Jenseits bunter Postkartenmotive
"Kleine Freiheit" ist der zweite Film des Hamburger Filmemachers Yüksel Yavuz. Das Migrantendrama zeigt den Überlebenskampf junger Flüchtlinge im Schatten der Reeperbahn. DW-WORLD sprach mit dem Regisseur.
Mitten im Hamburger Vergnügungsviertel St. Pauli lebt der junge Kurde Baran (Cagdas Bozkurt). Er arbeitet als Laufbursche für einen Imbiss. Eigentlich sollte er an seinem 16. Geburtstag abgeschoben werden, weil sein Asylantrag abgelehnt wurde. Doch kurz vorher ist Baran in die Illegalität abgetaucht. Eines Tages begegnet er Chernor (Leroy Delmar), einem Schwarzafrikaner, der ebenfalls illegal in Deutschland lebt. Chernor dealt gelegentlich, um sich den Traum einer Zukunft im fernen Australien zu finanzieren. Trotz einem Leben auf der Hut, der ständigen Angst vor der Polizei und trotz ihrer kulturellen Unterschiede, ist die Freundschaft der beiden eine Zeit lang unbeschwert. Bis Selim auftaucht. Baran erkennt in ihm den Spitzel wieder, der für die Ermordung seiner Eltern verantwortlich sein soll. Als er ihren Tod rächen will, eskalieren die Ereignisse.
Familiengeschichten
Regisseurs Yüksel Yavuz wurde 1964 in Karakocan, einem Dorf im kurdischen Teil der Türkei geboren. Mit 16 Jahren kam er nach Deutschland. In Hamburg studierte er Wirtschaft, Politik und später Visuelle Kommunikation. In dieser Zeit drehte er den Film "Mein Vater, der Gastarbeiter" (1994/95), in dem er seine eigene Familiengeschichte thematisiert. Der Film erhielt den Preis für den besonderen Dokumentarfilm auf dem Internationalen Dokumentarfilmfestival in München. Einem breiteren Publikum wurde Yüksel Yavuz mit seinem ersten Spielfilm "Aprilkinder" (1998) bekannt. Das Portrait einer in Deutschland lebenden kurdischen Familie zwischen Tradition und Moderne wurde weltweit gleich mit mehreren Preisen ausgezeichnet.
"Kleine Freiheit" beeindruckt durch die Authentizität, mit der Yüksel Yavuz das Milieu, in dem Baran und Chernor leben, schildert. Ihre Freundschaft und ihre Träume sind der einzige Lichtblick, die einzige "kleine Freiheit" in der tristen Realität. Die Geschichte wirkt leider allzu glaubhaft. Hierzu tragen insbesondere die beiden überzeugenden Laiendarsteller Cagdas Bozkurt und Leroy Delmar bei. "Cagdas stammt zufällig aus dem gleichen Dorf, aus dem auch ich komme, und Leroy wohnt bei mir um die Ecke - im Hamburger Kiez", erzählt Regisseur Yavuz, "ich habe sie quasi auf der Straße aufgelesen". "Kleine Freiheit" ist ganz aus der Perspektive des 16-jährigen Barans gefilmt - wiederholt verwendet Yavuz das Stilmittel der subjektiven Kamera, um die Sichtweise des Jungen herauszustellen.
Packende Geschichte ohne Sozialromantik
Die Geschichte wirkt aber auch deshalb so real, weil sie ganz und gar nicht an den Haaren herbeigezogen ist. Yavuz selbst hat das Drehbuch geschrieben: "Ich habe jahrelang für die Hamburger Asylbehörde als Übersetzer gearbeitet. Dort habe ich viele heimatlose Jugendliche kennengelernt, die illegal in Deutschland lebten. Aus ihren traurigen Lebensgeschichten ist Barans Geschichte entstanden". Yaruz will in seinem Film eine anderes Gesicht von Hamburg und von Deutschland zeigen: "Ich will in erster Linie auf die miserable Situation der Menschen aufmerksam machen, die illegal in Deutschland leben und sich im Untergrund durchschlagen müssen. Immerhin sind das geschätzte eine Millionen Ausländer, denen dieses Land keine Chance gibt. Auf dieses Problem möchte ich mit meinem Film hinweisen".
Yüksel Yavuz wurde in Cannes für seinen Low-Budget-Film in der Regie-Reihe "Quinzaine des Réalisateurs" ausgezeichnet. "Kleine Freiheit" startete am 15. April 2004 in den deutschen Kinos.
Leona Frommelt
© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2004