Ein Mangel an Vertrauen
Ein Brief des britischen Ministers Eric Pickles und Lord Ahmad von Wimbledon an 1.000 britische Moscheen hat eine hitzige Debatte ausgelöst. In diesem Schreiben werden die Moscheegemeinden dazu aufgefordert, gegen Extremismus vorzugehen und aufzuzeigen, wie "der Glaube im Islam ein Teil der britischen Identität sein kann".
Zu den Kritikern des Briefes gehört der stellvertretende Generalsekretär des Rates der britischen Muslime (MCB), der fragte: "Deutet Herr Pickles ernsthaft an, so wie es die extremen Rechten tun, dass Muslime grundsätzlich außerhalb der britischen Gesellschaft stehen?"
Als die Debatte bereits einige Tage andauerte, meldete sich Baroness Sayeeda Warsi, die höchstrangige muslimische Politikerin der regierenden Konservativen, zu Wort. Für die negativen Reaktionen auf den Brief machte sie die wiederholten Versäumnisse der Regierungskoalition verantwortlich, sich mit einem breiten Spektrum von Muslimen auseinanderzusetzen. Baroness Warsi, ehemals stellvertretende Vorsitzende der britischen konservativen Partei, Staatsministerin im Außenministerium und zuständig für Kommunen und lokale Verwaltung im Verwaltungsministerium, gab diese Ämter im August 2014 ab, um gegen die "moralisch unvertretbare" Haltung der Regierung im Gazakonflikt zu protestieren.
In ihrem am 25. Januar in der Zeitung The Observer erschienenen Artikel schreibt sie, dass der Brief zwar "einige positive Elemente" enthalte, das Timing jedoch schlecht gewählt gewesen sei. Außerdem habe es "als die Regierung ihre Hand in Freundschaft ausgestreckt hatte, keine Antwort von der Gegenseite" gegeben. "Ein Brief aus heiterem Himmel, an eine Moschee, die unter Umständen mit einer Organisation wie dem MCB verbunden ist – mit der die Regierung keine formellen Kontakte haben will – schafft ein Klima, in dem selbst eine mit den besten Absichten unternommene Korrespondenz Schaden anrichten kann."
Antwort auf die jüngste Attentate
Der Brief war eine Reaktion auf die Tötung von 17 Menschen durch islamistische Terroristen bei den Angriffen auf die Redaktion der Zeitschrift "Charlie Hebdo" und einen jüdischen Supermarkt in Paris. "Wir sind stolz auf die Reaktion der britischen Gemeinden auf diese Attacke", heißt es in dem Brief. "Muslime aus ganz Großbritannien haben ihre Stimme erhoben, um zu sagen: 'Nicht in unserem Namen!'"
Es sei noch viel zu tun, heißt es weiter in dem Schreiben. "Den jungen Menschen, die in Gefahr sind, in den Terrorismus abzugleiten, müssen wir zeigen, dass die Extremisten ihnen nichts anzubieten haben." Zugleich aber wird in dem Schreiben konstatiert, dass "britische Werte auch muslimische Werte sind" und dass "es mehr als jemals geboten ist, darzustellen, was es heute bedeutet, ein Muslim zu sein: stolz zu sein auf seinen Glauben und auf sein Land."
Angesichts der zunehmenden islamfeindlichen Angriffe sichern Pickles und Lord Ahmad den Moscheen ihre Unterstützung zu und verurteilen rechtsgerichtete anti-islamische Gruppen: "Der Hass, der von den Rowdys der rechten Parteien English Defence League und British First vertreten wird, ist ein ebensolcher Affront gegen die britischen Werte wie es die Lehren der Hassprediger sind."
Abgeschickt wurde der Brief zu einem Zeitpunkt, als die Regierung, die Polizei und die Sicherheitsbehörden wiederholt davor warnten, dass eine größere Terrorattacke in Großbritannien "nahezu unausweichlich" sei.
Das Terrorwarnniveau wurde bereits im letzten August auf die zweithöchste Stufe hochgestuft – als Reaktion auf die militärischen Erfolge des "Islamischen Staates". Mindestens 600 männliche und weibliche Dschihadisten sollen sich von Großbritannien aus nach Irak und Syrien aufgemacht haben, ungefähr die Hälfte von ihnen sei bereits zurückgekehrt. Über das Internet, die sozialen Medien und Videos drängen einige Briten innerhalb des "Islamischen Staates" Landsleute dazu, sich ebenfalls anzuschließen oder Terrorattacken in Großbritannien durchzuführen.
