Schutztruppe statt Waffenlieferungen
Nach Frankreich und Großbritannien will jetzt auch Deutschland Waffen an die kurdischen Peschmerga im Nordirak liefern, damit diese die Zivilbevölkerung gegen weitere Vertreibung und Ermordung durch die Terrormilizen des "Islamischen Staat" (IS) schützen. Doch ist die Lieferung von Waffen das geeignete Mittel, um dieses Ziel zu erreichen?
In der Geschichte der internationalen Konflikte seit Ende des Zweiten Weltkrieges gibt es hierfür kein erfolgreiches Beispiel. Hingegen jedoch zahlreiche Fälle, in denen gelieferte Waffen von den unmittelbaren oder mittelbaren Empfängern zur Führung von Kriegen, Völkermord, Vertreibung, gewaltsamer Unterdrückung und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen genutzt wurden.
Um die von den IS-Milizen an Leib und Leben bedrohten Menschen verlässlich zu schützen und den schon über 500.000 Vertriebenen und Flüchtlingen die sichere Rückkehr in ihre Heimatorte zu ermöglichen, müssten die kurdischen Peschmerga die inzwischen von der IS kontrollierten Städte und Regionen zurückerobern. Dafür bräuchten sie Waffen und militärische Logistik, die den hochmodernen, überwiegend aus US-amerikanischen Rüstungsschmieden stammenden Waffen der IS überlegen sind. Doch das steht weder in Berlin, noch in Paris und London auf der Tagesordnung.
Drohender Stellungskrieg
Über die Art von Waffen, die die Peschemerga bereits aus Frankreich und Großbritannien erhalten haben und nun auch aus Deutschland bekommen sollen, verfügen die IS-Milizen längst. Auch über Milan-Raketen, deren Lieferung die Bundesregierung erwägt, damit die Kurden die Panzer der IS angreifen können. Es droht ein möglicherweise monatelanger Stellungs- und Abnutzungskrieg mit vielen Toten und Verwundeten auf beiden Seiten (wobei die IS-Milizen wahrscheinlich das größere Reservoir an entschlossenen Kämpfern haben) sowie fortgesetzte Übergriffe der IS gegen die Zivilbevölkerung.
Deren effektiver Schutz ließe sich nur gewährleisten durch eine robust ausgerüstete und mit einem robusten Mandat versehene UN-Truppe – möglichst mit Beteiligung von Soldaten aller fünf Vetomächte des Sicherheitsrates (USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien). Doch vor dieser konsequenten Forderung nach einer derartigen Schutztruppe schrecken bislang nicht nur die Befürworter von Waffenlieferungen in der Bundesregierung zurück, sondern auch (ehemalige) Pazifisten, die sich – wie zum Beispiel Cap-Anamur-Gründer Rupert Neudeck – jetzt für die Bewaffnung der Kurden aussprachen.
Und dies, obwohl die Befürworter genau wissen, dass kein anderes Land und keine andere Region der Welt in den letzten 50 Jahren so sehr durch Waffenlieferungen verheert und destabilisiert wurde wie der Irak und die angrenzenden Regionen.
Ab 1979 rüsteten die BRD sowie andere NATO-Staaten und die Sowjetunion gemeinsam den Diktator Saddam Hussein auf für seinen achtjährigen Golfkrieg gegen den islamischen Iran. Deutschland lieferte Bagdad damals Produktionsanlagen, das technische Know-How und die Grundsubstanzen zur Herstellung von Chemiewaffen, die von Saddam Hussein dann nicht nur mit logistischer Unterstützung der USA mit verheerenden Folgen gegen den Iran eingesetzt wurden, sondern 1988 auch gegen die Kurden im Nordirak.
Politik der Destabilisierung
1990 überfiel der Irak mit Hilfe der von Ost und West gelieferten Waffen Kuwait. Nach dem Zweiten Golfkrieg im Jahr 1991 wurden die bis heute miteinander konkurrierenden kurdischen Gruppen im Nordirak aufgerüstet. Und nach dem Dritten Golfkrieg 2003 folgte zunächst die wechselseitige Aufrüstung sunnitischer und schiitischer Milizen durch die US-Besatzer zwecks gegenseitiger Vernichtung der "Terroristen" und schließlich die Aufrüstung der irakischen Armee. Aus deren Arsenalen voller hochmoderner US-Waffen bediente sich wiederum die ISIS. Viele Millionen Menschen sind dieser Politik der Destabilisierung durch Waffenlieferung bereits zum Opfer gefallen.
Es steht zu befürchten, dass auch die Waffen, die jetzt an die irakischen Kurden geliefert werden, für den Kampf gegen den IS schon bald zu anderen Zwecken eingesetzt werden. Etwa in den schwelenden Konflikten zwischen der kurdischen Autonomieregierung mit der Zentralregierung in Bagdad. Auch die Milan-Raketen eignen sich nicht nur für die von der Bundesregierung als "defensiv" gerechtfertigte Bekämpfung von Panzern der IS, sondern auch zur Zerstörung anderer Ziele im Rahmen von militärischen Angriffshandlungen.
Der Schutz der irakischen Zivilbevölkerung vor den IS-Milizen durch eine UN-Truppe ist aber nur die unmittelbare Priorität. Wer die IS schwächen und nachhaltig aus dem Irak und aus Syrien vertreiben will, muss deren finanzielle und militärische Unterstützung aus dem Ausland unterbinden und den politisch-sozialen und ideologischen Nährboden austrocknen, auf dem die IS ihren Nachwuchs rekrutiert.
Die größte finanzielle Unterstützung für die IS und für andere, zum Teil zum Al-Qaida-Netzwerk gehörenden islamistischen Milizen im Nahen Osten und Nordafrika kam bislang aus den mit dem Westen verbündeten Staaten Saudi-Arabien und Qatar.
Der NATO-Partner Türkei ermöglicht(e) über sein Territorium den Nachschub von Waffen und Kämpfern für den IS, damit diese die Kurden diesseits und jenseits der der türkischen Grenzen mit Syrien und dem Irak bekämpfen.
Solange der Westen diese Verbündeten nicht dazu bewegt, jegliche direkte wie indirekte Unterstützung für den IS und für andere islamistische Milizen einzustellen, werden diese Gruppierungen eine Bedrohung bleiben.
Andreas Zumach
© Qantara.de 2014
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de