Deutsch-iranische Kulturbeziehungen: Mehr als kolonial geprägte Orientalistik
Orientalistik ist nach der Definition des amerikanischen Literaturtheoretikers Edward Said eine Wissenschaft, die die Kolonialisierung des Orients legitimiert. Ihr Kern sei die Vorstellung eines zivilisierten Westens und eines primitiven, wilden Orients.
Die eurozentrische Orientalistik der damaligen Kolonialmacht Frankreich war die erste dieser Wissenschaften, die Kolonialismus rechtfertigt hat. In den Werken des Diplomaten und Schriftstellers Arthur de Gobineau (1816 -1882) werden „die Iraner“ pauschal als Unzivilisierte dargestellt. Gobineau beschreibt die Kolonialisierung als Ausweg aus ihrer „Misere“.
Der Iran versuchte derweil, zwischen den damaligen Kolonialmächten – dem zaristischen Russland im Norden und Großbritannien im Süden – mühsam ein unabhängiges Dasein anzustreben. Dabei entstand eine intellektuelle Bewegung, die unter der Fragestellung „Warum hinken wir hinterher?“ versuchte, das konservative, streng islamische Land in Richtung Fortschritt zu lotsen. Ihr fehlte es allerdings am notwendigen Selbstbewusstsein.
Die deutsche Irankunde
Die Anfänge der deutschen Irankunde führen zurück bis ins 18. Jahrhundert. Das philologische Interesse an den indo-europäischen Sprachen war zentral für die Auseinandersetzung mit iranischer Geschichte und Kultur. Es gab außerdem Interesse an archäologischen und kunstgeschichtlichen Forschungen.
Auch der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 - 1831) interessierte sich für den Iran. Er verknüpfte das Wesen einer Zivilisation mit dem Schicksal ihrer Machthaber und suchte den Ursprung der Regierungsführung im altiranischen Reich. In seiner Deutung der menschlichen Geschichte setzte er die Iraner ins Zentrum der Zivilisation: Mit dem persischen Reich trete man überhaupt erst in die Geschichte ein. Die Perser seien das erste historische Volk und Persien so gesehen das erste große Reich der Menschheitsgeschichte.
In den Augen vieler iranischer Intellektueller legt Hegel damit die theoretischen Fundamente einer „iranophilen“ Iranistik, die dem Nationalstolz der Iraner und ihrem Wunsch nach Fortschritt Rechnung trägt.
Die deutschen Iranisten und Islamwissenschaftler nach dem 18. Jahrhundert bis zu ihren letzten berühmten Vertretern im 20. Jahrhundert – etwa Annemarie Schimmel – betrachteten den Iran nicht herablassend wie die meisten ihrer französischen oder britischen Kollegen. Im Gegenteil: Sie animierten die Iraner zum Fortschritt und erinnerten sie an ihre „glorreiche“ und „goldene“ Vergangenheit.
Annemarie Schimmel (1922 – 2003) verehrt in ihrer Doktorarbeit „Studien zum Begriff der mystischen Liebe in der frühislamischen Mystik“ die iranische Zivilisation und beschreibt sie als Basis des islamischen Sufismus. Sie bedauert zugleich, dass sich die Iraner von dieser Zivilisation entfernt hätten. Die Islamwissenschaftlerin sucht dann in den Werken des pakistanischen Denkers Muhammad Iqbal (1877 – 1938) nach Gründen für die Rückständigkeit des Orients.
Es ist nicht weit hergeholt, zu behaupten, dass der sich auf das alte persische Reich stützende iranische Nationalismus seine Wurzeln nicht nur in den Diskursen innerhalb des Landes hat, sondern zu einem erheblichen Teil von den Werken deutscher Iranisten und Islamwissenschaftler beeinflusst wurde.
Viele deutsche Orientalisten des 19. Jahrhunderts suchten die Zivilisation – im Gegensatz zur damals führenden britischen und französischen Orientalistik – nicht ausschließlich in den Tempeln von Athen und hielten die außereuropäische Welt nicht für barbarisch. Philosophen und Kulturschaffende wie etwa Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Hölderlin, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Friedrich Nietzsche und Arthur Schopenhauer gaben sich nicht mit dem antiken Griechenland als Quelle der modernen Zivilisation zufrieden, sondern beschäftigten sich respektvoll mit dem Orient.
Unter ihnen ist Friedrich Nietzsche (1844 – 1900) bei den Iranern am bekanntesten, weil er sich in seinem Werk „Also sprach Zarathustra“ auch mit dem altiranischen Religionsstifter Zarathustra befasst hat und damit dessen Bewegung außerhalb der iranischen Grenzen ein geistiges Denkmal setzte.
Gegenseitiger Austausch
Bis zum 18. Jahrhundert wurde Europa im Iran mit dem „Land der Franken“ (Farang oder Farangestan) assoziiert. Iraner, die sich seit Anfang des 19. Jahrhunderts vom Joch der beiden Kolonialmächte Russland und Großbritannien zu befreien versuchten, begrüßten die Gründung des Deutschen Reiches 1871 als einer neuen europäischen Macht, die ihren iranischen Interessen dienen könnte.[embed:render:embedded:node:38688]
Die Bemühungen der Iraner um eine neue Staats- und Rechtsordnung fingen etwa 1828 an, nach der militärischen Niederlage des Landes gegen das zaristische Russland, in deren Folge der Iran 17 Städte in der Kaukasus-Region an Russland abtreten musste. Nach knapp 80 Jahren voller Höhen und Tiefen brachten die westlich orientierten Kräfte des Landes, inspiriert von der Französischen Revolution, 1906 die sog. Konstitutionelle Revolution zustande, die ein parlamentarisches Regierungssystem und eine moderne Rechtsordnung anstrebte. Das eingeführte erste Parlament des Landes war jedoch nur von kurzer Dauer. Denn Schah Mohammad Ali Qajar löste 1808 mit Unterstützung der Russen das Parlament gewaltsam auf und setzte die neue Verfassung außer Kraft. Das politische Tauziehen zwischen den Revolutionären und ihren Gegnern hielt an, doch der Aufbau eines stabilen parlamentarischen Systems gelang erst nach dem Ersten Weltkrieg.
Die Pro-Deutschland-Bewegung, eine der wichtigsten Strömungen unter den fortschrittlichen Kräften im Iran, entstand kurz vor dem Ersten Weltkrieg als Widerstandsbewegung gegen Russland und Großbritannien. Nach der Besetzung der Hauptstadt Teheran durch die Russen setzten sich die pro-deutschen Kräfte in die westiranische Stadt Kermanschah ab und gründeten eine dort Exilregierung. Nachdem sie auch aus Kermanschah vertrieben wurden, zogen sie erst nach Istanbul und später nach Berlin weiter.
In Berlin kam damit eine Gruppe iranischer Intellektueller zusammen, deren Ansichten und Werke die Grundlagen der iranischen Modernität von 1925 bis 1979 prägten.
Auch nach der Islamischen Revolution von 1979 blieb Deutschland für die Iraner eine vertrauenswürdige europäische Macht, die einerseits das islamische System aus der internationalen Isolation zu befreien versuchte und andererseits dessen Gegner als politische Flüchtlinge aufnahm. Deutschland und Iran sind kulturell und historisch enger verbunden als man gemeinhin annimmt.
Peyman Aref
Übertragen aus dem Persischen von Iman Aslani