklich jeder kennen lernen muss.
Der Film beginnt mit Ihnen, Sie schauen sich ein Interview von Sabeen an. Danach tauchen Sie – bis auf ein paar Fragen aus dem Off – gar nicht mehr auf. Was war die Überlegung dahinter?
Kamiz: Zuerst wollte ich mich überhaupt nicht einbringen. Für mich ist „After Sabeen“ ein reiner Beobachtungsfilm. Ich wollte diese Frau selbst kennenlernen. Meine Freunde fragten mich aber ständig, warum ich mich ausgerechnet zu ihr hingezogen fühle. Vor allem, weil ich ja selbst Iranerin bin. Deshalb dachte ich, okay, ich zeige mich einmal am Anfang, um zu verdeutlichen, warum mich dieses Thema beschäftigt und wie ich zu Sabeen stehe. Die Szene funktioniert wie eine Art Prolog.
Filmemachen ist überall auf der Welt schwierig, in einer Stadt wie Karatschi erst recht. Hatten Sie sich darauf eingestellt?
Kamiz: „After Sabeen“ ist ein No-Budget-Film, ich hatte gar keine Chance auf irgendeine Art von Funding. Auch wenn ich es gewollt hätte, ich wäre nicht in der Lage gewesen, meine Crew angemessen zu bezahlen. Also bin ich alleine und mit so wenig Equipment wie möglich nach Pakistan geflogen. Im Grunde nur mit einer Canon-Kamera, einem Audiorekorder und Kopfhörern. Ich wollte so wenig Aufmerksamkeit wie möglich erregen. Weder von der Regierung, noch von Leuten, die ich so oder so nicht kenne. Ich war zu dem Zeitpunkt Mutter geworden und wollte nicht, dass mir etwas passiert.
Und wie haben Sie dann vor Ort gearbeitet?
Kamiz: Das minimale Equipment hat mir ehrlich gesagt geholfen, da ich ja sehr intime Gespräche geführt habe und das einfach gut zum Setting gepasst hat. In den vier Wänden waren wir frei und konnten über alles sprechen. Aber dann stellte sich die Frage, wie ich die Außenaufnahmen von Karatschi mache. Diese habe ich dann schließlich aus dem inneren des Autos eingefangen und das hat insofern gepasst, weil auch Sabeen das Autofahren liebte. So habe ich die Stadt aus ihren Augen gesehen.
Wieso mussten die Außenaufnahmen aus dem Auto gedreht werden? Wurden Sie jemals bedroht?
Kamiz: Nein, das ist nie etwas passiert. Es war nur zu meiner eigenen Sicherheit. Ich wurde nur einmal vom Militär angehalten, als ich mit einer Rikscha unterwegs war. Ich hatte meine Kamera dabei und der Offizier wollte wissen, was das soll. Der Fahrer hat mir dann echt das Leben gerettet. Er erklärte dem Offizier, dass ich nicht aus Pakistan komme und schon gar nicht Urdu spreche. Daraufhin wurde nur mein Handy überprüft und so langsam wurde dem Offizier klar, dass ich nicht von dort bin. Zum Glück wurde meine Kamera nicht beschlagnahmt, da sich darin bereits einige Interviews befanden.
Diese Interviews sind das Herzstück Ihres Films. Sie sprechen mit Sabeens engsten Freunden und Freundinnen sowie mit ihrer Mutter, Mahenaz Mahmud, die auch im Auto saß, als Sabeen getötet wurde. Wie haben Sie sich auf die Gespräche vorbereitet?
Kamiz: Ich wusste nicht, in welche Richtung der Film gehen wird. Ich ging mit keinem bestimmten Vorsatz an die Interviews heran und wollte den Gesprächspartnern auch nicht meine eigene Meinung aufdrücken. Ich wusste lediglich, dass ich mit Sabeens Freunden - und natürlich mit ihrer Mutter - sprechen muss. Und mit Leuten, die ihre Arbeit weiterführen. Mit Marvi Mazhar hatte ich dann zum Glück eine Person gefunden, die sowohl eng mit Sabeen befreundet war und jetzt das von ihr gegründete Café, „The Second Floor“ (T2F), weiterführt. Irgendwann stellte ich fest, dass sich der Film zu interviewlastig gestaltete. Und weil ich nebenbei viel recherchiert hatte, bin ich auf Facebook-Posts gestoßen, die Sabeen nach ihrem Tod gewidmet waren. Diese habe ich in den Film eingebunden und sie funktionieren wie Kapitel, die mir etwas Struktur verliehen haben.
