Die gälische Lesart des Koran
Bei so vielen bohrenden Fragen einiger unnachgiebiger Journalisten wirkt Leslie Carter schon fast hilflos: "Warum machen Sie sich eigentlich so viel Mühe und übersetzen den Koran nicht gleich aus dem Englischen ins Gälische?" oder: "Wozu der riesengroße Übersetzungsaufwand, wo doch alle Iren den Koran auch auf Englisch lesen können?"
Die 33jährige Mitarbeiterin am "Islamischen Kulturzentrum" in Dublin ist eine der Initiatoren des Projekts, den Koran in die irische Sprache zu übersetzen. Natürlich wäre es einfacher und weniger zeitaufwändig, auf die englische Fassung des Korans zurückzugreifen, erklärt sie: "Aber wenn wir den Umweg von einer Übersetzung zur nächsten machen, leidet der Wahrheitsgehalt darunter. So treten sprachliche Ungenauigkeiten auf, die den wirklichen Inhalt verzerren können. Um das zu vermeiden, ist eine direkte Übersetzung aus dem Arabischen ins Irische absolut notwendig."
Zwar wird das Gälische heute nur noch von rund 100.000 Iren fließend gesprochen, obwohl die Sprache noch immer zum Pflichtfach an irischen Schulen erhoben wird. Aber wieso sollte dieser Gälisch sprechenden Minderheit nicht die Chance eröffnet werden, sich mit dem heiligen Buch des Islam in ihrer eigenen Sprache auseinanderzusetzen, fragt Carter.
Kulturelle Brücken bauen
Und die Nachfrage nach einer gälischen Version des Korans ist bereits jetzt gewaltig, obwohl sich das Vorhaben in der Anfangsphase befindet. Denn noch hat sich kein wirklich geeigneter Übersetzer gefunden, der sowohl des Hocharabischen als auch des Gälischen mächtig ist, um sich dieser schweren Aufgabe zu stellen.
Daher wird jetzt überlegt, einen erfahrenen irischen Übersetzer für längere Zeit ins arabische Ausland zu schicken, um dort Hocharabisch zu lernen.
Die Initiatoren des Projekts, zu denen neben dem Islamischen Kulturzentrum in Dublin auch "Foras na Gaeilige" – eine Organisation zur Förderung der gälischen Sprachkultur in Irland – zählt, wollen mit der Übersetzung ins Irische vor allem eines: Brücken bauen zwischen den Kulturen und die Grundlagen einer Religion vermitteln, die im überwiegend katholisch geprägten Irland immer noch unzureichend bekannt ist.
Die islamische Gemeinde des hohen Nordens
Dabei hat sich die Gesellschaft Republik Irland längst gewandelt. Seitdem sich die kleine grüne Insel vom klassischen Auswanderungs- zum Einwanderungsland entwickelt hat, ist der Anteil der Muslime an der Gesamtbevölkerung deutlich gestiegen. Waren es vor 10 Jahren noch rund 8.000 Einwanderer aus Nahost, den Maghrebstaaten, Südafrika oder Malaysia, so leben heute bereits 20.000 Muslime in Irland.
"Die meisten sind Arbeiter, aber auch Akademiker und Studenten", erklärt Leslie Carter, "es gibt hier aber auch viele Krankenschwestern und Ärzte, die aus verschiedenen Regionen der islamischen Welt kommen. Nur die zum Islam konvertierten Iren zählen hier mit rund 300 Personen noch zur Minderheit. Ich hoffe natürlich, dass sich diese Zahl in den nächsten Jahren verdoppeln wird."
Sie selbst hat ihren katholischen Glauben vor Jahren aufgegeben, als sie einen muslimischen Mann kennen lernte, den sie später heiratete.
Mit der Zunahme muslimischer Einwanderer in den 90er Jahren sind auch die islamischen Institutionen rasch gewachsen: Ob in Dublin, Belfast, Cork oder Limerick – in fast allen irischen Metropolen finden sich heute islamische Gemeinden mit Moscheen, Kulturzentren, Beratungsstellen und Schulen.
