Not macht erfinderisch
Es ist so gut wie unmöglich, die roten Lettern zu übersehen. "Build Your Country" ermahnt eine libanesische Bank die Beiruter Passanten, unter anderem in dem mit WiFi-Bars übersäten Szeneviertel Gemayzeh. Hind Hobeika scheint den Ruf im voraus gehört zu haben: Bereits 2011 hat sie sich hier in eine hippe Bürogemeinschaft eingemietet, um in Gesellschaft anderer Jungentrepreneuere an der Markteinführung ihrer Erfindung zu arbeiten: einer Schwimmbrille, von der aus Elektrodenkabel zu den Schläfen des Schwimmers führen und seine Herzfrequenz messen.
Das klingt mehr nach Silicon Valley als nach einem krisengeschüttelten Levantestaat. Mit Politik hat Hind jedoch ohnehin nur wenig am Hut. Viel lieber kümmert sich die 23-Jährige aus einer wohlhabenden libanesischen Familie um ihre berufliche Zukunft und um das Schwimmen.
Bereits im Alter von zehn Jahren hatte sie passioniert ihre Runden gezogen, und war schon damals bemüht, ihre Leistung zu optimieren. Dazu aber, sagt sie, hätte sie ihren Puls während des Schwimmens messen müssen und nicht erst, wenn sie aus dem Wasser steigt.
In der TV-Arena der "Stars of Science"
Ein solches Messgerät existierte aber bislang nicht. Daher begann sie, im Zuge ihres späteren Maschinenbaustudiums, ein solches kurzerhand selbst herzustellen. Viele andere hätten es vielleicht bei diesem privaten Hobby belassen – nicht aber die ehrgeizige und quirlige Hind.
Mutig bewarb sie sich im Jahr 2010 mit einem Prototyp bei der qatarischen Fernsehshow "Stars of Science", die jungen Erfindern und Wissenschaftlern aus der arabischen Welt zum wirtschaftlichen Durchbruch verhelfen will.
Unter rund 10.000 Bewerbern schaffte sie es mit 15 weiteren in die Endausscheidung und landete schließlich im Finale, wo sie den mit 100.000 US-Dollar dotierten dritten Preis gewann.
Spätestens da stand für Hind fest, dass sie das Potential zu mehr hatte, als in einem internationalen Unternehmen zu arbeiten. Vielmehr will sie die Welt selbst erobern – und zwar vom Libanon aus, mit ihrem eigenen Unternehmen. Zu der Erkenntnis verhalf ihr freilich nicht allein der Erfolg in einer TV-Show, sondern vor allem der Umstand, dass sich Unternehmertum seit geraumer Zeit im Libanon zum Schlagwort entwickelt.
Den Ausschlag hierzu gaben die diversen, im vergangenen Jahrzehnt aufgekommenen Förderinitiativen. Allen voran das prestigeträchtige "MIT Enterprise Forum of the Pan Arab Region". Die von ehemaligen arabischen MIT-Absolventen gegründete Initiative, ließ sich 2006 in Beirut nieder, um einen jährlichen, mit 50.000 US-Dollar dotierten, überregionalen Business-Plan für Wettbewerb zu lancieren. Im Fokus stehen hier ebenso wie bei Inkubator Berytech technologische Projekte. Letzterer war bereits 2000 von Professoren der Beiruter St. Joseph Universität gegründet worden und investiert seit 2008 in Jungunternehmer mit Risikofonds.
Die bessere Alternative zum "Brain Drain"
Auch Hinds Projekt wird mit 100.000 US-Dollar unterstützt. Inhaltlich breitgefächerter sind die Projekte, die mit EU-Geldern gesponserte "Business Incubation Association in Tripoli" (BIAT) fördert. Doch gleichgültig, ob sich die Geschäftsidee um High-Tech oder Handtaschendesign kreist – wichtig ist den Initiatoren vor allem, die Talente der jungen Menschen in marktfähigen Bahnen zu lenken, sagt der Leiter von BIAT, Fawaz Hamidi – als bessere Alternative zur Abwanderung oder "Brain Drain".
Hamidi spricht damit eines der Kernprobleme des Libanon an. Das Land mit den rivalisierenden Konfessionen funktioniert fast nur über Klientelstrukturen, die kaum Kreativität, geschweige denn Unabhängigkeit zulassen. Wer dennoch versucht, sich beruflich selbst zu verwirklichen, flüchtet meist ins Ausland. Dies erklärt auch die relativ niedrige Arbeitslosenquote des Landes erklärt : 2009 lag sie, laut einer Studie der staatlichen "Central Administration of Statistics", nur bei sechs Prozent – traf allerdings vor allem die 15- bis 29-Jährigen, die die Mehrheit und theoretisch die Zukunft des vier-Millionen-Einwohner-Staates bilden.
Die 24-jährige Najwa Sahmarani hat nicht vor, in dieser Masse unterzugehen. Gemeinsam mit drei Mitstreitern arbeitet sie in Tripoli in einem Büro, das ihr die BIAT kostenlos zur Verfügung gestellt hat, am Marketing für ein neuartiges Gerät für Herzpatienten. Die Idee stammt von ihrem Kollegen Ziad Sankari.
Als dessen Vater einem Herzanfall erlag, der bei rechtzeitiger Behandlung zu verhindern gewesen wäre, begann der damals 20-jährige Student der Elektro- und Biomedizin über ein Frühwarnsystem nachzudenken. Sechs Jahre später gelangte er zu einem Ergebnis: Ein mit EKG-Sensoren bestückter Brustgürtel. Sobald unregelmäßige Herzschläge aufkommen, werden diese aufgrund eines Computerprogramms, das das Team selbst schrieb, schnurlos auf einen Server übertragen und schließlich an den behandelnden Kardiologen weitergeleitet.
Bewusste Investition in Krisenregion
Dass der Apparat tatsächlich funktioniert, wollen Ziad und Najwa beweisen, indem sie alle weltweit wichtigen Zertifikate beantragen. Und sie erhalten sie auch. Vom CE-Zertifikat, mit dem die Europäische Union Sicherheit und Qualität bescheinigt, bis hin zum Patent der amerikanischen Gesundheitsbehörde, die medizintechnische Geräte auch auf dem US-Markt zulässt.
Dabei zieht es das Team weder nach Europa noch in die USA. Vielmehr soll das künftige Unternehmen im verarmten und von konfessionellen Konflikten geplagten Tripoli angesiedelt werden. Ziad weiß um die Risiken, zumal der gegenwärtige Krieg in Syrien auf den fragilen Libanon überszupringen droht. Doch wozu sei man Libanese, fragt er gelassen. Nach Jahrzehnten voller Blutvergießen und Zerstörungen hätten es sich die Libanesen längst angewöhnt, in dem einen Viertel zu shoppen, während im nächsten geschossen würde. Der einzige Weg, die Situation zu verbessern, sei daher, die Wirtschaft voranzutreiben, bekräftigen Ziad und Najwa.
All dies mag auf ersten Blick illosorisch wirken – und ringt dennoch großen Respekt ab. Statt ihrem Land den Rücken zu kehren, kämpfen zunehmend junge Libanesen wie Najwa, Hind und Ziad um Lebensperspektiven in ihrem Land. Und das mit einem Enthusiasmus und Willen zur Selbstverantwortung, wie ihn der Levantestaat seit Jahrzehnten nicht erlebt hat.
Mona Sarkis
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Redaktion : Arian Fariborz/Qantara.de