Im Film sieht man, dass das Zimmer von Sabeen auch nach ihrem Tod unverändert geblieben ist. Wie war es, in diesem Zimmer zu drehen und überhaupt in dem Haus von ihr zu wohnen?
Kamiz: Ich wollte unbedingt mit Mahenaz wohnen. Ich war für eine ganze Woche bei ihr, dann noch einmal für drei Tage und schließlich für zwei weitere Tage. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass sie uns ihr eigenes Zimmer übergibt und selbst ins Zimmer von Sabeen zieht.
Ich bin als Berlinerin mit dem Gedanken nach Pakistan gekommen, dass ich ja auch auf dem Boden schlafen kann. Aber das hat Mahenaz auf gar keinen Fall zugelassen, was im Nachhinein sehr wichtig für den Film war. Dadurch, dass sie im Zimmer von Sabeen geschlafen hat, und das Interview unter anderem auch dort stattgefunden hat, war sie sehr involviert und sehr emotional.
Sie sprechen nur mit Sabeens Freunden und es entsteht ein sehr persönliches, aber auch homogenes Bild von ihr. In Pakistan gibt es jedoch sicherlich auch Menschen, die es für gut befinden, was mit ihr passiert ist. Waren Sie nicht daran interessiert, auch diese Sichtweise zu erforschen?
Kamiz: Die Themen von „After Sabeen“ sind schon sehr schwierig; und ich dachte, ein Querschnitt der Gesellschaft zu zeigen, wäre vielleicht nicht klug gewesen. Vor allem für westliche Zuschauer, weil sie vielleicht nicht wissen, wer Sabeen ist und was für eine Bedeutung das Künstlercafé T2F hat. So ein Ort ist in einer Stadt wie Karatschi Gold wert.
Am liebsten hätte ich die Kamera vor dem Gebäude aufgestellt und nach und nach Männer befragt, ob sie Sabeen kannten. Aber mir waren die Hände gebunden und ich habe es mir ehrlich gesagt nicht zugetraut. Ich wollte keinen großen Wind um das ganze Projekt machen.
Würden Sie vielleicht in ein paar Jahren einen zweiten Teil von „After Sabeen“ drehen?
Kamiz: Absolut! Wie gesagt komme ich ursprünglich aus dem Iran - und auch dort gibt es viele Personen, die ermordet werden, wenn sie etwas tun, was anderen nicht gefällt. Man steckt sie ins Gefängnis oder tötet sie. Aber was passiert danach? Wie gehen die Hinterlassenen damit um? Ich habe bereits mit Sabeens Mutter gesprochen, dass ich gerne in fünf Jahren einen zweiten Teil drehen würde. Ich möchte sehen, wie sich Pakistan in der Zeit entwickelt hat und welche Rolle Sabeen dabei gespielt hat.
Sie fragen Ihre Gesprächspartner am Ende des Films, was sie zu Sabeen sagen würden, wenn sie die Möglichkeit bekämen, sie noch einmal zu sehen. Was würden Sie ihr denn sagen?
Kamiz: Das ist eine gute Frage. Darüber habe ich nie nachgedacht, weil ich sie persönlich nie kennengelernt habe. Wenn Sie mich so spontan fragen, dann würde ich Sabeen einfach umarmen und küssen und diesen Moment mit ihr genießen. Ich bin eigentlich eine pragmatische Person, aber irgendwie hatte ich beim Drehen des Films immer das Gefühl, dass Sabeen bei mir war. Dass sie mir die nötige Kraft für alles gegeben hat.
Das Interview führte Schayan Riaz.
© Qantara.de 2019