Radikalisierung im Internet wahrscheinlicher als in Moscheen
Es scheint jedoch so, als ob die Extremisten immer weniger durch die Moscheen radikalisiert würden. Der ehemalige Großrabbiner Jonathan Sacks meint, dass der Brief den Anschein erwecke, die muslimische Gemeinde im Königreich könne radikale Extremisten in Schach halten. Dabei sei der "Islamismus, wie alle globalen politischen Bewegungen heute vielmehr ein globales, über das Internet verbreitetes Phänomen, weitergegeben über die sozialen Medien. Und deshalb wäre ich nicht überrascht, würde die muslimische Gemeinde sagen: 'Ihr verlangt von uns etwas, das gar nicht in unserer Macht liegt.'"
Nach Ansicht des Sprechers der Moschee von East London, Salman Farsi, schürt Pickels' Brief Ressentiments. "Das Problem ist, dass die Menschen, um die es in diesem Brief geht, also vor allem die Extremisten, in unsere öffentlichen Institutionen gar nicht kommen. Sie werden im Internet und anderswo radikalisiert."
In einem Brief an Pickles und Lord Ahmad stimmt Dr. Shuja Shafi, Generalsekretär des MCB, den beiden prinzipiell darin zu, dass britische Werte auch islamische Werte seien. Aber "uns stört die Andeutung, dass Extremismus einen Platz in unsren Moscheen habe und dass Muslime nicht genug getan hätten, um den Terrorismus, der in unserem Namen existiert, zu bekämpfen."
Der MCB wies jede Behauptung von sich, dass Muslime und der Islam der britischen Gesellschaft vom Wesen her fremd seien, ebenso wie der Hinweis, dass "wir Muslime uns anstrengen müssten, um unsere Loyalität gegenüber unserem eigenen Land zu beweisen."
Premierminister David Cameron verteidigte den Brief dennoch vehement: "Offen gestanden denke ich, dass jeder, der diesen Brief problematisch findet, selbst ein Problem hat. Ich halte ihn für den vernünftigsten, verständnisvollsten und moderatesten Brief, den Pickels überhaupt hätte schreiben können."
Ein breites Spektrum muslimischer Gruppen ansprechen
Die Entscheidung der Koalitionsregierung, mit bestimmten muslimischen Gruppen keinen Dialog zu führen, hängt mit der "Prevent"-Strategie zusammen, die 2007 noch unter der Labour-Regierung entwickelt wurde, um den gewaltsamen Extremismus zu bekämpfen. Die konservative Innenministerin Theresa May präsentierte 2011 eine überarbeite "Prevent"-Strategie, mit der der Rat der britischen Muslime (MCB), eine Dachorganisation von mehr als 500 Moscheen, Schulen und Wohltätigkeitsorganisationen, vom Dialog mit der Regierung ausgeschlossen wurde.
Baroness Warsi betrachtet diesen Ausschluss des MCB als Fehlentscheidung. In ihrem Artikel im Observer schreibt sie: "Ich halte es nicht für richtig, dass sich die Regierung großen Teilen einer Gemeinde verschließt." Im Gegensatz zu ihren früheren Kabinettskollegen sah sie den MCB nie als extremistisch oder gefährlich an. Dabei erkennt sie durchaus auch die Probleme innerhalb des MCB, wenn sie sagt, dass der Rat "noch immer von einem Vorstand vertreten wird, der sich der wirklichen Bedürfnisse großer Teile der muslimischen Gemeinden in Großbritannien kaum bewusst ist."
Laut Warsi habe der Ansatz der Regierung in den vergangenen vier Jahren darin bestanden, "immer größere Teile muslimischer Organisationen oder einzelner Aktivisten unter Verdacht zu stellen und ihre Gesprächsbereitschaft gegenüber den Muslimen auf einen kleinen Kreis von Personen zu beschränken - und das angesichts einer Gemeinde von mehr als drei Millionen Muslimen."
Schließlich fügt Baroness Warsi noch hinzu: "Im Januar 2011 habe ich bereits davor gewarnt, dass anti-muslimische Ressentiments auf eine immer größere soziale Akzeptanz stoßen. Seitdem beobachten wir, dass anti-muslimische Ressentiments und islamophobe Gewalttaten zunehmen. Und doch spiegeln sich die Anliegen, Sorgen und Ängste der britischen Muslime in keiner wichtigen Regierungsrede wider. Aus diesem Grund kann das fehlende Vertrauen ebenso wenig überraschen, wie das Infragestellen der Motive, die hinter einem Brief stecken, sei dieser auch in noch so aufrichtiger Absicht verfasst worden. Zu viele Menschen erkennen in dieser freundschaftlich gemeinten Geste doch nur den warnenden Zeigefinger, der auf die britischen Muslime gerichtet ist."
Susannah Tarbush
© Qantara.de 2015
Übersetzung aus dem Englischen von Daniel Kiecol