Ein islamisches Kulturzentrum als Drehscheibe der Kooperation
Eine ganz besondere Bedeutung kommt zweifellos dem Islamischen Kulturzentrum in Dublin zu. Das 1996 von der irischen Präsidentin Mary Robinson offiziell eingeweihte Zentrum, das vom Finanz- und Industrieminister der Vereinigten Arabischen Emirate, Hamdan Bin Rashid Al Maktoum, gesponsert wird, verfügt neben einer Moschee, Schulen, sozialen Beratungseinrichtungen und Konferenzräumen auch über Sport- und Fitnesszentren, ein Restaurant sowie einen Supermarkt.
In dem von irischen Architekten entworfenen Gebäudekomplex finden regelmäßig religiöse Versammlungen und Seminare, Sprachkurse, berufliche Fortbildungen und interkulturelle Veranstaltungen statt.
Bezeichnend für die gute Zusammenarbeit mit der Regierung in Dublin ist, dass die drei nach irischem Lehrplan ausgerichteten Grundschulen sowohl von Kindern muslimischer als auch irischer Eltern besucht und vom Staat finanziert werden. Derzeit besuchen dort rund 260 Schüler und Schülerinnen den Unterricht.
"Wir versuchen damit beides", sagt Carter, "nämlich die irische und die muslimische Gemeinschaft zu integrieren. Wir arbeiten zusammen, obgleich sicherlich bestimmte kulturelle Unterschiede bestehen. Die Muslime lernen hier auch, sich an die irische Lebensweise anzupassen, ohne dass dabei die Möglichkeit, ihre Religion frei auszuüben, eingeschränkt wird. So gibt es hier z.B. Englisch-Sprachkurse, die wir im Zentrum anbieten. Mit der irischen Community arbeiten wir auf verschiedensten Feldern zusammen, ob mit lokalen Hilfsorganisationen, Politikern oder auch der Polizei."
So besuchen beispielsweise junge Auszubildende der Polizei regelmäßig für mehrere Wochen das Zentrum, um dort das muslimische Leben kennen zu lernen.
Die Schatten des 11. Septembers
Doch die Anschläge vom 11. September trübten das bislang gute Verhältnis zwischen der Regierung und der Verwaltung des Kulturzentrums. Der Direktor des Zentrums, Dr. Nooh al-Kaddo, erinnert sich noch genau an die Zeit, als sich auch Irlands Muslime einem wachsenden gesellschaftlichen Druck ausgesetzt sahen:
"Das war eine kritische Zeit für uns", berichtet Kaddo, "und genau in diesem kritischen Augenblick rief der Präsident bei uns an und fragte, ob er vorbeikommen könne. Und als er dann das Zentrum betrat, fragten ihn einige Medienvertreter am Eingang, weshalb er ausgerechnet jetzt das Zentrum besuche. Daraufhin hat er gesagt: 'Es ist doch nicht das erste Mal, dass ich hierher komme! Ich habe ein ausgezeichnetes Verhältnis zu den Verantwortlichen dieses Zentrums. Und ich will damit deutlich zum Ausdruck bringen, dass es sich bei diesem Zentrum um eine Blume im irischen Garten handelt, der niemand Leid zufügen darf!' Natürlich hat uns das einen enormen Auftrieb gegeben. Und wir hatten wirklich das Gefühl, dass diese Regierung hinter uns steht", so Kaddo.
Im Gegensatz zum Nachbarland England waren Anfeindungen und gewaltsame Übergriffe gegen Muslime nach dem 11. September in Irland bisher die Ausnahme. Ein Grund hierfür dürfte mit Sicherheit das Ergebnis jahrelanger intensiver Kooperation und offenen Dialogs, statt zunehmender Abschottung und Konfrontation gewesen sein.
Arian Fariborz, Qantara.de
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