Wenn Kreativität zur Sünde wird

Indonesiens Gegenwartskünstler erfreuen sich im In- und Ausland großer Beliebtheit. Im eigenen Land fühlen sie sich zunehmend von islamistischen Moralpredigern unter Druck gesetzt.

Von Arian Fariborz

​​"Na, und wer ist das hier? Richtig! Das ist Mr. Bush – als ziemlich fetter Mann…!" Agus Suwage lacht und deutet auf eine mannshohe, pinkfarbene Plastikpuppe mit ausgestreckten Armen. "Er sieht aus wie ein gekreuzigter Jesus…!"

Die frappierende Ähnlichkeit mit dem amerikanischen Präsidenten ist bereits von weitem leicht erkennbar. "George W. Bush als Opfer unserer heutigen Zivilisation", scherzt der 50jährige Avantgardekünstler aus der zentraljavanischen Stadt Yogjakarta. Auf einem fleckigen, dunkelbraunen Parkettboden seines Ateliers stapeln sich halbfertige Skizzen, offene Farbtuben, Pinsel, Leinwände und Skulpturen – eine wahre Fundgrube für skurrile Porträts und Modelle.

Kunst und Provokation

Für Agus Suwage liegen Kunst und Provokation dicht beieinander: Seine Kritik an gesellschaftlichen Missständen kennt keine Tabus und spiegelt sich in seinen Collagen, Skulpturen und Zeichnungen wider.

​​Für den international renommierten Grafiker und Maler ist Kunst keinem Denkverbot unterworfen – so dachte er jedenfalls noch bis vor kurzem. Denn als er bei der CP Biennale im Oktober 2005 seine Installation "Pinkswing-Park" in der indonesischen Hauptstadt Jakarta ausstellte, erntete er lautstarken Protest einer islamistischen Vereinigung, die sich "Front der Verteidiger des Islam" (Front Pembela Islam - FPI) nennt.

Rifky Efendy, freier Kurator für zeitgenössische Kunst aus Jakarta, erinnert sich an den Vorfall: "Diese Gruppe hat den Künstler aufgescheucht, weil er nackte Modelle verwendete, die symbolisch in einem Garten Eden zu sehen sind – eine reine Allegorie."

Ignoranz der Medien

Doch die Boulevardmedien machten aus Suwages Kunst einen Skandal um Freizügigkeit und Pornographie, was schließlich die Islamisten auf den Plan rief, die die Installation stürmen wollten. Doch damit nicht genug: Suwage wurde schließlich von der Polizei angezeigt und das Kunstwerk auf Veranlassung der Organisatoren von der Biennale entfernt.

​​Agus Suwage beschleicht jedes Mal ein Gefühl des Unbehagens, wenn er an die Ausstellung zurückdenkt. Vor ihm - auf einem langen Tisch- liegt der Katalog der Biennale. Thema: "Urbane Kultur".

Er blättert eine Weile, bis er auf das Foto seiner Installation stößt: Im Vordergrund steht eine als Schaukel umgebaute Fahrradrikscha, im Hintergrund ein paradiesischer Wald, in dem jedoch nicht Adam und Eva, sondern indonesische "Soap"-Darsteller zu sehen sind.

Avantgardekunst als Opfer der Infotainment-Industrie

Es gibt keine anzüglichen Gesten, die Geschlechtsteile sind mit weißen Flecken verdeckt. Suwage deutet auf das Bild und meint, dass er noch immer nicht begreifen kann, was hieran so anstößig sei:

"Diese Leute verstehen doch wirklich überhaupt nichts von Kunst", sagt er schließlich. "Und die Medien waren nur auf Schlagzeilen aus, auf 'Infotainment'. Aber wenn wir von Kunst und von 'urbaner Kultur' sprechen, geht es doch um etwas anderes. Sie verbinden Kunst mit Sensation. Doch ich will mit meiner Kunst etwas völlig anderes ausdrücken. Sie aber blasen die Sache völlig auf und interpretieren sie bewusst falsch."

Eine der Folgen für viele Künstler ist die Selbstzensur als Schutzmechanismus. Viele zeitgenössische Künstler scheuen heute das Risiko, ihre Kunst einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Oder sie meiden künstlerische Themen, die von den religiösen Moralisten in einem Land mit der größten islamischen Bevölkerung als Affront gewertet werden könnten.

Nicht wenige Künstler betrachten die gezielten Einschüchterungsversuche als Teil einer größeren Kampagne – des heftig umstrittenen Anti-Pornographie-Gesetzes, das islamistische Gruppen und Parteien in Indonesien fordern.

Agus Suwages Kollegin, die Performance- und Videokünstlerin Ahramaniani aus Yogjakarta, die ebenfalls den Unmut islamistischer Eiferer erntete, berichtet, dass das Gesetz bereits seit über zwei Jahren diskutiert wird.

Auswirkungen des Anti-Pornographie-Gesetzes

"Viele sprechen sich dagegen aus, weil doch klar ist, dass kein Mensch in diesem Land Pornographie befürwortet", meint Ahramaniani. "Aber dieses Gesetz, das sie umsetzen wollen, geht über das Problem der Pornographie weit hinaus: Es geht mehr darum, die Moral einer Person zu überwachen - was sehr gefährlich ist, weil sie mit einem solchen Gesetz das Privatleben der Leute kontrollieren können."

Geht es nach dem Willen der islamistischen Moralprediger, sollen per Gesetz obszöne Bilder aus aller Öffentlichkeit verbannt und Frauen dazu gezwungen werden, Schultern und Beine zu bedecken.

Doch auch, wenn es mehr als fraglich erscheint, ob sich die religiösen Hardliner wirklich mit ihren kompromisslosen Vorstellungen im indonesischen Vielvölkerstaat durchsetzen können, eines ist jedenfalls gewiss:

Ihre lautstarken Drohungen haben ihre Wirkung nicht verfehlt und diejenigen bereits massiv eingeschüchtert, die sich schon immer für Toleranz und Pluralismus in ihrem Land eingesetzt haben: Indonesiens Künstler.

Arian Fariborz

© Qantara.de 2008

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