Eine unendliche Geschichte der Feindschaft?
Die heftigen Proteste im Iran gegen die Erhöhung der Spritpreise sind noch jung. Doch erste Reaktionen des Regimes ließen bereits erahnen, wer für die Proteste verantwortlich gemacht werden sollte. So beschuldigte Ali Khamenei umgehend das Ausland für die Proteste und angebliche Sabotageakte. Solche Vorwürfe sind jedoch alles andere als neu. Insbesondere die USA werden seit jeher vom iranischen Regime beschuldigt, dem Land gegenüber feindlich eingestellt zu sein.
Anfang des Monats beschwor Ali Khamenei, Oberster Führer der Islamischen Republik, die jahrzehntelange Feindschaft der USA gegen Iran in einer Ansprache zum 40. Jahrestag der Geiselnahme von Teheran. Bereits seit 1953, dem Jahr des Sturzes des iranischen Premierministers Mohammad Mossadegh mit tatkräftiger Unterstützung des CIA, hege Amerika feindliche Absichten gegenüber dem iranischen Volk. Auch heute noch würden die USA dieselbe Politik der Aggression unvermindert fortführen. Verhandlungen mit dem Feind seien daher nach wie vor nutzlos, so Khamenei in seiner Ansprache.
Die Mär vom "Regime Change"
Auch wenn viele westliche Experten der These Khameneis von der amerikanischen Feindschaft gegen Iran zustimmen, belegt ein Blick auf die jüngste Krise im Mittleren Osten, wie irreführend diese Behauptung doch ist. Gerade unter Trump besitzt "Regime Change", also die vielbeschworene Abwicklung des iranischen Regimes, keine Priorität in der amerikanischen Außenpolitik.
Dass Khamenei und seine Gefolgsleute dennoch nicht müde werden, die US-Feindschaft gegen ihr Regime zu bemühen, liegt weniger an der faktischen Korrektheit der These als am erstrebten Machterhalt der iranischen Elite.
Auf den ersten Blick scheint die These von der US-Feindschaft plausibel. Obwohl die Internationale Atomenergiebehörde keine iranischen Verstöße gegen das 2015 abgeschlossene Atomabkommen attestiert hatte, verließ die Trump-Regierung den Deal im Mai letzten Jahres. Seitdem sieht sich das iranische Regime mit einer Politik des "maximalen Drucks" konfrontiert, deren erklärtes Ziel es ist, die Öleinnahmen Irans komplett versiegen zu lassen.
Die Trump-Regierung, allen voran Außenminister Mike Pompeo, hätte sicher nichts gegen das unwahrscheinliche Szenario, die Islamische Republik im Zuge des Sanktionsdrucks implodieren zu sehen. Dies mit militärischen Mitteln zu beschleunigen, ist jedoch kein Element der Trumpschen Iran-Politik.
Irans Strategie des "maximalen Widerstands"
Selbst als die Islamische Republik in den vergangenen Monaten kräftig an der Eskalationsspirale drehte – man denke an die Verminung und das Festsetzen einiger Öltanker im Persischen Golf, den Abschuss einer US-Drohne und den Angriff auf saudischen Aramco-Ölanlagen – befahl Trump zwar eine Cyberattacke auf eine iranische Datenbank mit militärischen Zielen, hielt sich ansonsten jedoch merklich zurück.
Die iranische Offensivstrategie mit ihren Provokations- und Sabotage-Akten wäre gar nicht denkbar, falls Teheran wirklich von einer "Regime-Change"-Politik Washingtons überzeugt wäre. Irans Strategie des "maximalen Widerstands" ist genauso ausgestaltet, dass Trump keine militärische Konfrontation sucht.
Trump betont, die iranische Führung wieder an den Verhandlungstisch bringen zu wollen. So unwahrscheinlich die Perspektive gegenwärtig auch sein mag, Trump schielt auf einen neuen Deal, ein Gipfeltreffen mit der iranischen Führung, deren innerstaatliche Repressionen und Menschenrechtsverletzungen ihn nicht sonderlich stören.
Auch wenn die militärische Zurückhaltung Trumps kaum etwas am Glaubenssatz vieler europäischer Politiker und Analysten geändert hat, wonach Washington auch weiterhin einen "Regime Change" in Iran verfolgt, sitzen heute - im Gegensatz zur Präsidentschaft von George W. Bush - keine neokonservativen Ideologen an den Schaltstellen der Macht. Auch hat Amerika die Lust an kostspieligen Interventionen zur angeblichen Demokratisierung des Mittleren Ostens verloren - in einer Region, in der Iran nicht zuletzt wegen des Irak-Kriegs über ungemein mehr Macht und damit Destabilisierungspotenzial verfügt als noch zu Bush-Zeiten.
