''Es ist Irrsinn, für das Assad-Regime zu sein!''

Hrach Macoushian ist Musiker aus Aleppo und kam vor zwei Jahren nach Jerewan, um dem Militärdienst in Syrien zu entgehen. Er spricht über die armenische Minderheit in Syrien und seine Erfahrungen mit dem Assad Regime.

Interview von Lennart Lehmann

Wie steht die armenische Minderheit in Syrien zum Assad Regime?

Hrach Macoushian: Die Armenier in Syrien leben außerhalb der Kampfzone. Viele von ihnen sind für Assad.

Warum?

Macoushian: Weil sie dumm sind (lacht). Sie denken, dass Assad die Minderheiten beschützt. Dabei sollte jeder wissen, dass es eine Lüge ist, dass das Regime die Minderheiten beschützt. Es gab da nie ein Problem. Außerdem haben die Armenier den Muslimbrüder-Komplex – sie denken dass die Muslimbrüder nach dem Sturz des Regimes mit Gewalt gegen Armenier und Christen vorgehen werden. Die Armenier glauben die Propaganda des Regimes. Aber in der Vergangenheit haben die Muslimbrüder nie Armenier ermordet. Sie haben immer nur gegen die Nationalisten gekämpft. Dabei wurden alle syrischen Muslimbrüder entweder von der Regierung ermordet oder sind ins Exil gegangen. Das negative Image der Muslimbrüder wurde später auch vom Regime kreiert um, sie zu diskreditieren. Diese Partei, vor der die Leute Angst haben, gibt es nicht mehr. Das ist der Unterschied zu den ägyptischen Muslimbrüdern.

Wie sehen die Armenier in Syrien den Bürgerkrieg?

Macoushian: Die Armenier leben sehr losgelöst von dem, was in Syrien passiert. Sie haben diese Scheuklappen. Sie bewegen sich kaum außerhalb ihrer Gemeinden. Die meisten Armenier haben keine arabischen Freunde. Und das bedeutet: Mehr Paranoia! Was außerhalb der Nachbarschaft passiert, das erklären ihnen der Präsident und die staatlichen Medien. Die sagen ihnen: Da gibt es Terroristen, die, wenn sie an der Macht sind, Armenier, Christen und andere Minderheiten umbringen werden.

Was war der Auslöser für Deine Ablehnung des Baath-Regimes?

Macoushian: Ich war immer begeistert von Menschen, die sich selbst ausdrücken können und eingängige Ideen haben. Ich fing an, auf Konzerten zu spielen, als ich 17 war und ich verbrachte viel Zeit mit Musikern. Als ich 18 war, kamen eines abends Sicherheitskräfte zu uns nach Hause und belogen meinen Vater: Sie gaben vor, es habe in der Nähe seines Geschäftes einen Diebstahl gegeben und baten ihn, zur Direktion für Politische Sicherheit kommen. Seinen Sohn solle er auch mitbringen. Auf der Direktion befahlen sie meinem Vater, zu gehen. Mich behielten sie dort. Ich wurde also entführt. Sie fingen an, mich zu verhören. Sieben oder acht Personen, die mich bedrohten und mir Fragen stellten. Die Namen aller meiner Freunde. Die Leute, die ich kenne. Sieben Stunden lang. Am Ende musste ich ein Papier unterschreiben, auf dem ich versprach, dass ich meinem Land helfend zur Verfügung stehe. Dann brachten sie mich nach Hause. Dieses Verhör hat dazu geführt, dass einer meiner Freunde ins Gefängnis kam und dort gefoltert wurde. Und manchmal denke ich, dass ich daran schuld bin. Es ging nur um die Ansichten meines Freundes. In dem Verhör habe ich die Ansichten meines Freundes preisgegeben, und sie haben ihn gefoltert, weil er Ansichten hatte. Also, das war vielleicht der Schlüsselmoment, wo der Hass auf das Regime begann.

Warum misstraute euch das Regime?

Macoushian: Wir spielten westliche Musik. Metallica, Led Zeppelin. Wir trafen uns in Wohnungen. Es gibt normalerweise nur wenige Gründe für Versammlungen in Syrien: Familienfeste und religiöse Feiern. Nun sahen die Sicherheitskräfte, dass sich junge Leute versammelten, und sie betrachteten das als eine Bedrohung. Sie wollten wissen, was wir dachten, worüber wir redeten. Manchmal trafen wir uns auch in der Straße, fünf Leute nur, nicht mehr, und die Polizei fragte uns: "Warum versammelt ihr euch?" Ich meine, es ist doch wohl das natürlichste der Welt, dass Menschen sich versammeln, und sie wollen wissen, warum?!

Du sagst, deine Freunde sind gefoltert worden?

