Keine Mittelmeer-Union der Vorbedingungen
"Wir sind keine Hunde, denen man einen Knochen hinwirft!" Mit diesen harschen Worten wandte sich jüngst Libyens Revolutionsführer Muammar Gaddafi gegen eine arabische Teilnahme an der Mittelmeer-Union. Welche Einwände hat Libyen und inwiefern könnte die Union den Maghrebstaaten auch Vorteile bieten? Fragen an Isabelle Werenfels von der Stiftung Wissenschaft und Politik
Libyen hat die arabischen Länder aufgefordert, der von Frankreich geplanten Mittelmeer-Union nicht beizutreten. Könnte man diese Äußerung als Dämpfer für Sarkozys Pläne einschätzen?
Isabelle Werenfels: Inzwischen sind es ja nicht mehr Sarkozys Pläne, sondern die Initiative heißt offiziell "Barcelona Prozess: Union für das Mittelmeer" und ist seit Mitte März ein gesamt-europäisches Projekt. Letztlich handelt es sich um die Fortführung des Barcelonaprozesses mit neuen institutionellen Strukturen, auch mit neuen Impulsen. Als es noch allein das Sarkozy-Projekt war, hat Libyen übrigens zunächst sehr positiv reagiert, was sich sehr viele Beobachter damit erklärt haben, dass das ursprüngliche Projekt mit dem Barcelonaprozess, an dem Libyen bisher nur als Beobachter teilnehmen wollte, nichts zu tun hatte. Es sollte eine "Union der Projekte" werden und keinerlei konditionierende Rahmenbedingungen haben.
Dass Libyen nun einer Neuauflage des Barcelona-Prozesses ablehnend gegenübersteht, stellt für mich keine Überraschung dar. Natürlich ist es ein Dämpfer für Sarkozy, dass Muammar Qaddafi voraussichtlich nicht zum Gipfel der Union für das Mittelmeer am 13.Juli in Paris kommen wird, zumal Abdelaziz Bouteflikas Zusage ebenfalls noch ungewiss ist.
Welche Vorteile bietet denn die Mittelmeer-Union für die südlichen und östlichen Mittelmeeranrainerstaaten? Und warum werden sie dann von Gadaffi als eine Art Beleidigung empfunden?
Werenfels: Es ist nicht immer einfach, Herrn Qaddafis Schlüsse nachzuvollziehen, aber in einem Punkt hat er recht: Dieser Prozess ist bislang in erster Linie von der EU gesteuert worden. Als die EU an ihrem Gipfel im März beschloss, den Barcelona-Prozess unter einem neuen Namen neu zu lancieren, waren die südlichen Mittelmeeranrainer weder präsent, noch zuvor konsultiert worden. Allerdings soll in der Union für das Mittelmeer das Nord-Süd Ungleichgewicht verringert werden, unter anderem durch eine doppelte Nord-Süd-Präsidentschaft.
Gaddafi stört sich aber auch an der Präsenz Israels in der Mittelmeerunion. Grundsätzlich bietet die Union für das Mittelmeer aber gerade diesbezüglich Vorteile gegenüber dem bestehenden Prozess. Es gibt im Rahmen der Union für das Mittelmeer die Möglichkeit, in Projekten zu kooperieren, an denen eben nicht alle Mittelmeeranrainer beteiligt sind, bei denen also Israel nicht automatisch dabei sein muss – das heißt, man kann den Nahost-Konflikt ein bisschen umschiffen.
Es ist gut vorstellbar, dass die maghrebinischen Staaten vermehrt mit der EU oder auch nur einzelnen Staaten kooperieren. Bislang war dies vorwiegend im 5+5 Format, an dem nur die westlichen Mittelmeeranrainerstaaten beteiligt sind, der Fall. Es zeichnen sich übrigens auch Projekte, etwa im Bereich erneuerbare Energien und insbesondere Solarenergie ab, die gerade Libyen interessieren müssten. Aber natürlich ist es verständlich, dass die südlichen Mittelmeeranrainer zu Recht sagen, eigentlich ist der Nahost-Konflikt das Kernproblem für der Kooperation gewesen, dieser Konflikt muss gelöst werden. – Nur, wenn man wartet bis dieser Konflikt gelöst wird, um die Kooperation zwischen Europa und seinen arabischen Nachbarstaaten zu intensivieren, dann kann das natürlich sehr lange dauern.
Welche Vorteile versprechen sich die europäischen Staaten von der Mittelmeerunion?
Werenfels: Letztlich verhält sich das nicht anders als beim Barcelona-Prozess. Die EU möchte stabile, prosperierende und natürlich auch demokratische Nachbarn haben – primär aus europäischem Sicherheitsinteresse. Die EU erhofft sich dadurch auch, dass die Kooperation, die bisher im Rahmen des Barcelona-Prozesses für viele europäische Staaten genauso wie für viele südliche Mittelmeeranrainer eher enttäuschend war, jetzt intensiviert wird. Zum Beispiel, indem man durch Projekte Schwerpunkte setzt – vor allem durch Projekte, die nicht politisch sind. Ich glaube, das ist vorteilhaft für die südlichen Mittelmeeranrainer, weil diese Projekte in keiner Form konditioniert sind. Das heißt, man kooperiert in technischen Bereichen, und die politisch heiklen Sachen werden letztlich außen vor gelassen.
Das Interview führte Lina Hoffmann
© DEUTSCHE WELLE 2008
Isabelle Werenfels arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Naher Osten und Afrika der Stiftung Wissenschaft und Politik.