Das Narrativ der Feindschaft beschwören
Gerade wegen des Gesprächsangebots aus Washington bemühen sich Khamenei und sein Machtzirkel, das Narrativ der jahrzehntelangen Feindschaft zwischen Amerika und Iran aufrechtzuerhalten.
Khamenei wies bereits den iranischen Ex-Präsidenten Mohammad Khatami darauf hin, dass das iranische Regime die Feindschaft gegen Amerika zum Machterhalt brauche. Dies ist sowohl ideologisch als auch machtpolitisch begründet. Ideologisch, da das Weltbild des Achtzigjährigen von Anti-Amerikanismus geprägt ist. Machtpolitisch, da Khamenei die Lorbeeren einer möglichen Übereinkunft mit den USA nicht Präsident Rohani überlassen möchte, der mit ihr sein innenpolitisches Gewicht inmitten des andauernden Machtkampfes um die Nachfolge Khameneis stärken würde.
In diesem Sinne hat Rohani am 12. November erklärt, dass am Rande der UN-Generalversammlung Mitte September "einige gute Vorschläge" auf dem Tisch lagen, um die US-Sanktionen aufzuheben. Nur habe "Iran sich entschieden, diese nicht zu akzeptieren" – eine implizite Kritik an Khamenei, der auch damals jedwede Verhandlungen mit Amerika ausschloss.
All dies heißt nicht, dass Khamenei und sein Umfeld – wie am Vorabend des Verhandlungprozesses, der zum Atomdeal führte – geheimen Gesprächen mit den USA abgeneigt wären, wenn diese dem Überleben des Regimes dienten. Doch so lange eine Öffnung gegenüber dem Westen die wirtschaftliche Dominanz der Hardliner um Khamenei und die Revolutionsgarden in Gefahr bringen und gleichzeitig die innerstaatlichen Gegner im komplizierten Machtgefüge des Regimes stärken würde, nährt Khamenei das Feindbild Amerika.
Indes ist in der iranischen Gesellschaft die Wirkungskraft der anti-amerikanischen Regime-Rhetorik merklich verblasst. So fragen sich viele Iraner, wieso das Regime Verhandlungen mit den USA ablehnt, obwohl diese unabdingbar für die Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse sind.
Der Feind steht zuhause
Ein spektakuläres Beispiel ist ein Slogan, den man bei den Protesten in jüngster Vergangenheit immer wieder hörte: "Sie (die Machthaber) sagen immerzu, Amerika wäre der Feind, doch dieser steht zuhause." Die nun neuerlich ausgebrochenen Proteste untermauern den Eindruck, dass die Bevölkerung in erster Linie die eigene Führung verantwortlich macht.
Gewiss, die Irak- und Afghanistan-Kriege sowie die US-amerikanische Unterstützung iranfeindlicher Kräfte in der Region, insbesondere Saudi-Arabien und Israel, haben in Teheran für große Skepsis bezüglich der Absichten Amerikas gesorgt. Eine nüchterne Analyse zeigt jedoch, dass Trump keine "Regime-Change"-Ambitionen hegt und wenig Interesse an einer Demokratisierung Irans zeigt.
Dass Gespräche mit dem iranischen Regime in der gegenwärtigen Lage dennoch unwahrscheinlich sind, liegt nicht zuletzt am Kalkül Khameneis, das Narrativ der amerikanischen Feindschaft am Leben zu halten. Dies zu erkennen, wäre auch in Europa ein erster Schritt zur Unterstützung der Konfliktbeilegung.
Payam Ghalehdar & Ali Fathollah-Nejad
© Qantara.de 2019
Dr. Payam Ghalehdar war bis Juni 2019 wissenschaftlicher Mitarbeiter im International Security Program der Harvard Kennedy School. Er ist Experte für US-Außenpolitik und untersucht militärische Interventionen.
Dr. Ali Fathollah-Nejad ist seit Herbst 2017 Wissenschaftler an der Brookings Institution in Doha. Zuvor war er Iran-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik sowie Postdoktorand im Iran-Projekt der Harvard Kennedy School.