Macoushian: Ja. Und ich habe die Foltermaschinen gesehen. Diese Foltermaschinen haben keine richtigen Namen. Nur Spitznamen. Eine zum Beispiel heißt "Fliegender Teppich". Sie verbiegt dir langsam den Rücken, bis du nicht mehr atmen kannst. Ich habe mal einen getroffen, dem hatten sie mit Elektrokabeln die Fußsohlen zerschlagen. Es waren fürchterliche Wunden. Ein anderer Freund von mir verlor während seines Militärdienstes ein wichtiges Dokument. Sie haben ihn dafür drei Monate in eine kleine, dunkle, lichtlose Kiste eingeschlossen, die sie "Polnisches Gefängnis" nennen. Er hörte die Schreie von Menschen, die gefoltert wurden. Nur einmal am Tag haben sie ihn für ein paar Minuten dort herausgeholt. Er konnte danach lange nicht laufen. Weißt du, er hatte kein Verbrechen begangen. Er hatte niemanden umgebracht, und sie steckten ihn in eine "Black Box". Ich traf ein kurdisches Mädchen. Ihr Bruder wurde entführt, genauso wie ich. Sie folterten ihn und zogen ihm die Fingernägel raus. Er kam noch nach Hause. Andere kamen nicht nach Hause. Jeder in Syrien kennt solche Geschichten. Jeder weiß darüber Bescheid. Und wenn du ein Dissident bist, und du lebst in einer Mietwohnung in einem Hochhaus – dann schießen sie das ganze Gebäude zusammen. Es ist verrückt, für Assad zu sein. Du bist für dieses Regime? Du bist für diese Prozeduren? Natürlich nicht! Deshalb sage ich: Die Armenier sind dumm.

Manche politische Gruppen in der Welt tun sich schwer damit, sich gegen das Assad-Regime zu stellen. Viele Leute hatten ursprünglich auch Hoffnungen mit dem jungen Präsidenten Baschar al-Assad verknüpft...

Macoushian: Die Baath-Partei wurde von nationalistischen Muslimen und Christen gegründet. Dann riss einer von ihnen die ganze Macht an sich. Wenn du heute über die Baath-Partei redest, dann sehe ich nicht mehr Sozialismus, Einigkeit und Freiheit. Ich sehe da nur einen gierigen Machtmenschen und seine Familie, die Syrien 60 Jahre lang beherrscht haben.

In den 1980er Jahren, als Hafiz al-Assad 50.000 Menschen in Hama umbringen ließ, da war das noch eine ideologische Sache. Aber das, was jetzt in Syrien passiert, hat nichts mehr damit zu tun. Baschar al-Assad kämpft einfach nur um die Macht.Wenn du aufwächst wie Baschar, als Sohn eines Diktators, dann lebst du in einer gefälschten Realität. Jeder lügt dich an, niemand ist ehrlich zu dir. Ich denke, dass Baschar Probleme hat, die Wahrheit zu erkennen. Und ich bezweifle, dass irgendjemand in der Welt von jemandem regiert werden möchte, der Probleme hat, die Realität zu erkennen. Und das System setzt sich fort: Journalisten haben Baschar gefragt, wie er die Ereignisse seinen Kindern erklärt. Er hat geantwortet, dass er ihnen sagt, die Leute, gegen die er kämpft, das seien alles Terroristen. Er gibt also dieses gestörte Realitätsbild an seine Kinder weiter, die irgendwann einmal Syrien regieren sollen.

Wie schätzt du die Lage der syrischen Opposition ein?

Macoushian: Die Opposition versucht, sich zu organisieren. Es gibt dort sehr viele Aktivisten, die das Regime bekämpfen. Was mich optimistisch macht, ist, dass die syrische Opposition nicht zentralisiert ist, wie in Armenien. Die syrische Opposition eint der Kampf gegen das Regime. Aber die Akteure sind sehr vielfältiger Natur. Die syrische Opposition ist sehr offen und sehr breit strukturiert. Wer sagt, das sei eine Schwäche, der denkt ausschließlich in klassischen Mustern. Kritiker sagen, die Opposition sei desorganisiert. Aber ich sage, sie ist dezentralisiert. Ich finde nicht, dass das eine Schwäche ist. Es ist nur so, dass du es nicht so leicht durchschauen kannst.

Wie beurteilen die Armenier in Syrien die Zukunft des Konfliktes?

Macoushian: Sie glauben, das Regime wird alles unterdrücken und alles wird wieder so sein wie zuvor. Syrien wird aber nie wieder so sein wie zuvor. Syrien wird anders sein. Du hast ein gemeinsames Ziel, und das ist, gegen Unterdrückung zu kämpfen. Danach wird das Leben ein anderes sein. Nun müssen die Syrer sich ausdrücken, sich artikulieren. Sie konnten das nicht tun für viele Jahre. Gut möglich, dass nicht alles gut wird, nach dem Sturz des Assad Regimes. Aber es kann nicht schlimmer sein, als dieses Regime.

Interview: Lennart Lehmann

© Qantara.de 2012

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de